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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

das Interesse, das er erregt. Zweigeburtig wird er genannt, da er sowohl
-- als Blitz und Sonnenglut -- vom Himmel stammt, wie auch durch Reib¬
hölzer und Feuersteine auf der Erde von Menschen erzeugt wird. Er ist eben
nichts andres als das Feuer selbst. Zur Sonne und zum Blitz, die mehr
andern Göttern zugehören, bringt man ihn selten in Beziehung, öfter wird
seines irdischen Ursprungs und seiner irdischen Wohnung gedacht. Zahlreich
sind Anrufungen wie folgende: "Der Wasser Sproß, der Wälder Äproß,
des Stehenden Sproß, des Beweglichen Sproß; selbst ein Stein ist deine
Wohnung." Der Wasseragni ist, wie Otterberg nachweist, nicht etwa der
ans den Wasserwolken zuckende Blitz, sondern eins mit dem Pflcmzenagni,
dem aus dem Reibholz gewonnenen Feuer; da die Bäume ohne Wasser nicht
wachsen können, wird der Ursprung des Feuers bis ins Wasser zurückverfolgt.
"Die Götter fanden. Agni, den Herrlichen, in den Wassern, im Schoße der
Schwestern. Die sieben Jungfrauen (die Strome des Pendschab) hatten den
Gesegneten großgezogen, der weiß zur Welt kommt, den roten, in seiner Größe.
Sie liefen zu ihm wie Stuten zum neugebornen Füllen. Die Götter beflaumten
Agni bei seiner Geburt. Er ist zu ihnen gegangen (in der Opferflamme empor¬
gestiegen), die nicht essen und doch nicht Schaden nehmen, zu des Himmels
jungen Töchtern, die sich nicht kleiden und doch nicht nackt sind. Da empfingen
die alten, die jungen, die einem Schoß entstammenden, die sieben Töne (des
beim Opfer gesungnen heiligen Liedes) eine Leibesfrucht. Ausgebreitet wurden
seine allgestaltigen geballten Massen im Mutterschoß der Butter, im Strom
der Honigtränke (das heißt an der Opferstätte, wo Butter und süßer Opfer¬
trank fließt). Dorthin traten die strotzenden Milchkühe. Des Wunderkräftigen
Eltern sind die beiden einander zugekehrten großen Welten. Der du getragen
wardst im Mutterschoß, Sohn der Kraft, du hast aufgeleuchtet, helle gewaltige
Wundergestalten annehmend. Es triefen die Ströme von Honigtrank, von
Butter, wo der Stier herangewachsen ist an Weisheit." Die unvollkommne
Naturerkenntnis der Priester fügt Agni in den Kreislauf des Wassers ein:
..Dasselbe Wasser geht hinauf und herab im Lauf der Tage; die Erde schwellen
die Regengüsse, den Himmel schwellen die Flammen Agnis." Weil Agni die
Opfergaben zum Himmel emporträgt, ist er ein priesterlicher Gott, ja selbst
der erste und höchste Priester. Dazu haben ihn die Götter eingesetzt, nachdem
sie den in Wassern und Pflanzen versteckten gesunden; ein Zwiegespräch zwischen
Agni und Vciruna, dem Wortführer der Götter, erzählt diese Einsetzung. Va-
runa spricht u. a.: "Komm her. Der Mensch ist fromm; er begehrt zu opfern.
Genug hast, Agni, in der Finsternis du geweilt. Mach die Götterpfade gangbar.
Günstiger Sinnes bring uns die Opferspeisen." Im Hause spielt Agni die¬
selbe Rolle, wie bei den westlichen Ariern die weibliche Gottheit Vesta. Als
Schützer des Hauses und der Familie wird er bei allen Gelegenheiten ange¬
rufen. "Sei der Versäumter von Gütern. Thu uns kein Leid, nicht dem


Die arischen Religionen und das Christentum

das Interesse, das er erregt. Zweigeburtig wird er genannt, da er sowohl
— als Blitz und Sonnenglut — vom Himmel stammt, wie auch durch Reib¬
hölzer und Feuersteine auf der Erde von Menschen erzeugt wird. Er ist eben
nichts andres als das Feuer selbst. Zur Sonne und zum Blitz, die mehr
andern Göttern zugehören, bringt man ihn selten in Beziehung, öfter wird
seines irdischen Ursprungs und seiner irdischen Wohnung gedacht. Zahlreich
sind Anrufungen wie folgende: „Der Wasser Sproß, der Wälder Äproß,
des Stehenden Sproß, des Beweglichen Sproß; selbst ein Stein ist deine
Wohnung." Der Wasseragni ist, wie Otterberg nachweist, nicht etwa der
ans den Wasserwolken zuckende Blitz, sondern eins mit dem Pflcmzenagni,
dem aus dem Reibholz gewonnenen Feuer; da die Bäume ohne Wasser nicht
wachsen können, wird der Ursprung des Feuers bis ins Wasser zurückverfolgt.
»Die Götter fanden. Agni, den Herrlichen, in den Wassern, im Schoße der
Schwestern. Die sieben Jungfrauen (die Strome des Pendschab) hatten den
Gesegneten großgezogen, der weiß zur Welt kommt, den roten, in seiner Größe.
Sie liefen zu ihm wie Stuten zum neugebornen Füllen. Die Götter beflaumten
Agni bei seiner Geburt. Er ist zu ihnen gegangen (in der Opferflamme empor¬
gestiegen), die nicht essen und doch nicht Schaden nehmen, zu des Himmels
jungen Töchtern, die sich nicht kleiden und doch nicht nackt sind. Da empfingen
die alten, die jungen, die einem Schoß entstammenden, die sieben Töne (des
beim Opfer gesungnen heiligen Liedes) eine Leibesfrucht. Ausgebreitet wurden
seine allgestaltigen geballten Massen im Mutterschoß der Butter, im Strom
der Honigtränke (das heißt an der Opferstätte, wo Butter und süßer Opfer¬
trank fließt). Dorthin traten die strotzenden Milchkühe. Des Wunderkräftigen
Eltern sind die beiden einander zugekehrten großen Welten. Der du getragen
wardst im Mutterschoß, Sohn der Kraft, du hast aufgeleuchtet, helle gewaltige
Wundergestalten annehmend. Es triefen die Ströme von Honigtrank, von
Butter, wo der Stier herangewachsen ist an Weisheit." Die unvollkommne
Naturerkenntnis der Priester fügt Agni in den Kreislauf des Wassers ein:
..Dasselbe Wasser geht hinauf und herab im Lauf der Tage; die Erde schwellen
die Regengüsse, den Himmel schwellen die Flammen Agnis." Weil Agni die
Opfergaben zum Himmel emporträgt, ist er ein priesterlicher Gott, ja selbst
der erste und höchste Priester. Dazu haben ihn die Götter eingesetzt, nachdem
sie den in Wassern und Pflanzen versteckten gesunden; ein Zwiegespräch zwischen
Agni und Vciruna, dem Wortführer der Götter, erzählt diese Einsetzung. Va-
runa spricht u. a.: „Komm her. Der Mensch ist fromm; er begehrt zu opfern.
Genug hast, Agni, in der Finsternis du geweilt. Mach die Götterpfade gangbar.
Günstiger Sinnes bring uns die Opferspeisen." Im Hause spielt Agni die¬
selbe Rolle, wie bei den westlichen Ariern die weibliche Gottheit Vesta. Als
Schützer des Hauses und der Familie wird er bei allen Gelegenheiten ange¬
rufen. „Sei der Versäumter von Gütern. Thu uns kein Leid, nicht dem


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[0311] Die arischen Religionen und das Christentum das Interesse, das er erregt. Zweigeburtig wird er genannt, da er sowohl — als Blitz und Sonnenglut — vom Himmel stammt, wie auch durch Reib¬ hölzer und Feuersteine auf der Erde von Menschen erzeugt wird. Er ist eben nichts andres als das Feuer selbst. Zur Sonne und zum Blitz, die mehr andern Göttern zugehören, bringt man ihn selten in Beziehung, öfter wird seines irdischen Ursprungs und seiner irdischen Wohnung gedacht. Zahlreich sind Anrufungen wie folgende: „Der Wasser Sproß, der Wälder Äproß, des Stehenden Sproß, des Beweglichen Sproß; selbst ein Stein ist deine Wohnung." Der Wasseragni ist, wie Otterberg nachweist, nicht etwa der ans den Wasserwolken zuckende Blitz, sondern eins mit dem Pflcmzenagni, dem aus dem Reibholz gewonnenen Feuer; da die Bäume ohne Wasser nicht wachsen können, wird der Ursprung des Feuers bis ins Wasser zurückverfolgt. »Die Götter fanden. Agni, den Herrlichen, in den Wassern, im Schoße der Schwestern. Die sieben Jungfrauen (die Strome des Pendschab) hatten den Gesegneten großgezogen, der weiß zur Welt kommt, den roten, in seiner Größe. Sie liefen zu ihm wie Stuten zum neugebornen Füllen. Die Götter beflaumten Agni bei seiner Geburt. Er ist zu ihnen gegangen (in der Opferflamme empor¬ gestiegen), die nicht essen und doch nicht Schaden nehmen, zu des Himmels jungen Töchtern, die sich nicht kleiden und doch nicht nackt sind. Da empfingen die alten, die jungen, die einem Schoß entstammenden, die sieben Töne (des beim Opfer gesungnen heiligen Liedes) eine Leibesfrucht. Ausgebreitet wurden seine allgestaltigen geballten Massen im Mutterschoß der Butter, im Strom der Honigtränke (das heißt an der Opferstätte, wo Butter und süßer Opfer¬ trank fließt). Dorthin traten die strotzenden Milchkühe. Des Wunderkräftigen Eltern sind die beiden einander zugekehrten großen Welten. Der du getragen wardst im Mutterschoß, Sohn der Kraft, du hast aufgeleuchtet, helle gewaltige Wundergestalten annehmend. Es triefen die Ströme von Honigtrank, von Butter, wo der Stier herangewachsen ist an Weisheit." Die unvollkommne Naturerkenntnis der Priester fügt Agni in den Kreislauf des Wassers ein: ..Dasselbe Wasser geht hinauf und herab im Lauf der Tage; die Erde schwellen die Regengüsse, den Himmel schwellen die Flammen Agnis." Weil Agni die Opfergaben zum Himmel emporträgt, ist er ein priesterlicher Gott, ja selbst der erste und höchste Priester. Dazu haben ihn die Götter eingesetzt, nachdem sie den in Wassern und Pflanzen versteckten gesunden; ein Zwiegespräch zwischen Agni und Vciruna, dem Wortführer der Götter, erzählt diese Einsetzung. Va- runa spricht u. a.: „Komm her. Der Mensch ist fromm; er begehrt zu opfern. Genug hast, Agni, in der Finsternis du geweilt. Mach die Götterpfade gangbar. Günstiger Sinnes bring uns die Opferspeisen." Im Hause spielt Agni die¬ selbe Rolle, wie bei den westlichen Ariern die weibliche Gottheit Vesta. Als Schützer des Hauses und der Familie wird er bei allen Gelegenheiten ange¬ rufen. „Sei der Versäumter von Gütern. Thu uns kein Leid, nicht dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/311>, abgerufen am 22.07.2024.