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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lenau und Sophie Schwab

Rückkehr aus Amerika, wenn er in Stuttgart weilte, bei Hofrat Reinbeck
wohnte, nicht bei Schwab, wo er Gefahr lief, Lotten zu begegnen und alte
Wunden wieder aufzureißen.

Als Lenau nach Weihnachten 1831 nach Heidelberg zurückkehrte, war er
anfangs in sehr niedergeschlagner Stimmung: das Bild Lottens stand unab¬
lässig vor seiner Seele. Mit Schwab und seiner Familie blieb er im regen
Verkehr: waren sie doch durch die Bande der Blutsverwandtschaft mit dem
schönen Mädchen verbunden, deren "edles, deutsches, frommes Gesicht," deren
"tiefe blaue Augen mit dem unbeschreiblichen Liebreiz der Brauen," deren
"kindlich-fromm-gütige und doch so geistige Stirn" ihn unablässig beschäftigten.
Und hatte er doch in Gustav und Sophie Schwab Herzen gewonnen, die ihm
feinfühlig und liebevoll zur Seite standen. Daß er die Nachsicht der Wackern
zuweilen auf eine harte Probe stellte, dessen war er sich wohl bewußt. So
schreibt er bald nach seiner Rückkehr nach Heidelberg (12. Januar 1832): "Ich
thu alles, um mich zu einem erträglichen Menschen zu machen. Nur schade,
daß mich meine lieben Freunde in Stuttgart in meiner sauertöpfischen Qualität
zu genießen hatten. Mit tiefem Schamgefühl erkenn ich es, wie ihr eure
ganze Duldsamkeit aufbieten müßtet, mich zu ertragen: wie es im Umgange
mit euch mein demütigendes Los war, nur immer zu empfangen, nie zu geben.
Aber es liegt doch wieder ein süßer Trost in solcher Demütigung: ich habe
die Größe eurer Freundschaft erfahren, ich bin euch verpflichtet zu ewigem
Danke und ewiger Liebe, während ihr längst mehr für mich gethan, als ich
je werde verdienen können."

Endlich möge hier noch ein Brief Lenaus an Sophie folgen, der seine
ganze Seele ausströmt. Er hat seiner Freundin zu ihrer Genesung von einer
Krankheit Glück gewünscht (16. Februar 1832). Dann fährt er fort:

Ich freue mich herzlich an Ihrer Genesung, wie Sie, liebe, gute Freundin,
sich an meiner Besserung freuen. Völlig genesen kann ich mich nicht nennen, aber
heiter bin ich. Ob es auch meine Gedichte werden, weiß ich nicht, glaube aber
kaum. Ein heimlicher Umgang mit der Melancholie in den einsamen Wäldern
wird mir doch erlaubt sein? Allerdings hat Schwab Recht, wenn er mich einer
gewissen Eintönigkeit beschuldigt. Aber ich habe wenig Hoffnung, daß es anders
kommen werde; ich glaube vielmehr, je näher man sich an die Natur anschließt,
je mehr man sich in Betrachtung ihrer Züge vertieft, desto mehr wird man er¬
griffen von dem Geiste der Sehnsucht des schwermütigen Hinsterbens, der durch
die ganze Natur auf Erden weht. Ja, teure Freundin, unsre Mutter Erde ist im
Sterben begriffen. Sie werden wissen, daß sich die Todeskälte von beiden Polen
immer weiter nach den noch warmen Gegenden der Erde verbreitet, wie der
sterbende Mensch zuerst an den Extremitäten erkaltet. Die süße Nachtigall ist zu¬
samt deu Rosenlauben aus Island verschwunden. So muß die Nachtigall immer
weiter wandern, und was aus ihrem Liede so schmerzlich tont, ist die Klage um
das gestorbne Vaterland, und die prophetische Kunde vom Tode, der uns immer
näher kommt. Ich möchte das Lied der letzten Nachtigall auf dem letzten Rosen-


Lenau und Sophie Schwab

Rückkehr aus Amerika, wenn er in Stuttgart weilte, bei Hofrat Reinbeck
wohnte, nicht bei Schwab, wo er Gefahr lief, Lotten zu begegnen und alte
Wunden wieder aufzureißen.

Als Lenau nach Weihnachten 1831 nach Heidelberg zurückkehrte, war er
anfangs in sehr niedergeschlagner Stimmung: das Bild Lottens stand unab¬
lässig vor seiner Seele. Mit Schwab und seiner Familie blieb er im regen
Verkehr: waren sie doch durch die Bande der Blutsverwandtschaft mit dem
schönen Mädchen verbunden, deren „edles, deutsches, frommes Gesicht," deren
„tiefe blaue Augen mit dem unbeschreiblichen Liebreiz der Brauen," deren
„kindlich-fromm-gütige und doch so geistige Stirn" ihn unablässig beschäftigten.
Und hatte er doch in Gustav und Sophie Schwab Herzen gewonnen, die ihm
feinfühlig und liebevoll zur Seite standen. Daß er die Nachsicht der Wackern
zuweilen auf eine harte Probe stellte, dessen war er sich wohl bewußt. So
schreibt er bald nach seiner Rückkehr nach Heidelberg (12. Januar 1832): „Ich
thu alles, um mich zu einem erträglichen Menschen zu machen. Nur schade,
daß mich meine lieben Freunde in Stuttgart in meiner sauertöpfischen Qualität
zu genießen hatten. Mit tiefem Schamgefühl erkenn ich es, wie ihr eure
ganze Duldsamkeit aufbieten müßtet, mich zu ertragen: wie es im Umgange
mit euch mein demütigendes Los war, nur immer zu empfangen, nie zu geben.
Aber es liegt doch wieder ein süßer Trost in solcher Demütigung: ich habe
die Größe eurer Freundschaft erfahren, ich bin euch verpflichtet zu ewigem
Danke und ewiger Liebe, während ihr längst mehr für mich gethan, als ich
je werde verdienen können."

Endlich möge hier noch ein Brief Lenaus an Sophie folgen, der seine
ganze Seele ausströmt. Er hat seiner Freundin zu ihrer Genesung von einer
Krankheit Glück gewünscht (16. Februar 1832). Dann fährt er fort:

Ich freue mich herzlich an Ihrer Genesung, wie Sie, liebe, gute Freundin,
sich an meiner Besserung freuen. Völlig genesen kann ich mich nicht nennen, aber
heiter bin ich. Ob es auch meine Gedichte werden, weiß ich nicht, glaube aber
kaum. Ein heimlicher Umgang mit der Melancholie in den einsamen Wäldern
wird mir doch erlaubt sein? Allerdings hat Schwab Recht, wenn er mich einer
gewissen Eintönigkeit beschuldigt. Aber ich habe wenig Hoffnung, daß es anders
kommen werde; ich glaube vielmehr, je näher man sich an die Natur anschließt,
je mehr man sich in Betrachtung ihrer Züge vertieft, desto mehr wird man er¬
griffen von dem Geiste der Sehnsucht des schwermütigen Hinsterbens, der durch
die ganze Natur auf Erden weht. Ja, teure Freundin, unsre Mutter Erde ist im
Sterben begriffen. Sie werden wissen, daß sich die Todeskälte von beiden Polen
immer weiter nach den noch warmen Gegenden der Erde verbreitet, wie der
sterbende Mensch zuerst an den Extremitäten erkaltet. Die süße Nachtigall ist zu¬
samt deu Rosenlauben aus Island verschwunden. So muß die Nachtigall immer
weiter wandern, und was aus ihrem Liede so schmerzlich tont, ist die Klage um
das gestorbne Vaterland, und die prophetische Kunde vom Tode, der uns immer
näher kommt. Ich möchte das Lied der letzten Nachtigall auf dem letzten Rosen-


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[0332] Lenau und Sophie Schwab Rückkehr aus Amerika, wenn er in Stuttgart weilte, bei Hofrat Reinbeck wohnte, nicht bei Schwab, wo er Gefahr lief, Lotten zu begegnen und alte Wunden wieder aufzureißen. Als Lenau nach Weihnachten 1831 nach Heidelberg zurückkehrte, war er anfangs in sehr niedergeschlagner Stimmung: das Bild Lottens stand unab¬ lässig vor seiner Seele. Mit Schwab und seiner Familie blieb er im regen Verkehr: waren sie doch durch die Bande der Blutsverwandtschaft mit dem schönen Mädchen verbunden, deren „edles, deutsches, frommes Gesicht," deren „tiefe blaue Augen mit dem unbeschreiblichen Liebreiz der Brauen," deren „kindlich-fromm-gütige und doch so geistige Stirn" ihn unablässig beschäftigten. Und hatte er doch in Gustav und Sophie Schwab Herzen gewonnen, die ihm feinfühlig und liebevoll zur Seite standen. Daß er die Nachsicht der Wackern zuweilen auf eine harte Probe stellte, dessen war er sich wohl bewußt. So schreibt er bald nach seiner Rückkehr nach Heidelberg (12. Januar 1832): „Ich thu alles, um mich zu einem erträglichen Menschen zu machen. Nur schade, daß mich meine lieben Freunde in Stuttgart in meiner sauertöpfischen Qualität zu genießen hatten. Mit tiefem Schamgefühl erkenn ich es, wie ihr eure ganze Duldsamkeit aufbieten müßtet, mich zu ertragen: wie es im Umgange mit euch mein demütigendes Los war, nur immer zu empfangen, nie zu geben. Aber es liegt doch wieder ein süßer Trost in solcher Demütigung: ich habe die Größe eurer Freundschaft erfahren, ich bin euch verpflichtet zu ewigem Danke und ewiger Liebe, während ihr längst mehr für mich gethan, als ich je werde verdienen können." Endlich möge hier noch ein Brief Lenaus an Sophie folgen, der seine ganze Seele ausströmt. Er hat seiner Freundin zu ihrer Genesung von einer Krankheit Glück gewünscht (16. Februar 1832). Dann fährt er fort: Ich freue mich herzlich an Ihrer Genesung, wie Sie, liebe, gute Freundin, sich an meiner Besserung freuen. Völlig genesen kann ich mich nicht nennen, aber heiter bin ich. Ob es auch meine Gedichte werden, weiß ich nicht, glaube aber kaum. Ein heimlicher Umgang mit der Melancholie in den einsamen Wäldern wird mir doch erlaubt sein? Allerdings hat Schwab Recht, wenn er mich einer gewissen Eintönigkeit beschuldigt. Aber ich habe wenig Hoffnung, daß es anders kommen werde; ich glaube vielmehr, je näher man sich an die Natur anschließt, je mehr man sich in Betrachtung ihrer Züge vertieft, desto mehr wird man er¬ griffen von dem Geiste der Sehnsucht des schwermütigen Hinsterbens, der durch die ganze Natur auf Erden weht. Ja, teure Freundin, unsre Mutter Erde ist im Sterben begriffen. Sie werden wissen, daß sich die Todeskälte von beiden Polen immer weiter nach den noch warmen Gegenden der Erde verbreitet, wie der sterbende Mensch zuerst an den Extremitäten erkaltet. Die süße Nachtigall ist zu¬ samt deu Rosenlauben aus Island verschwunden. So muß die Nachtigall immer weiter wandern, und was aus ihrem Liede so schmerzlich tont, ist die Klage um das gestorbne Vaterland, und die prophetische Kunde vom Tode, der uns immer näher kommt. Ich möchte das Lied der letzten Nachtigall auf dem letzten Rosen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/332>, abgerufen am 22.07.2024.