Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Unberechtigte und berechtigte Ausländerei meinem Vaterlande besser zu dienen, wenn ich Ausländern von mir und damit Kommen Amerikaner oder Engländer zu uns, so messen wir sie selbst¬ Warum es ferner der Verfasser des erwähnten Aufsatzes "geradezu em¬ Fragen wir, was den Einzelnen veranlaßt, den heimatlichen Staub von Unberechtigte und berechtigte Ausländerei meinem Vaterlande besser zu dienen, wenn ich Ausländern von mir und damit Kommen Amerikaner oder Engländer zu uns, so messen wir sie selbst¬ Warum es ferner der Verfasser des erwähnten Aufsatzes „geradezu em¬ Fragen wir, was den Einzelnen veranlaßt, den heimatlichen Staub von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222491"/> <fw type="header" place="top"> Unberechtigte und berechtigte Ausländerei</fw><lb/> <p xml:id="ID_518" prev="#ID_517"> meinem Vaterlande besser zu dienen, wenn ich Ausländern von mir und damit<lb/> zugleich von der deutschen Nation einen hohen Begriff beibringe und Achtung<lb/> vor uns einflöße, eben dadurch, daß ich in der angegebnen Weise nachgebe,<lb/> als wenn ich in falsch angebrachter Starrköpfigkeit beharre, mich in den Ruf<lb/> der Grobheit bringe und damit zugleich meine Nation — denn in solchen Fällen<lb/> wird meist von dem Einzelnen auf die Gesamtheit geschlossen — in den Augen<lb/> der Ausländer zu einer Nation von Grobianen stemple. Hüte sich jeder vor<lb/> solcher Deutschtümelei!</p><lb/> <p xml:id="ID_519"> Kommen Amerikaner oder Engländer zu uns, so messen wir sie selbst¬<lb/> verständlich hinsichtlich ihrer Manieren, ihrer Ansichten und ihrer Handlungsweise<lb/> mit unserm Maßstab und fällen, je nachdem sie unsern Ansichten von Vornehm¬<lb/> heit entsprechen oder nicht, ein günstiges oder ungünstiges Urteil über sie. Also<lb/> auch hierin giebt es eine berechtigte Ausländerei, deren Anwendung dem einen<lb/> oder andern unsrer Landsleute nichts schaden könnte; jedenfalls sollte sie<lb/> dem, der sie betreibt, nicht zum Vorwurf gemacht, sondern zum Lob angerechnet<lb/> werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_520"> Warum es ferner der Verfasser des erwähnten Aufsatzes „geradezu em¬<lb/> pörend" findet, daß der Textschreiber der Gartenlaube die Töchter der „einst<lb/> eingewanderten lieben Verwandten" ohne weiteres als Amerikanerinnen be¬<lb/> zeichnet, ist mir geradezu unverständlich. staatsrechtlich werden in den meisten<lb/> Fällen die eingewanderten Deutschen und deren Frauen und Kinder, zumal<lb/> wenn die Kinder im Einwanderungsstaat geboren sind, Angehörige dieses<lb/> Staates sein. Denn wenn das Familienhaupt nicht schon vor oder bei seiner<lb/> Auswanderung aus der Heimat ans dem deutschen Staatsbürgerverbande aus¬<lb/> geschieden ist, so verwirkt es seine deutsche Staatsangehörigkeit durch ununter-<lb/> brochnem zehnjährigen Aufenthalt im Auslande, gerechnet vom Tage seines<lb/> Austritts aus dem Reichsgebiet oder vom Ablauf seines Reisepapiers oder<lb/> Heimatscheins, und mit ihm zugleich verlieren seine Ehefrau und die bei dem<lb/> Vater befindlichen, unter seiner Gewalt stehenden minderjährigen Kinder ihre<lb/> Staatsangehörigkeit. In Amerika tritt infolge des Staatsvertrags des Nord¬<lb/> deutschen Bundes mit den Vereinigten Staaten vom 22. Februar 1868 nach<lb/> 8 21 der Verlust des Deutschtums' schon durch fünfjährigen iinunterbrochnei,<lb/> Aufenthalt und Erwerbung der amerikanischen Staatsangehörigkeit ein. Aller¬<lb/> dings kann in jedem Falle die VerWirkung unterbrochen und damit die deutsche<lb/> Staatsangehörigkeit gewahrt werden durch Eintragung in die Matrikel eines<lb/> Reichskvnsuls. Warum das aber namentlich in Amerika und in Eng and ver¬<lb/> hältnismäßig selten geschieht, warum vielmehr die Deutschen so schnell als<lb/> möglich, noch vor Ablauf der fünf oder zehn Jahre, das amerikanische oder<lb/> englische Staatsbürgertum zu erwerben suchen, werden wir gleich sehen. Die<lb/> Sache hat einen rein praktischen Grund.</p><lb/> <p xml:id="ID_521" next="#ID_522"> Fragen wir, was den Einzelnen veranlaßt, den heimatlichen Staub von<lb/> den Füßen zu schütteln, um sich für längere Zeit oder dauernd im Auslande<lb/> niederzulassen, so werden wir finden, daß hauptsächlich zweierlei die Ver¬<lb/> anlassung dazu bildet. Entweder die Auswandrer gehören zu den Leuten,<lb/> denen in der Heimat der Boden unter den Füßen zu heiß geworden ist: dann<lb/> können wir nur zufrieden sein, wenn sie im Ausland ihre Nationalität ver¬<lb/> leugnen und das amerikanische oder ein andres Bürgertum erwerben; wollten<lb/> sie als Deutsche auftreten, wir hätten keinen Gewinn davon. Oder sie sind<lb/> ausgewandert, weil sie in der Heimat keinen hinreichenden Unterhalt und kein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
Unberechtigte und berechtigte Ausländerei
meinem Vaterlande besser zu dienen, wenn ich Ausländern von mir und damit
zugleich von der deutschen Nation einen hohen Begriff beibringe und Achtung
vor uns einflöße, eben dadurch, daß ich in der angegebnen Weise nachgebe,
als wenn ich in falsch angebrachter Starrköpfigkeit beharre, mich in den Ruf
der Grobheit bringe und damit zugleich meine Nation — denn in solchen Fällen
wird meist von dem Einzelnen auf die Gesamtheit geschlossen — in den Augen
der Ausländer zu einer Nation von Grobianen stemple. Hüte sich jeder vor
solcher Deutschtümelei!
Kommen Amerikaner oder Engländer zu uns, so messen wir sie selbst¬
verständlich hinsichtlich ihrer Manieren, ihrer Ansichten und ihrer Handlungsweise
mit unserm Maßstab und fällen, je nachdem sie unsern Ansichten von Vornehm¬
heit entsprechen oder nicht, ein günstiges oder ungünstiges Urteil über sie. Also
auch hierin giebt es eine berechtigte Ausländerei, deren Anwendung dem einen
oder andern unsrer Landsleute nichts schaden könnte; jedenfalls sollte sie
dem, der sie betreibt, nicht zum Vorwurf gemacht, sondern zum Lob angerechnet
werden.
Warum es ferner der Verfasser des erwähnten Aufsatzes „geradezu em¬
pörend" findet, daß der Textschreiber der Gartenlaube die Töchter der „einst
eingewanderten lieben Verwandten" ohne weiteres als Amerikanerinnen be¬
zeichnet, ist mir geradezu unverständlich. staatsrechtlich werden in den meisten
Fällen die eingewanderten Deutschen und deren Frauen und Kinder, zumal
wenn die Kinder im Einwanderungsstaat geboren sind, Angehörige dieses
Staates sein. Denn wenn das Familienhaupt nicht schon vor oder bei seiner
Auswanderung aus der Heimat ans dem deutschen Staatsbürgerverbande aus¬
geschieden ist, so verwirkt es seine deutsche Staatsangehörigkeit durch ununter-
brochnem zehnjährigen Aufenthalt im Auslande, gerechnet vom Tage seines
Austritts aus dem Reichsgebiet oder vom Ablauf seines Reisepapiers oder
Heimatscheins, und mit ihm zugleich verlieren seine Ehefrau und die bei dem
Vater befindlichen, unter seiner Gewalt stehenden minderjährigen Kinder ihre
Staatsangehörigkeit. In Amerika tritt infolge des Staatsvertrags des Nord¬
deutschen Bundes mit den Vereinigten Staaten vom 22. Februar 1868 nach
8 21 der Verlust des Deutschtums' schon durch fünfjährigen iinunterbrochnei,
Aufenthalt und Erwerbung der amerikanischen Staatsangehörigkeit ein. Aller¬
dings kann in jedem Falle die VerWirkung unterbrochen und damit die deutsche
Staatsangehörigkeit gewahrt werden durch Eintragung in die Matrikel eines
Reichskvnsuls. Warum das aber namentlich in Amerika und in Eng and ver¬
hältnismäßig selten geschieht, warum vielmehr die Deutschen so schnell als
möglich, noch vor Ablauf der fünf oder zehn Jahre, das amerikanische oder
englische Staatsbürgertum zu erwerben suchen, werden wir gleich sehen. Die
Sache hat einen rein praktischen Grund.
Fragen wir, was den Einzelnen veranlaßt, den heimatlichen Staub von
den Füßen zu schütteln, um sich für längere Zeit oder dauernd im Auslande
niederzulassen, so werden wir finden, daß hauptsächlich zweierlei die Ver¬
anlassung dazu bildet. Entweder die Auswandrer gehören zu den Leuten,
denen in der Heimat der Boden unter den Füßen zu heiß geworden ist: dann
können wir nur zufrieden sein, wenn sie im Ausland ihre Nationalität ver¬
leugnen und das amerikanische oder ein andres Bürgertum erwerben; wollten
sie als Deutsche auftreten, wir hätten keinen Gewinn davon. Oder sie sind
ausgewandert, weil sie in der Heimat keinen hinreichenden Unterhalt und kein
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