Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ausdehnung dos Hochschulunterrichts

nur ein Beispiel von der Art. wie man dort die Gelegenheit und Anregung
zum Lesen an die Leute heranbringt. >

Für den deutschen Beobachter enthält die Bewegung noch eine besondre
Lehre: wir meinen die tiefwnrzelnde Gemeinsamkeit der Anlagen und Willens¬
bethätigungen der beiden großen auglokeltischen Volker, die sich auch in der
Übereinstimmung der Vildungsidenle und selbst in der Ähnlichkeit der eingc-
schlcignen Wege zeigt. Das ist eine wichtige Thatsache. Die Angloamerikaner
hängen trotz ihrer politischen Selbständigkeit geistig enger mit dem Mutter¬
volk zusammen als die politisch unselbständigen Deutschen in Amerika mit dem
ihren. Selbst die Schweizer steheu uns geistig ferner als die Neueugläuder
den Engländern. Was diese einander nähert, das ist aber hanptsüchlich der
starke nationale Wille, der ein kräftiges, sieghaftes Volk schafft, während
bei uns das nationale Phlegma alte Zusammenhänge verfallen läßt. Aus
England siud uicht bloß die Idee und die ersten praktischen Einrichtungen nach
Nordamerika übertragen worden, Engländer haben auch mit das Größte in der
Praktischen Bewährung geleistet. Ohne Professor Monitor aus Cambridge,
der für einer der besten Vortragenden in England galt, wären weder in Phila¬
delphia noch in Chicago 1890 und 1892 so große Erfolge errungen worden.
Er hat mehr englische Lehrer nachgezogen. Natürlich sind auch andre eng¬
lische Länder dem Beispiel gefolgt. Sydney und Melbourne haben ihre Kurse,
Bücher und Zeitschriften. Die ganze Einrichtung trägt so ohne Zweifel zur
Befestigung des innern Zusammenhangs der englisch sprechenden Völker bei.

Seine rechte Heimat hat aber der Gedanke dann doch in den Vereinigten
Staaten gefunden, wo der soziale Boden schon seit der Unabhängigkeits¬
erklärung gesättigt ist mit allem, was die Fortbildung in jedem Stande, Beruf
und Alter kräftig fördern muß. Eine schrankenlose Demokratie, die Millionen
ungebildeter Einwandrer und befreiter Sklaven das Bürgerrecht giebt, konnte
sich uicht mit Volksschulen von mäßiger Güte und einer zufälligen, den ver¬
schiedensten unpolitischen Körperschaften überlassenen Einrichtung des höhern
Unterrichts begnügen. Immer parallel mit der englischen Entwicklung haben
sich die öffentlichen Vortrüge eingebürgert, das "Lyceum," das einst mit dem¬
selben Feuereifer gefördert wurde wie jetzt die Hochschulausdehnung, aber im
Übermaß der Reklame und des Sensationsbedürfnisses zu Grunde gegangen ist.
Auch hier rief das Bedürfnis nach technischem Unterricht eine gesündere Richtung
hervor, an die sich neue populäre Vortragsreihen anschlossen. Schon 1831
sind in Aale (Newhaven) regelmäßige Kurse von Professoren naturwissenschaft¬
licher Fächer für Handwerker gehalten worden, die sich auch nach andern
Städten Neuenglands verpflanzten. Das technische Institut vou Lowell in
Boston, aus einer hochherzigen Stiftung hervorgegangen, ist als Vortrags-
institnt ius Leben getreten. Noch mehr ist in den Kreisen der Landwirte in
dieser Richtung geschehen. Wie erfolgreich, das zeigt die reißend schnelle Ent-


Ausdehnung dos Hochschulunterrichts

nur ein Beispiel von der Art. wie man dort die Gelegenheit und Anregung
zum Lesen an die Leute heranbringt. >

Für den deutschen Beobachter enthält die Bewegung noch eine besondre
Lehre: wir meinen die tiefwnrzelnde Gemeinsamkeit der Anlagen und Willens¬
bethätigungen der beiden großen auglokeltischen Volker, die sich auch in der
Übereinstimmung der Vildungsidenle und selbst in der Ähnlichkeit der eingc-
schlcignen Wege zeigt. Das ist eine wichtige Thatsache. Die Angloamerikaner
hängen trotz ihrer politischen Selbständigkeit geistig enger mit dem Mutter¬
volk zusammen als die politisch unselbständigen Deutschen in Amerika mit dem
ihren. Selbst die Schweizer steheu uns geistig ferner als die Neueugläuder
den Engländern. Was diese einander nähert, das ist aber hanptsüchlich der
starke nationale Wille, der ein kräftiges, sieghaftes Volk schafft, während
bei uns das nationale Phlegma alte Zusammenhänge verfallen läßt. Aus
England siud uicht bloß die Idee und die ersten praktischen Einrichtungen nach
Nordamerika übertragen worden, Engländer haben auch mit das Größte in der
Praktischen Bewährung geleistet. Ohne Professor Monitor aus Cambridge,
der für einer der besten Vortragenden in England galt, wären weder in Phila¬
delphia noch in Chicago 1890 und 1892 so große Erfolge errungen worden.
Er hat mehr englische Lehrer nachgezogen. Natürlich sind auch andre eng¬
lische Länder dem Beispiel gefolgt. Sydney und Melbourne haben ihre Kurse,
Bücher und Zeitschriften. Die ganze Einrichtung trägt so ohne Zweifel zur
Befestigung des innern Zusammenhangs der englisch sprechenden Völker bei.

Seine rechte Heimat hat aber der Gedanke dann doch in den Vereinigten
Staaten gefunden, wo der soziale Boden schon seit der Unabhängigkeits¬
erklärung gesättigt ist mit allem, was die Fortbildung in jedem Stande, Beruf
und Alter kräftig fördern muß. Eine schrankenlose Demokratie, die Millionen
ungebildeter Einwandrer und befreiter Sklaven das Bürgerrecht giebt, konnte
sich uicht mit Volksschulen von mäßiger Güte und einer zufälligen, den ver¬
schiedensten unpolitischen Körperschaften überlassenen Einrichtung des höhern
Unterrichts begnügen. Immer parallel mit der englischen Entwicklung haben
sich die öffentlichen Vortrüge eingebürgert, das „Lyceum," das einst mit dem¬
selben Feuereifer gefördert wurde wie jetzt die Hochschulausdehnung, aber im
Übermaß der Reklame und des Sensationsbedürfnisses zu Grunde gegangen ist.
Auch hier rief das Bedürfnis nach technischem Unterricht eine gesündere Richtung
hervor, an die sich neue populäre Vortragsreihen anschlossen. Schon 1831
sind in Aale (Newhaven) regelmäßige Kurse von Professoren naturwissenschaft¬
licher Fächer für Handwerker gehalten worden, die sich auch nach andern
Städten Neuenglands verpflanzten. Das technische Institut vou Lowell in
Boston, aus einer hochherzigen Stiftung hervorgegangen, ist als Vortrags-
institnt ius Leben getreten. Noch mehr ist in den Kreisen der Landwirte in
dieser Richtung geschehen. Wie erfolgreich, das zeigt die reißend schnelle Ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222727"/>
          <fw type="header" place="top"> Ausdehnung dos Hochschulunterrichts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1226" prev="#ID_1225"> nur ein Beispiel von der Art. wie man dort die Gelegenheit und Anregung<lb/>
zum Lesen an die Leute heranbringt. &gt;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227"> Für den deutschen Beobachter enthält die Bewegung noch eine besondre<lb/>
Lehre: wir meinen die tiefwnrzelnde Gemeinsamkeit der Anlagen und Willens¬<lb/>
bethätigungen der beiden großen auglokeltischen Volker, die sich auch in der<lb/>
Übereinstimmung der Vildungsidenle und selbst in der Ähnlichkeit der eingc-<lb/>
schlcignen Wege zeigt. Das ist eine wichtige Thatsache. Die Angloamerikaner<lb/>
hängen trotz ihrer politischen Selbständigkeit geistig enger mit dem Mutter¬<lb/>
volk zusammen als die politisch unselbständigen Deutschen in Amerika mit dem<lb/>
ihren. Selbst die Schweizer steheu uns geistig ferner als die Neueugläuder<lb/>
den Engländern. Was diese einander nähert, das ist aber hanptsüchlich der<lb/>
starke nationale Wille, der ein kräftiges, sieghaftes Volk schafft, während<lb/>
bei uns das nationale Phlegma alte Zusammenhänge verfallen läßt. Aus<lb/>
England siud uicht bloß die Idee und die ersten praktischen Einrichtungen nach<lb/>
Nordamerika übertragen worden, Engländer haben auch mit das Größte in der<lb/>
Praktischen Bewährung geleistet. Ohne Professor Monitor aus Cambridge,<lb/>
der für einer der besten Vortragenden in England galt, wären weder in Phila¬<lb/>
delphia noch in Chicago 1890 und 1892 so große Erfolge errungen worden.<lb/>
Er hat mehr englische Lehrer nachgezogen. Natürlich sind auch andre eng¬<lb/>
lische Länder dem Beispiel gefolgt. Sydney und Melbourne haben ihre Kurse,<lb/>
Bücher und Zeitschriften. Die ganze Einrichtung trägt so ohne Zweifel zur<lb/>
Befestigung des innern Zusammenhangs der englisch sprechenden Völker bei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1228" next="#ID_1229"> Seine rechte Heimat hat aber der Gedanke dann doch in den Vereinigten<lb/>
Staaten gefunden, wo der soziale Boden schon seit der Unabhängigkeits¬<lb/>
erklärung gesättigt ist mit allem, was die Fortbildung in jedem Stande, Beruf<lb/>
und Alter kräftig fördern muß. Eine schrankenlose Demokratie, die Millionen<lb/>
ungebildeter Einwandrer und befreiter Sklaven das Bürgerrecht giebt, konnte<lb/>
sich uicht mit Volksschulen von mäßiger Güte und einer zufälligen, den ver¬<lb/>
schiedensten unpolitischen Körperschaften überlassenen Einrichtung des höhern<lb/>
Unterrichts begnügen. Immer parallel mit der englischen Entwicklung haben<lb/>
sich die öffentlichen Vortrüge eingebürgert, das &#x201E;Lyceum," das einst mit dem¬<lb/>
selben Feuereifer gefördert wurde wie jetzt die Hochschulausdehnung, aber im<lb/>
Übermaß der Reklame und des Sensationsbedürfnisses zu Grunde gegangen ist.<lb/>
Auch hier rief das Bedürfnis nach technischem Unterricht eine gesündere Richtung<lb/>
hervor, an die sich neue populäre Vortragsreihen anschlossen. Schon 1831<lb/>
sind in Aale (Newhaven) regelmäßige Kurse von Professoren naturwissenschaft¬<lb/>
licher Fächer für Handwerker gehalten worden, die sich auch nach andern<lb/>
Städten Neuenglands verpflanzten. Das technische Institut vou Lowell in<lb/>
Boston, aus einer hochherzigen Stiftung hervorgegangen, ist als Vortrags-<lb/>
institnt ius Leben getreten. Noch mehr ist in den Kreisen der Landwirte in<lb/>
dieser Richtung geschehen. Wie erfolgreich, das zeigt die reißend schnelle Ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Ausdehnung dos Hochschulunterrichts nur ein Beispiel von der Art. wie man dort die Gelegenheit und Anregung zum Lesen an die Leute heranbringt. > Für den deutschen Beobachter enthält die Bewegung noch eine besondre Lehre: wir meinen die tiefwnrzelnde Gemeinsamkeit der Anlagen und Willens¬ bethätigungen der beiden großen auglokeltischen Volker, die sich auch in der Übereinstimmung der Vildungsidenle und selbst in der Ähnlichkeit der eingc- schlcignen Wege zeigt. Das ist eine wichtige Thatsache. Die Angloamerikaner hängen trotz ihrer politischen Selbständigkeit geistig enger mit dem Mutter¬ volk zusammen als die politisch unselbständigen Deutschen in Amerika mit dem ihren. Selbst die Schweizer steheu uns geistig ferner als die Neueugläuder den Engländern. Was diese einander nähert, das ist aber hanptsüchlich der starke nationale Wille, der ein kräftiges, sieghaftes Volk schafft, während bei uns das nationale Phlegma alte Zusammenhänge verfallen läßt. Aus England siud uicht bloß die Idee und die ersten praktischen Einrichtungen nach Nordamerika übertragen worden, Engländer haben auch mit das Größte in der Praktischen Bewährung geleistet. Ohne Professor Monitor aus Cambridge, der für einer der besten Vortragenden in England galt, wären weder in Phila¬ delphia noch in Chicago 1890 und 1892 so große Erfolge errungen worden. Er hat mehr englische Lehrer nachgezogen. Natürlich sind auch andre eng¬ lische Länder dem Beispiel gefolgt. Sydney und Melbourne haben ihre Kurse, Bücher und Zeitschriften. Die ganze Einrichtung trägt so ohne Zweifel zur Befestigung des innern Zusammenhangs der englisch sprechenden Völker bei. Seine rechte Heimat hat aber der Gedanke dann doch in den Vereinigten Staaten gefunden, wo der soziale Boden schon seit der Unabhängigkeits¬ erklärung gesättigt ist mit allem, was die Fortbildung in jedem Stande, Beruf und Alter kräftig fördern muß. Eine schrankenlose Demokratie, die Millionen ungebildeter Einwandrer und befreiter Sklaven das Bürgerrecht giebt, konnte sich uicht mit Volksschulen von mäßiger Güte und einer zufälligen, den ver¬ schiedensten unpolitischen Körperschaften überlassenen Einrichtung des höhern Unterrichts begnügen. Immer parallel mit der englischen Entwicklung haben sich die öffentlichen Vortrüge eingebürgert, das „Lyceum," das einst mit dem¬ selben Feuereifer gefördert wurde wie jetzt die Hochschulausdehnung, aber im Übermaß der Reklame und des Sensationsbedürfnisses zu Grunde gegangen ist. Auch hier rief das Bedürfnis nach technischem Unterricht eine gesündere Richtung hervor, an die sich neue populäre Vortragsreihen anschlossen. Schon 1831 sind in Aale (Newhaven) regelmäßige Kurse von Professoren naturwissenschaft¬ licher Fächer für Handwerker gehalten worden, die sich auch nach andern Städten Neuenglands verpflanzten. Das technische Institut vou Lowell in Boston, aus einer hochherzigen Stiftung hervorgegangen, ist als Vortrags- institnt ius Leben getreten. Noch mehr ist in den Kreisen der Landwirte in dieser Richtung geschehen. Wie erfolgreich, das zeigt die reißend schnelle Ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/423>, abgerufen am 22.07.2024.