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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane

Kitty wird krank, und gleich nach der wundervoll geschilderten feierlichen
Bestattung des jüngsten Grafen ans dein Dorfkirchhofe bei Schloß Hubertus
geht sie mit Tante Gundi auf eine lange Erholungsreise nach Italien. Der
Wechsel der Szene kommt, wie begreiflich, bei Ganghofer zunächst der Natur¬
schilderung zu gute. Dann aber entwickelt sich vor diesen mannichfachen Ku¬
lissen die Herzensangelegenheit der Menschen weiter. Forbeck ist nämlich auch
in Italien und malt dort. Unser Interesse an der Handlung nimmt zu, aber
auch, wie es scheint, die Schwierigkeit, die Handlung zu Ende zu führen, durch
einen seltsamen Umstand. Forbeck ist, ohne daß er es weiß, das natürliche
Kind eines bedeutenden Münchner Malers, des Professors Werner, der nun
auch auf der Bühne erscheint, und -- der Tante Gundi! Nur des Dichters
feine Hand weiß das alles so zu behandeln und schließlich so zu lösen, daß
wir keinen Anstoß daran nehmen. Endlich, nachdem sich Forbeck und Kitty
wiedergefunden haben, muß Kitty mit der Tante zurück. Deun Graf Egge ist
totkrank an Blutvergiftung und außerdem erblindet. Seine Adler, die er im
Käfig unten im Park hielt, haben ihn verwundet, als er mit ihnen spielen
wollte. Dann hat er sie mit eigner Hand erschossen; der Jäger mußte ihm
die Büchse richten, sein Augenlicht war schon erloschen. Nun liegt er in
seinem Schlafzimmer im Schloß. Das Ende kann stündlich eintreten. Da
kommt denn nicht nur Kitty, sondern auch Tassilo, der Verstoßene. Er ist
nun der einzige Sohn. Denn Robert, dem der Vater noch zuletzt eine enorm
hohe Spielschuld bezahlt hatte, und dem dann Tassilo aus einer neue" Ver¬
wicklung mit seinem ganzen ersparten Vermögen zu helfen sich anschickt, ist
gerade im Duell erschossen worden. Ans dem Totenbette versöhnt sich nun
der alte Graf mit seinem letzten Erben. Auch Kneph Herzensangelegenheit
trägt ihm Tassilo vor, aber der Alte versteht ihren Sinn nicht mehr. Das ist
ein feiner Zug. Klaren Sinnes wäre der Alte vielleicht nicht zu bewegen
gewesen.

Neben diesem reichen Leben in der gräflichen Familie geht ein andres
Spiel her, dessen Rollen durch die Jäger des Grafen und andre Dorfbewohner
besetzt sind. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß Ganghofer gerade auf
diesem Boden die Fäden vorzüglich zu leiten verstanden hat. Für manchen
Leser wird der Roman in dem Leben dieser niedern Kreise seinen Hauptreiz
haben.




Neue Romane

Kitty wird krank, und gleich nach der wundervoll geschilderten feierlichen
Bestattung des jüngsten Grafen ans dein Dorfkirchhofe bei Schloß Hubertus
geht sie mit Tante Gundi auf eine lange Erholungsreise nach Italien. Der
Wechsel der Szene kommt, wie begreiflich, bei Ganghofer zunächst der Natur¬
schilderung zu gute. Dann aber entwickelt sich vor diesen mannichfachen Ku¬
lissen die Herzensangelegenheit der Menschen weiter. Forbeck ist nämlich auch
in Italien und malt dort. Unser Interesse an der Handlung nimmt zu, aber
auch, wie es scheint, die Schwierigkeit, die Handlung zu Ende zu führen, durch
einen seltsamen Umstand. Forbeck ist, ohne daß er es weiß, das natürliche
Kind eines bedeutenden Münchner Malers, des Professors Werner, der nun
auch auf der Bühne erscheint, und — der Tante Gundi! Nur des Dichters
feine Hand weiß das alles so zu behandeln und schließlich so zu lösen, daß
wir keinen Anstoß daran nehmen. Endlich, nachdem sich Forbeck und Kitty
wiedergefunden haben, muß Kitty mit der Tante zurück. Deun Graf Egge ist
totkrank an Blutvergiftung und außerdem erblindet. Seine Adler, die er im
Käfig unten im Park hielt, haben ihn verwundet, als er mit ihnen spielen
wollte. Dann hat er sie mit eigner Hand erschossen; der Jäger mußte ihm
die Büchse richten, sein Augenlicht war schon erloschen. Nun liegt er in
seinem Schlafzimmer im Schloß. Das Ende kann stündlich eintreten. Da
kommt denn nicht nur Kitty, sondern auch Tassilo, der Verstoßene. Er ist
nun der einzige Sohn. Denn Robert, dem der Vater noch zuletzt eine enorm
hohe Spielschuld bezahlt hatte, und dem dann Tassilo aus einer neue» Ver¬
wicklung mit seinem ganzen ersparten Vermögen zu helfen sich anschickt, ist
gerade im Duell erschossen worden. Ans dem Totenbette versöhnt sich nun
der alte Graf mit seinem letzten Erben. Auch Kneph Herzensangelegenheit
trägt ihm Tassilo vor, aber der Alte versteht ihren Sinn nicht mehr. Das ist
ein feiner Zug. Klaren Sinnes wäre der Alte vielleicht nicht zu bewegen
gewesen.

Neben diesem reichen Leben in der gräflichen Familie geht ein andres
Spiel her, dessen Rollen durch die Jäger des Grafen und andre Dorfbewohner
besetzt sind. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß Ganghofer gerade auf
diesem Boden die Fäden vorzüglich zu leiten verstanden hat. Für manchen
Leser wird der Roman in dem Leben dieser niedern Kreise seinen Hauptreiz
haben.




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[0184] Neue Romane Kitty wird krank, und gleich nach der wundervoll geschilderten feierlichen Bestattung des jüngsten Grafen ans dein Dorfkirchhofe bei Schloß Hubertus geht sie mit Tante Gundi auf eine lange Erholungsreise nach Italien. Der Wechsel der Szene kommt, wie begreiflich, bei Ganghofer zunächst der Natur¬ schilderung zu gute. Dann aber entwickelt sich vor diesen mannichfachen Ku¬ lissen die Herzensangelegenheit der Menschen weiter. Forbeck ist nämlich auch in Italien und malt dort. Unser Interesse an der Handlung nimmt zu, aber auch, wie es scheint, die Schwierigkeit, die Handlung zu Ende zu führen, durch einen seltsamen Umstand. Forbeck ist, ohne daß er es weiß, das natürliche Kind eines bedeutenden Münchner Malers, des Professors Werner, der nun auch auf der Bühne erscheint, und — der Tante Gundi! Nur des Dichters feine Hand weiß das alles so zu behandeln und schließlich so zu lösen, daß wir keinen Anstoß daran nehmen. Endlich, nachdem sich Forbeck und Kitty wiedergefunden haben, muß Kitty mit der Tante zurück. Deun Graf Egge ist totkrank an Blutvergiftung und außerdem erblindet. Seine Adler, die er im Käfig unten im Park hielt, haben ihn verwundet, als er mit ihnen spielen wollte. Dann hat er sie mit eigner Hand erschossen; der Jäger mußte ihm die Büchse richten, sein Augenlicht war schon erloschen. Nun liegt er in seinem Schlafzimmer im Schloß. Das Ende kann stündlich eintreten. Da kommt denn nicht nur Kitty, sondern auch Tassilo, der Verstoßene. Er ist nun der einzige Sohn. Denn Robert, dem der Vater noch zuletzt eine enorm hohe Spielschuld bezahlt hatte, und dem dann Tassilo aus einer neue» Ver¬ wicklung mit seinem ganzen ersparten Vermögen zu helfen sich anschickt, ist gerade im Duell erschossen worden. Ans dem Totenbette versöhnt sich nun der alte Graf mit seinem letzten Erben. Auch Kneph Herzensangelegenheit trägt ihm Tassilo vor, aber der Alte versteht ihren Sinn nicht mehr. Das ist ein feiner Zug. Klaren Sinnes wäre der Alte vielleicht nicht zu bewegen gewesen. Neben diesem reichen Leben in der gräflichen Familie geht ein andres Spiel her, dessen Rollen durch die Jäger des Grafen und andre Dorfbewohner besetzt sind. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß Ganghofer gerade auf diesem Boden die Fäden vorzüglich zu leiten verstanden hat. Für manchen Leser wird der Roman in dem Leben dieser niedern Kreise seinen Hauptreiz haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/184>, abgerufen am 24.08.2024.