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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lenau und Sophie Schwab

uns zu betrübt, wenn ihre Jngend durch rege gewordne Hoffnungen getrübt würde,
die nicht in Erfüllung gehen.

Sophie urteilt hier sehr richtig. Eins der Grundgebrechen in dem Wesen
Lenaus war seine vollständige Hilflosigkeit, ja Ohnmacht den Fragen des
Praktischen Lebens gegenüber. In der Jugend wurde er von seiner ihn ab¬
göttisch verehrenden Mutter verwöhnt. Mit übertriebner Sorgfalt suchte sie
ihn vor jedem ernstern Zusammenstoß mit dem Leben zu bewahren. Der
Vaterliebe entbehrte er; ja. was noch schlimmer war: er fürchtete seinen Vater.
So innig er an seiner Mutter hing und nach ihrem qualvollen Ende ihr Bild
treu in seinem Herzen trug, so sehr hatte er in seinem Innern das Andenken
an seinen Vater ertötet. Der Vater war ein leicht aufbrausender, zur Ver¬
schwendung, zum Spiel und zum Wohlleben geneigter Mann gewesen, der
außerdem seinem Weibe offenkundig die Treue brach. Die einzige Vorstellung
von ihm, die in der Seele des Knaben deutlich haften geblieben war, war
eine abschreckende: er sah den Vater mit drohend erhobner Hand vor sich stehen,
um ihn zu schlagen. Wie er aber in seiner Jugend bei seiner Mutter zu große
Nachsicht sand, so erfuhr er später als Mann bei den Frauen -- vor allem
in Stuttgart -- eine Teilnahme und Liebe, die nicht selten in Verweichlichung
und Verwöhnung ausartete. Man streute dem interessanten Fremdling, der
durch die zarten Töne, die er seiner Leier zu entlocken wußte, die Herzen ent¬
flammte und bezauberte, Weihrauch, und Lenau ließ sich gern davon berauschen,
zuweilen so, daß er sich der Übersättigung bewußt wurde. Schreibt er doch
am 8. November 1831, daß ihm der Übergang aus dem bewegten Gemütsleben
in Stuttgart, wo alles nur den Dichter haben und genießen wolle, in das
strengere Leben der Wissenschaft wohl bekomme. Am gefährlichsten war dieser
Kultus, den die Frauen mit ihm trieben, in den vierziger Jahren. Emma
Niendorf (Frau Emma Baronin v. Suckow) giebt in ihrem Buche "Lenau in
Schwaben" manchen bemerkenswerten Beitrag zur Kenntnis dieses Kultus und
ist selbst von dem Vorwurf einer, wenn auch ehrlichen, so doch allzuschnellen
Begeisterung für den Dichter nicht freizusprechen. Sophie Schwab aber gehörte
"u den Frauen, die bei aller Liebe, die sie für ihn hegten, doch nicht die
Wirklichkeit des Lebens aus dem Auge verloren.

Wer weiß, ob Lenaus Lebensfaden so jäh zerschnitten worden wäre, wenn
in der Fülle von Liebe und Verehrung, die er in Schwaben gefunden hatte,
die Besonnenheit die Oberhand behalten hätte. Am betrübendsten zeigt sich
seine Zwiespältigkeit in seinem Verhältnis zu Lotte Gmelin. Er konnte und
wollte nicht mehr an die Gunst des Schicksals glauben, schwankte wochen-, ja
monatelang zwischen Liebesglut und Zweifelsucht hin und her, sah, wie die
Geliebte litt, und fand doch nicht das erlösende Wort, bis die Verwandten,
die um das leibliche und seelische Wesen des Mädchens besorgt waren, sie
seinem Bannkreis entzogen. Hieraus erklärt es sich, daß Lenau nach seiner


Lenau und Sophie Schwab

uns zu betrübt, wenn ihre Jngend durch rege gewordne Hoffnungen getrübt würde,
die nicht in Erfüllung gehen.

Sophie urteilt hier sehr richtig. Eins der Grundgebrechen in dem Wesen
Lenaus war seine vollständige Hilflosigkeit, ja Ohnmacht den Fragen des
Praktischen Lebens gegenüber. In der Jugend wurde er von seiner ihn ab¬
göttisch verehrenden Mutter verwöhnt. Mit übertriebner Sorgfalt suchte sie
ihn vor jedem ernstern Zusammenstoß mit dem Leben zu bewahren. Der
Vaterliebe entbehrte er; ja. was noch schlimmer war: er fürchtete seinen Vater.
So innig er an seiner Mutter hing und nach ihrem qualvollen Ende ihr Bild
treu in seinem Herzen trug, so sehr hatte er in seinem Innern das Andenken
an seinen Vater ertötet. Der Vater war ein leicht aufbrausender, zur Ver¬
schwendung, zum Spiel und zum Wohlleben geneigter Mann gewesen, der
außerdem seinem Weibe offenkundig die Treue brach. Die einzige Vorstellung
von ihm, die in der Seele des Knaben deutlich haften geblieben war, war
eine abschreckende: er sah den Vater mit drohend erhobner Hand vor sich stehen,
um ihn zu schlagen. Wie er aber in seiner Jugend bei seiner Mutter zu große
Nachsicht sand, so erfuhr er später als Mann bei den Frauen — vor allem
in Stuttgart — eine Teilnahme und Liebe, die nicht selten in Verweichlichung
und Verwöhnung ausartete. Man streute dem interessanten Fremdling, der
durch die zarten Töne, die er seiner Leier zu entlocken wußte, die Herzen ent¬
flammte und bezauberte, Weihrauch, und Lenau ließ sich gern davon berauschen,
zuweilen so, daß er sich der Übersättigung bewußt wurde. Schreibt er doch
am 8. November 1831, daß ihm der Übergang aus dem bewegten Gemütsleben
in Stuttgart, wo alles nur den Dichter haben und genießen wolle, in das
strengere Leben der Wissenschaft wohl bekomme. Am gefährlichsten war dieser
Kultus, den die Frauen mit ihm trieben, in den vierziger Jahren. Emma
Niendorf (Frau Emma Baronin v. Suckow) giebt in ihrem Buche „Lenau in
Schwaben" manchen bemerkenswerten Beitrag zur Kenntnis dieses Kultus und
ist selbst von dem Vorwurf einer, wenn auch ehrlichen, so doch allzuschnellen
Begeisterung für den Dichter nicht freizusprechen. Sophie Schwab aber gehörte
«u den Frauen, die bei aller Liebe, die sie für ihn hegten, doch nicht die
Wirklichkeit des Lebens aus dem Auge verloren.

Wer weiß, ob Lenaus Lebensfaden so jäh zerschnitten worden wäre, wenn
in der Fülle von Liebe und Verehrung, die er in Schwaben gefunden hatte,
die Besonnenheit die Oberhand behalten hätte. Am betrübendsten zeigt sich
seine Zwiespältigkeit in seinem Verhältnis zu Lotte Gmelin. Er konnte und
wollte nicht mehr an die Gunst des Schicksals glauben, schwankte wochen-, ja
monatelang zwischen Liebesglut und Zweifelsucht hin und her, sah, wie die
Geliebte litt, und fand doch nicht das erlösende Wort, bis die Verwandten,
die um das leibliche und seelische Wesen des Mädchens besorgt waren, sie
seinem Bannkreis entzogen. Hieraus erklärt es sich, daß Lenau nach seiner


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[0331] Lenau und Sophie Schwab uns zu betrübt, wenn ihre Jngend durch rege gewordne Hoffnungen getrübt würde, die nicht in Erfüllung gehen. Sophie urteilt hier sehr richtig. Eins der Grundgebrechen in dem Wesen Lenaus war seine vollständige Hilflosigkeit, ja Ohnmacht den Fragen des Praktischen Lebens gegenüber. In der Jugend wurde er von seiner ihn ab¬ göttisch verehrenden Mutter verwöhnt. Mit übertriebner Sorgfalt suchte sie ihn vor jedem ernstern Zusammenstoß mit dem Leben zu bewahren. Der Vaterliebe entbehrte er; ja. was noch schlimmer war: er fürchtete seinen Vater. So innig er an seiner Mutter hing und nach ihrem qualvollen Ende ihr Bild treu in seinem Herzen trug, so sehr hatte er in seinem Innern das Andenken an seinen Vater ertötet. Der Vater war ein leicht aufbrausender, zur Ver¬ schwendung, zum Spiel und zum Wohlleben geneigter Mann gewesen, der außerdem seinem Weibe offenkundig die Treue brach. Die einzige Vorstellung von ihm, die in der Seele des Knaben deutlich haften geblieben war, war eine abschreckende: er sah den Vater mit drohend erhobner Hand vor sich stehen, um ihn zu schlagen. Wie er aber in seiner Jugend bei seiner Mutter zu große Nachsicht sand, so erfuhr er später als Mann bei den Frauen — vor allem in Stuttgart — eine Teilnahme und Liebe, die nicht selten in Verweichlichung und Verwöhnung ausartete. Man streute dem interessanten Fremdling, der durch die zarten Töne, die er seiner Leier zu entlocken wußte, die Herzen ent¬ flammte und bezauberte, Weihrauch, und Lenau ließ sich gern davon berauschen, zuweilen so, daß er sich der Übersättigung bewußt wurde. Schreibt er doch am 8. November 1831, daß ihm der Übergang aus dem bewegten Gemütsleben in Stuttgart, wo alles nur den Dichter haben und genießen wolle, in das strengere Leben der Wissenschaft wohl bekomme. Am gefährlichsten war dieser Kultus, den die Frauen mit ihm trieben, in den vierziger Jahren. Emma Niendorf (Frau Emma Baronin v. Suckow) giebt in ihrem Buche „Lenau in Schwaben" manchen bemerkenswerten Beitrag zur Kenntnis dieses Kultus und ist selbst von dem Vorwurf einer, wenn auch ehrlichen, so doch allzuschnellen Begeisterung für den Dichter nicht freizusprechen. Sophie Schwab aber gehörte «u den Frauen, die bei aller Liebe, die sie für ihn hegten, doch nicht die Wirklichkeit des Lebens aus dem Auge verloren. Wer weiß, ob Lenaus Lebensfaden so jäh zerschnitten worden wäre, wenn in der Fülle von Liebe und Verehrung, die er in Schwaben gefunden hatte, die Besonnenheit die Oberhand behalten hätte. Am betrübendsten zeigt sich seine Zwiespältigkeit in seinem Verhältnis zu Lotte Gmelin. Er konnte und wollte nicht mehr an die Gunst des Schicksals glauben, schwankte wochen-, ja monatelang zwischen Liebesglut und Zweifelsucht hin und her, sah, wie die Geliebte litt, und fand doch nicht das erlösende Wort, bis die Verwandten, die um das leibliche und seelische Wesen des Mädchens besorgt waren, sie seinem Bannkreis entzogen. Hieraus erklärt es sich, daß Lenau nach seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/331>, abgerufen am 22.07.2024.