Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Reichstag hat uns mit dem Verbot des Terminhandels, das preußische Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Reichstag hat uns mit dem Verbot des Terminhandels, das preußische <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222642"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_991" next="#ID_992"> Der Reichstag hat uns mit dem Verbot des Terminhandels, das preußische<lb/> Herrenhaus mit der Ablehnung des Lehrerbesoldungsgesetzes überrascht. Den Be¬<lb/> schluß des Reichstags haben wir mit aufrichtiger Genugthuung begrüßt, und wir<lb/> hoffen, daß sich der Bundesrat weder durch die entschiednen Erklärungen, die seine<lb/> Vertreter in der Börsenkommission abgegeben haben, noch durch Vorstellungen des<lb/> „Schutzverbandes" beim Reichskanzler abhalten lassen wird, dem Beschluß einer so<lb/> starken Neichstagsmehrheit zuzustimmen. Wir haben seit zwei Jahren die Über¬<lb/> zeugung vertreten, daß es gegen die Verheerungen, die die agrarische Agitation an¬<lb/> richtet, nur ein Radikalmittel giebt: ein agrarisches Ministerium. Will man es<lb/> damit nicht wagen, so muß man wenigstens alle Forderungen der Agrarier erfüllen,<lb/> denn so lange dies nicht geschieht, wird der Wahn weitere und immer weitere<lb/> Kreise ergreifen, daß das ganze deutsche Volk in der Knechtschaft der Börsenjuden<lb/> schmachte, und daß die Regierung entweder bestochen sei, oder zu feig und zu<lb/> schwach, die Fesseln zu brechen. Man muß also den Agrariern den Willen thun<lb/> und das Volk durch Erfahrung klug werden lassen. Die Nationalzeitung freilich<lb/> will vou einer solchen Politik nichts wissen; sie schreibt: „Kühne und interessante<lb/> Versuche hat man bisher in chemischen Laboratorien oder allenfalls an Kaninchen<lb/> und Meerschweinchen gemacht, aber nicht durch die Gesetzgebung an den Interessen<lb/> des Landes auf Kosten des ehrlichen Erwerbs von Staatsangehörigen." Wir da¬<lb/> gegen sind der Ausicht, daß die Beseitigung des gegenwärtigen unerträglichen Zu¬<lb/> standes der Verhetzung, Verbitterung und Verwirrung selbst mit einem großen<lb/> Krach und mit einem bedeutenden Verlust am Volksvermögen nicht zu teuer erkauft<lb/> sein würde. Die Erfahrung wird nun lehren, ob das Verbot des Börsenspiels<lb/> hinreichen wird, die Getreidepreise dauernd zu erhöhen, und wenn diese Erhöhung<lb/> gelingt, sei es durch das Verbot allein oder durch andre Mittel, die man wohl<lb/> außerdem noch ergreifen wird, wie dauernd höhere Getreidepreise volkswirtschaftlich<lb/> wirken werden, und wie die Mehrheit des Volkes damit zufrieden sein wird. Wir<lb/> werden außerdem sehen, ob das Verbot des Terminhandels die ohnehin — im<lb/> Vergleich mit früher — geringen Preisschwankungen noch weiter vermindern oder<lb/> sie im Gegenteil verstärken wird. Es wird sich zeigen, ob die Agrarier Recht<lb/> haben, die behaupten, daß der gegenwärtige niedrige Preisstand im Widerspruch<lb/> stehe mit dem Weltvorrat und nur durch Baissespekulanten, namentlich durch die<lb/> Firma Cohn und Rosenberg künstlich erzeugt sei, oder ob Professor Conrad Recht<lb/> hat, der meint, das heiße die Macht der Börsenmänner in wahrhaft kindlicher Weise<lb/> überschätzen. Der Handelsminister sagte in der Debatte am 30. April, der durch<lb/> die Masseneinfuhr jener Firma erzeugte Preisdruck habe uur drei Wochen ange¬<lb/> halten, und er nimmt an, daß sich der den Landwirten dadurch zugefügte Schaden auf<lb/> höchstens drei bis vier Millionen belaufe. Wir meinen, wenn alle Gewerbtreibenden<lb/> und alle Lohnarbeiter den „Schaden," der ihnen aus dem Verkauf ihrer Ware<lb/> oder ihrer Arbeit unter dem Voranschlage entspringt, berechnen wollten, so würden<lb/> alljährlich mehrere Milliarden Herauskommen. Bennigsen erklärte es in der Sitzung<lb/> vom 1. Mai für eiuen Irrtum, daß mit dem Termingeschäft auch das effektive<lb/> börsenmäßige Zeitgeschäft Verbote» werde. Mit Hilfe einer Abhandlung von Klapper<lb/> in Fühlings landwirtschaftlicher Zeitung erklären wir uns das so, daß es auch in<lb/> Zukunft noch diesem bestimmten Landwirt erlaubt sein wird, am 1. Juli diesem<lb/> bestimmten Händler diesen bestimmten Weizen auf den 1. September zu verkaufen.<lb/> Das versteht sich nun freilich von selbst — wie könnte so ein Geschäft ohne Auf¬<lb/> hebung des Eigentumsrechts verboten werden?—, aber das scheint uns eben nicht<lb/> mehr „börsenmäßig" zu sein. Der börsenmäßige Verkehr beruht auf dem Begriff</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Reichstag hat uns mit dem Verbot des Terminhandels, das preußische
Herrenhaus mit der Ablehnung des Lehrerbesoldungsgesetzes überrascht. Den Be¬
schluß des Reichstags haben wir mit aufrichtiger Genugthuung begrüßt, und wir
hoffen, daß sich der Bundesrat weder durch die entschiednen Erklärungen, die seine
Vertreter in der Börsenkommission abgegeben haben, noch durch Vorstellungen des
„Schutzverbandes" beim Reichskanzler abhalten lassen wird, dem Beschluß einer so
starken Neichstagsmehrheit zuzustimmen. Wir haben seit zwei Jahren die Über¬
zeugung vertreten, daß es gegen die Verheerungen, die die agrarische Agitation an¬
richtet, nur ein Radikalmittel giebt: ein agrarisches Ministerium. Will man es
damit nicht wagen, so muß man wenigstens alle Forderungen der Agrarier erfüllen,
denn so lange dies nicht geschieht, wird der Wahn weitere und immer weitere
Kreise ergreifen, daß das ganze deutsche Volk in der Knechtschaft der Börsenjuden
schmachte, und daß die Regierung entweder bestochen sei, oder zu feig und zu
schwach, die Fesseln zu brechen. Man muß also den Agrariern den Willen thun
und das Volk durch Erfahrung klug werden lassen. Die Nationalzeitung freilich
will vou einer solchen Politik nichts wissen; sie schreibt: „Kühne und interessante
Versuche hat man bisher in chemischen Laboratorien oder allenfalls an Kaninchen
und Meerschweinchen gemacht, aber nicht durch die Gesetzgebung an den Interessen
des Landes auf Kosten des ehrlichen Erwerbs von Staatsangehörigen." Wir da¬
gegen sind der Ausicht, daß die Beseitigung des gegenwärtigen unerträglichen Zu¬
standes der Verhetzung, Verbitterung und Verwirrung selbst mit einem großen
Krach und mit einem bedeutenden Verlust am Volksvermögen nicht zu teuer erkauft
sein würde. Die Erfahrung wird nun lehren, ob das Verbot des Börsenspiels
hinreichen wird, die Getreidepreise dauernd zu erhöhen, und wenn diese Erhöhung
gelingt, sei es durch das Verbot allein oder durch andre Mittel, die man wohl
außerdem noch ergreifen wird, wie dauernd höhere Getreidepreise volkswirtschaftlich
wirken werden, und wie die Mehrheit des Volkes damit zufrieden sein wird. Wir
werden außerdem sehen, ob das Verbot des Terminhandels die ohnehin — im
Vergleich mit früher — geringen Preisschwankungen noch weiter vermindern oder
sie im Gegenteil verstärken wird. Es wird sich zeigen, ob die Agrarier Recht
haben, die behaupten, daß der gegenwärtige niedrige Preisstand im Widerspruch
stehe mit dem Weltvorrat und nur durch Baissespekulanten, namentlich durch die
Firma Cohn und Rosenberg künstlich erzeugt sei, oder ob Professor Conrad Recht
hat, der meint, das heiße die Macht der Börsenmänner in wahrhaft kindlicher Weise
überschätzen. Der Handelsminister sagte in der Debatte am 30. April, der durch
die Masseneinfuhr jener Firma erzeugte Preisdruck habe uur drei Wochen ange¬
halten, und er nimmt an, daß sich der den Landwirten dadurch zugefügte Schaden auf
höchstens drei bis vier Millionen belaufe. Wir meinen, wenn alle Gewerbtreibenden
und alle Lohnarbeiter den „Schaden," der ihnen aus dem Verkauf ihrer Ware
oder ihrer Arbeit unter dem Voranschlage entspringt, berechnen wollten, so würden
alljährlich mehrere Milliarden Herauskommen. Bennigsen erklärte es in der Sitzung
vom 1. Mai für eiuen Irrtum, daß mit dem Termingeschäft auch das effektive
börsenmäßige Zeitgeschäft Verbote» werde. Mit Hilfe einer Abhandlung von Klapper
in Fühlings landwirtschaftlicher Zeitung erklären wir uns das so, daß es auch in
Zukunft noch diesem bestimmten Landwirt erlaubt sein wird, am 1. Juli diesem
bestimmten Händler diesen bestimmten Weizen auf den 1. September zu verkaufen.
Das versteht sich nun freilich von selbst — wie könnte so ein Geschäft ohne Auf¬
hebung des Eigentumsrechts verboten werden?—, aber das scheint uns eben nicht
mehr „börsenmäßig" zu sein. Der börsenmäßige Verkehr beruht auf dem Begriff
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