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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich von Treitschke

blickte. Er sprach völlig frei mit tiefer, klangvoller Stimme, die entscheidenden
Stellen mit einem eigentümlichen Nicken des Kopfes wie bekräftigend, in scharf
abgerundeten Sätzen, zuweilen auch in wuchtigen, rollenden Perioden, in einer
eigentümlichen, kraftvollen Ausdrucksweise voll tiefem und doch niemals er¬
müdendem Pathos, scharf und anschaulich schildernd, rückhaltlos und oft genug
schroff urteilend; aber immer empfand man, daß alles, was er sagte, aus tiefster
Überzeugung und aus einem energischen, begeisterten Patriotismus floß. Es
waren keine Vorlesungen zum Nachschreiben, ein gutes "Heft" zum Ein¬
pauker fürs Examen bekam man nicht bei ihm, denn die Bedeutung seiner
Vorträge lag nicht allein in den mitgeteilten Thatsachen, sondern vor allem
in der Art ihrer Mitteilung und in der Durchdringung des Stoffes mit dem
Hauche der ganzen mächtigen Persönlichkeit des Redners. Beides war ein
unzertrennliches Ganze, und beides wirkte unwiderstehlich. Die jungen Leute
da vor ihm kamen meist zu ihm noch ohne politisches Urteil, befangen in engen,
vorgefaßten Meinungen oder unsicher schwankend zwischen sehr verschiednen An¬
schauungen. Und nun trat ihnen ein Lehrer entgegen, jeder Zoll ein Mann
und ein Deutscher, mit fest gegründeter, unerschütterlicher Überzeugung. Da
fühlte sich mancher zuerst verwirrt und das Oberste in sich zu Anderst gekehrt,
aber bald wurde er unwiderstehlich gepackt, und wenn er von ihm ging, dann
hatte er eine politische Überzeugung gewonnen und hielt sie fest für sein
ganzes Leben.

Als Treitschke im Sommer 1863 den Ruf als ordentlicher Professor nach
Freiburg erhielt, nachdem er auch weitern Kreisen in der glänzenden Rede zum
Andenken der Leipziger Schlacht beim dritten deutschen Turnfeste die Wucht
seiner Beredsamkeit gezeigt hatte, da ging eine stürmische Aufregung durch die
Kreise seiner jugendlichen Zuhörer, und sie unterzeichneten in Scharen ein Gesuch
an das sächsische Kultusministerium, den geliebten und verehrten Lehrer in
Leipzig festzuhalten. Kluge Leute lächelten über diesen Schritt, und sie hatten
Recht, aber die andern ließen es sich dann doch nicht nehmen, dem Scheidenden
einen stattlichen Fackelzug zu bringen, dem die schwarzrotgoldnen Fahnen der
Leipziger Burschenschafter voranwehten. Das Jahr 1866 Vertrieb ihn aus
Baden, denn er wollte einem Staate, der mit Preußen im Kriege war, nicht
dienen. Der Sieg Preußens aber führte ihn nach der soeben wiedergewonnenen
Nordmark, nach Kiel auf Dahlmanns Lehrstuhl, den er aber schon 1867 wieder
mit dem Hüusfers in Heidelberg vertauschte. Seit 1874 hat er dann in
Berlin gelehrt, in der Hauptstadt des neuen Reichs, dessen begeisterter Prophet
er geworden war.

Das aber wurde er, weil er das verband, was freilich Ranke einmal als
unvereinbar bezeichnet hat, den Politiker und den Historiker. Denn seine
"warmherzige Männlichkeit" konnte sich nicht damit begnügen, die Dinge der
Vergangenheit zu betrachten und zu schildern, sondern er mußte eingreifen in


Heinrich von Treitschke

blickte. Er sprach völlig frei mit tiefer, klangvoller Stimme, die entscheidenden
Stellen mit einem eigentümlichen Nicken des Kopfes wie bekräftigend, in scharf
abgerundeten Sätzen, zuweilen auch in wuchtigen, rollenden Perioden, in einer
eigentümlichen, kraftvollen Ausdrucksweise voll tiefem und doch niemals er¬
müdendem Pathos, scharf und anschaulich schildernd, rückhaltlos und oft genug
schroff urteilend; aber immer empfand man, daß alles, was er sagte, aus tiefster
Überzeugung und aus einem energischen, begeisterten Patriotismus floß. Es
waren keine Vorlesungen zum Nachschreiben, ein gutes „Heft" zum Ein¬
pauker fürs Examen bekam man nicht bei ihm, denn die Bedeutung seiner
Vorträge lag nicht allein in den mitgeteilten Thatsachen, sondern vor allem
in der Art ihrer Mitteilung und in der Durchdringung des Stoffes mit dem
Hauche der ganzen mächtigen Persönlichkeit des Redners. Beides war ein
unzertrennliches Ganze, und beides wirkte unwiderstehlich. Die jungen Leute
da vor ihm kamen meist zu ihm noch ohne politisches Urteil, befangen in engen,
vorgefaßten Meinungen oder unsicher schwankend zwischen sehr verschiednen An¬
schauungen. Und nun trat ihnen ein Lehrer entgegen, jeder Zoll ein Mann
und ein Deutscher, mit fest gegründeter, unerschütterlicher Überzeugung. Da
fühlte sich mancher zuerst verwirrt und das Oberste in sich zu Anderst gekehrt,
aber bald wurde er unwiderstehlich gepackt, und wenn er von ihm ging, dann
hatte er eine politische Überzeugung gewonnen und hielt sie fest für sein
ganzes Leben.

Als Treitschke im Sommer 1863 den Ruf als ordentlicher Professor nach
Freiburg erhielt, nachdem er auch weitern Kreisen in der glänzenden Rede zum
Andenken der Leipziger Schlacht beim dritten deutschen Turnfeste die Wucht
seiner Beredsamkeit gezeigt hatte, da ging eine stürmische Aufregung durch die
Kreise seiner jugendlichen Zuhörer, und sie unterzeichneten in Scharen ein Gesuch
an das sächsische Kultusministerium, den geliebten und verehrten Lehrer in
Leipzig festzuhalten. Kluge Leute lächelten über diesen Schritt, und sie hatten
Recht, aber die andern ließen es sich dann doch nicht nehmen, dem Scheidenden
einen stattlichen Fackelzug zu bringen, dem die schwarzrotgoldnen Fahnen der
Leipziger Burschenschafter voranwehten. Das Jahr 1866 Vertrieb ihn aus
Baden, denn er wollte einem Staate, der mit Preußen im Kriege war, nicht
dienen. Der Sieg Preußens aber führte ihn nach der soeben wiedergewonnenen
Nordmark, nach Kiel auf Dahlmanns Lehrstuhl, den er aber schon 1867 wieder
mit dem Hüusfers in Heidelberg vertauschte. Seit 1874 hat er dann in
Berlin gelehrt, in der Hauptstadt des neuen Reichs, dessen begeisterter Prophet
er geworden war.

Das aber wurde er, weil er das verband, was freilich Ranke einmal als
unvereinbar bezeichnet hat, den Politiker und den Historiker. Denn seine
„warmherzige Männlichkeit" konnte sich nicht damit begnügen, die Dinge der
Vergangenheit zu betrachten und zu schildern, sondern er mußte eingreifen in


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[0283] Heinrich von Treitschke blickte. Er sprach völlig frei mit tiefer, klangvoller Stimme, die entscheidenden Stellen mit einem eigentümlichen Nicken des Kopfes wie bekräftigend, in scharf abgerundeten Sätzen, zuweilen auch in wuchtigen, rollenden Perioden, in einer eigentümlichen, kraftvollen Ausdrucksweise voll tiefem und doch niemals er¬ müdendem Pathos, scharf und anschaulich schildernd, rückhaltlos und oft genug schroff urteilend; aber immer empfand man, daß alles, was er sagte, aus tiefster Überzeugung und aus einem energischen, begeisterten Patriotismus floß. Es waren keine Vorlesungen zum Nachschreiben, ein gutes „Heft" zum Ein¬ pauker fürs Examen bekam man nicht bei ihm, denn die Bedeutung seiner Vorträge lag nicht allein in den mitgeteilten Thatsachen, sondern vor allem in der Art ihrer Mitteilung und in der Durchdringung des Stoffes mit dem Hauche der ganzen mächtigen Persönlichkeit des Redners. Beides war ein unzertrennliches Ganze, und beides wirkte unwiderstehlich. Die jungen Leute da vor ihm kamen meist zu ihm noch ohne politisches Urteil, befangen in engen, vorgefaßten Meinungen oder unsicher schwankend zwischen sehr verschiednen An¬ schauungen. Und nun trat ihnen ein Lehrer entgegen, jeder Zoll ein Mann und ein Deutscher, mit fest gegründeter, unerschütterlicher Überzeugung. Da fühlte sich mancher zuerst verwirrt und das Oberste in sich zu Anderst gekehrt, aber bald wurde er unwiderstehlich gepackt, und wenn er von ihm ging, dann hatte er eine politische Überzeugung gewonnen und hielt sie fest für sein ganzes Leben. Als Treitschke im Sommer 1863 den Ruf als ordentlicher Professor nach Freiburg erhielt, nachdem er auch weitern Kreisen in der glänzenden Rede zum Andenken der Leipziger Schlacht beim dritten deutschen Turnfeste die Wucht seiner Beredsamkeit gezeigt hatte, da ging eine stürmische Aufregung durch die Kreise seiner jugendlichen Zuhörer, und sie unterzeichneten in Scharen ein Gesuch an das sächsische Kultusministerium, den geliebten und verehrten Lehrer in Leipzig festzuhalten. Kluge Leute lächelten über diesen Schritt, und sie hatten Recht, aber die andern ließen es sich dann doch nicht nehmen, dem Scheidenden einen stattlichen Fackelzug zu bringen, dem die schwarzrotgoldnen Fahnen der Leipziger Burschenschafter voranwehten. Das Jahr 1866 Vertrieb ihn aus Baden, denn er wollte einem Staate, der mit Preußen im Kriege war, nicht dienen. Der Sieg Preußens aber führte ihn nach der soeben wiedergewonnenen Nordmark, nach Kiel auf Dahlmanns Lehrstuhl, den er aber schon 1867 wieder mit dem Hüusfers in Heidelberg vertauschte. Seit 1874 hat er dann in Berlin gelehrt, in der Hauptstadt des neuen Reichs, dessen begeisterter Prophet er geworden war. Das aber wurde er, weil er das verband, was freilich Ranke einmal als unvereinbar bezeichnet hat, den Politiker und den Historiker. Denn seine „warmherzige Männlichkeit" konnte sich nicht damit begnügen, die Dinge der Vergangenheit zu betrachten und zu schildern, sondern er mußte eingreifen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/283>, abgerufen am 24.08.2024.