Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.römischen Rechts wörtlich auswendig gewußt habe!), ich brütete dann in Berlin Vielleicht, daß nicht alles in dieser Jugendentwicklung so methodisch und römischen Rechts wörtlich auswendig gewußt habe!), ich brütete dann in Berlin Vielleicht, daß nicht alles in dieser Jugendentwicklung so methodisch und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0028" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222332"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_72" prev="#ID_71"> römischen Rechts wörtlich auswendig gewußt habe!), ich brütete dann in Berlin<lb/> über der Hegelschen Philosophie, ward „Ägyptolog" unter Lepsius und als<lb/> Friedrich Eggers Freund in Franz Kuglers Haus Jünger der Kunstgeschichte.<lb/> Ich trat in München in Sybels historisches Seminar und gewann mir mit<lb/> einer Schrift über Gottfried Hagens Reimchronik den Preis. Dann farcirten<lb/> wir vollends das Gehirn mit buntscheckiger Wissenschaft und klebten ihm den<lb/> Titel auf: Doktor der Philosophie. Dann kam die politische Zeit. Seit 1848<lb/> war ich, eines begeisterten Politikers Sohn, in Vaterlands- und Freiheits-<lb/> gcfühlen aufgewachsen, seit 1853, als der nichtswürdige »Berlin-Rostocker<lb/> Hochverratsprozeß« uns deu Vater in zweijährige Untersuchungshaft hinwegriß,<lb/> bis man ihn endlich entlassen und »s.b InstArM«, absolviren« mußte — seitdem<lb/> hatte ich tiefer, bitterer gefühlt, was es heißt, ohne Freiheit und ohne Vater¬<lb/> land leben. Nun begann mit 1859 eine neue Zeit, die deutschen Hoffnungen<lb/> sprangen wieder in den Sattel, ich verlor die Ruhe. Dem mecklenburgischen<lb/> Soldatenrock war ich durch Freilosuug entgangen; dem Dienst des Vaterlands<lb/> glaubte ich mich schuldig. Als die in München lebenden Patrioten die Süd¬<lb/> deutsche Zeitung gründeten und zu meiner Überraschung mich, den Zweiund-<lb/> zwanzigjährigen, dazu warben, warf ich meine neuen poetischen Versuche bei¬<lb/> seite und legte mir selber eine freiwillige zweijährige Dienstzeit auf, die Feder<lb/> statt der Muskete. Damals schien es mir viel nötiger und würdiger, meine<lb/> Jugendkraft der Wiederaufrichtung Deutschlands zu opfern, als still für mich<lb/> zu singen und zu sagen. Rastlos von Natur, hier zu einer Gründung aus<lb/> den rohesten Anfängen gestellt, Übersetzer, Korrektor, Kritiker, Theaterreferent,<lb/> Feuilletonist, Leitartikler, politischer Redakteur, Überwachcr der Druckerei, oft<lb/> Chef und alles zugleich — ich habe für neunhundert Gulden süddeutscher Wäh¬<lb/> rung »gedient.« O Dienstzeit! o Dienstzeit — dich vergeh ich nie. An dir<lb/> ermeß ich meine Freiheit, mein Glück. Thätig war ich wie nie zuvor, noch<lb/> nachher; und wohl ist Thätigkeit Glück; aber zu dieser war ich uicht geschaffen.<lb/> Je mehr mir alles gelang, je leichter ich mich von Sattel in Sattel warf,<lb/> desto heftiger, nagender, unerträglicher ward in mir der Widerwille gegen<lb/> diesen Beruf. Andre mag alles an ihm erfreuen; bei edler Gesinnung des<lb/> Unternehmens ist er eines tüchtigen Mannes wert; mir war dies ewige Einerlei<lb/> des ewigen Wechsels, dies ruhelose Leben von und für den Tag zuletzt wie<lb/> ein dauernder Selbstmord an Seele und Leib."</p><lb/> <p xml:id="ID_73" next="#ID_74"> Vielleicht, daß nicht alles in dieser Jugendentwicklung so methodisch und<lb/> bewußt zugegangen ist, vielleicht, daß der Zufall auch seinen Anteil an der<lb/> beängstigenden Vielheit und Buntheit der geistigen Interessen gehabt hat.<lb/> Über die Brücke einer sehr ernsten, in ihrer Weise noch heute unübertroffner<lb/> litterarhistorisch-biographischen Arbeit, seines Buches über Heinrich von Kleist<lb/> (1863), fand Wilbrandt den Rückweg zur Poesie. In dem unglücklichen<lb/> Dichter, der „seinen vaterländischen Stolz, sein leidenschaftliches nationales</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0028]
römischen Rechts wörtlich auswendig gewußt habe!), ich brütete dann in Berlin
über der Hegelschen Philosophie, ward „Ägyptolog" unter Lepsius und als
Friedrich Eggers Freund in Franz Kuglers Haus Jünger der Kunstgeschichte.
Ich trat in München in Sybels historisches Seminar und gewann mir mit
einer Schrift über Gottfried Hagens Reimchronik den Preis. Dann farcirten
wir vollends das Gehirn mit buntscheckiger Wissenschaft und klebten ihm den
Titel auf: Doktor der Philosophie. Dann kam die politische Zeit. Seit 1848
war ich, eines begeisterten Politikers Sohn, in Vaterlands- und Freiheits-
gcfühlen aufgewachsen, seit 1853, als der nichtswürdige »Berlin-Rostocker
Hochverratsprozeß« uns deu Vater in zweijährige Untersuchungshaft hinwegriß,
bis man ihn endlich entlassen und »s.b InstArM«, absolviren« mußte — seitdem
hatte ich tiefer, bitterer gefühlt, was es heißt, ohne Freiheit und ohne Vater¬
land leben. Nun begann mit 1859 eine neue Zeit, die deutschen Hoffnungen
sprangen wieder in den Sattel, ich verlor die Ruhe. Dem mecklenburgischen
Soldatenrock war ich durch Freilosuug entgangen; dem Dienst des Vaterlands
glaubte ich mich schuldig. Als die in München lebenden Patrioten die Süd¬
deutsche Zeitung gründeten und zu meiner Überraschung mich, den Zweiund-
zwanzigjährigen, dazu warben, warf ich meine neuen poetischen Versuche bei¬
seite und legte mir selber eine freiwillige zweijährige Dienstzeit auf, die Feder
statt der Muskete. Damals schien es mir viel nötiger und würdiger, meine
Jugendkraft der Wiederaufrichtung Deutschlands zu opfern, als still für mich
zu singen und zu sagen. Rastlos von Natur, hier zu einer Gründung aus
den rohesten Anfängen gestellt, Übersetzer, Korrektor, Kritiker, Theaterreferent,
Feuilletonist, Leitartikler, politischer Redakteur, Überwachcr der Druckerei, oft
Chef und alles zugleich — ich habe für neunhundert Gulden süddeutscher Wäh¬
rung »gedient.« O Dienstzeit! o Dienstzeit — dich vergeh ich nie. An dir
ermeß ich meine Freiheit, mein Glück. Thätig war ich wie nie zuvor, noch
nachher; und wohl ist Thätigkeit Glück; aber zu dieser war ich uicht geschaffen.
Je mehr mir alles gelang, je leichter ich mich von Sattel in Sattel warf,
desto heftiger, nagender, unerträglicher ward in mir der Widerwille gegen
diesen Beruf. Andre mag alles an ihm erfreuen; bei edler Gesinnung des
Unternehmens ist er eines tüchtigen Mannes wert; mir war dies ewige Einerlei
des ewigen Wechsels, dies ruhelose Leben von und für den Tag zuletzt wie
ein dauernder Selbstmord an Seele und Leib."
Vielleicht, daß nicht alles in dieser Jugendentwicklung so methodisch und
bewußt zugegangen ist, vielleicht, daß der Zufall auch seinen Anteil an der
beängstigenden Vielheit und Buntheit der geistigen Interessen gehabt hat.
Über die Brücke einer sehr ernsten, in ihrer Weise noch heute unübertroffner
litterarhistorisch-biographischen Arbeit, seines Buches über Heinrich von Kleist
(1863), fand Wilbrandt den Rückweg zur Poesie. In dem unglücklichen
Dichter, der „seinen vaterländischen Stolz, sein leidenschaftliches nationales
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |