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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane

uns die zwei besten in jenem Zweifel bestärken. Es sind leicht hingeworfne
Skizzen von ganz vorzüglicher Stimmung. "Die Jagdhunde ihres Mannes":
Eine vornehme Gutsherrin, untröstlich über den Tod ihres eben verstorbnen
Gatten, wird durch dessen Lieblingssünde auf die Spur eines verbotenen Ver¬
hältnisses geführt, das der Verstorbne mit einer Waldhüterstochter unterhalten
hat. Sie verschenkt die Hunde an einen Gutsnachbar, dessen Gattin sie dann
wird. Wir können den Gegenstand nur andeuten, von den Farben der Aus¬
führung aber keine Vorstellung geben. Ebenso bei der "Apfelblüte." Ein
alter verwitweter Baron verliebt sich in eine Pastorstochter, die Pate seiner
verstorbnen Frau, die er erziehen läßt. Er ladet sie auf sein Gut ein und
verliebt sich in sie. Aber allerlei bedeutungsvolle Nebenumstände, unter anderm
die Blätter von Apfelblüten, die auf die Kleider der beiden jungen Leute ge¬
fallen sind, machen es ihm rechtzeitig klar, daß diese, nämlich sein eigner
Neffe und jenes junge Mädchen, ein Paar werden müssen, und so tritt er
freiwillig zurück. Möglich, daß der Reiz dieser beiden, aus alltäglichen
Ereignissen hervorgegangnen Erzählungen mit auf der nur andeutenden Be¬
handlung beruht. Aber sie hätten doch auch mehr Ausführung vertragen
und würden uns wahrscheinlich dann besser gefallen haben als die "Welt¬
verbesserer."

Im Zuge der Pest, Roman aus Kurlands Vorzeit von Eberhard
Kraus (Reval, Kluge, 1895) spielt im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts,
ist sehr gut geschrieben und im übrigen vornehm und anspruchsvoll, echt
"ostseeprovinzialisch." Dort in der baltischen Heimat wird die Erzählung gern
gelesen werden als angenehmes Spiegelbild einstigen Glanzes. Aber uns
Reichsdeutschen liegen wohl andre Bedürfnisse näher, als das. die Sorgen der
tur- und livländischen Barone nun auch noch in der Dichtung zu genießen.

Alle bis jetzt erwähnten Bücher überragt aber doch hoch ein neuer, echter
Ganghofer: Schloß Hubertus (Stuttgart, Bonz u. Co., 1896, 2 Bände).
Das ist das Werk eines beobachtenden und dichtenden Erzählers von Gottes
Gnaden, das uns gleich angenehm empfängt und mit wohlthuenden Eindrücken
wieder entläßt. Wir suchen nicht nach Einzelschönheiten, um sie empfehlend
hervorzuheben. Wir sind durch das Ganze befriedigt. Wir fühlen: das ist
Leben, hie und da leicht idealisirt, wie es sein muß; nirgends sentimental und
geziert, aber auch nirgends derb und verletzend. Doch einen bessern Dienst,
als durch alle weiter Charakterisirung, thun wir wahrscheinlich unsern Lesern
durch eine kurze Angabe des Inhalts.

Schloß Hubertus ist ein prächtiger Herrensitz am See in den Vorbergen
der bairischen Alpen. Der alte Graf Egge, dem er gehört, sitzt meistens mit
seinen Förstern und Dienern in der Jagdhütte oben im Gebirge und stellt
von dort aus den Hirschen und Gemsen seines weiten Reviers nach. Denn
für nichts andres hat er Sinn, und wenn seine drei Söhne aus München auf


Neue Romane

uns die zwei besten in jenem Zweifel bestärken. Es sind leicht hingeworfne
Skizzen von ganz vorzüglicher Stimmung. „Die Jagdhunde ihres Mannes":
Eine vornehme Gutsherrin, untröstlich über den Tod ihres eben verstorbnen
Gatten, wird durch dessen Lieblingssünde auf die Spur eines verbotenen Ver¬
hältnisses geführt, das der Verstorbne mit einer Waldhüterstochter unterhalten
hat. Sie verschenkt die Hunde an einen Gutsnachbar, dessen Gattin sie dann
wird. Wir können den Gegenstand nur andeuten, von den Farben der Aus¬
führung aber keine Vorstellung geben. Ebenso bei der „Apfelblüte." Ein
alter verwitweter Baron verliebt sich in eine Pastorstochter, die Pate seiner
verstorbnen Frau, die er erziehen läßt. Er ladet sie auf sein Gut ein und
verliebt sich in sie. Aber allerlei bedeutungsvolle Nebenumstände, unter anderm
die Blätter von Apfelblüten, die auf die Kleider der beiden jungen Leute ge¬
fallen sind, machen es ihm rechtzeitig klar, daß diese, nämlich sein eigner
Neffe und jenes junge Mädchen, ein Paar werden müssen, und so tritt er
freiwillig zurück. Möglich, daß der Reiz dieser beiden, aus alltäglichen
Ereignissen hervorgegangnen Erzählungen mit auf der nur andeutenden Be¬
handlung beruht. Aber sie hätten doch auch mehr Ausführung vertragen
und würden uns wahrscheinlich dann besser gefallen haben als die „Welt¬
verbesserer."

Im Zuge der Pest, Roman aus Kurlands Vorzeit von Eberhard
Kraus (Reval, Kluge, 1895) spielt im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts,
ist sehr gut geschrieben und im übrigen vornehm und anspruchsvoll, echt
„ostseeprovinzialisch." Dort in der baltischen Heimat wird die Erzählung gern
gelesen werden als angenehmes Spiegelbild einstigen Glanzes. Aber uns
Reichsdeutschen liegen wohl andre Bedürfnisse näher, als das. die Sorgen der
tur- und livländischen Barone nun auch noch in der Dichtung zu genießen.

Alle bis jetzt erwähnten Bücher überragt aber doch hoch ein neuer, echter
Ganghofer: Schloß Hubertus (Stuttgart, Bonz u. Co., 1896, 2 Bände).
Das ist das Werk eines beobachtenden und dichtenden Erzählers von Gottes
Gnaden, das uns gleich angenehm empfängt und mit wohlthuenden Eindrücken
wieder entläßt. Wir suchen nicht nach Einzelschönheiten, um sie empfehlend
hervorzuheben. Wir sind durch das Ganze befriedigt. Wir fühlen: das ist
Leben, hie und da leicht idealisirt, wie es sein muß; nirgends sentimental und
geziert, aber auch nirgends derb und verletzend. Doch einen bessern Dienst,
als durch alle weiter Charakterisirung, thun wir wahrscheinlich unsern Lesern
durch eine kurze Angabe des Inhalts.

Schloß Hubertus ist ein prächtiger Herrensitz am See in den Vorbergen
der bairischen Alpen. Der alte Graf Egge, dem er gehört, sitzt meistens mit
seinen Förstern und Dienern in der Jagdhütte oben im Gebirge und stellt
von dort aus den Hirschen und Gemsen seines weiten Reviers nach. Denn
für nichts andres hat er Sinn, und wenn seine drei Söhne aus München auf


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[0182] Neue Romane uns die zwei besten in jenem Zweifel bestärken. Es sind leicht hingeworfne Skizzen von ganz vorzüglicher Stimmung. „Die Jagdhunde ihres Mannes": Eine vornehme Gutsherrin, untröstlich über den Tod ihres eben verstorbnen Gatten, wird durch dessen Lieblingssünde auf die Spur eines verbotenen Ver¬ hältnisses geführt, das der Verstorbne mit einer Waldhüterstochter unterhalten hat. Sie verschenkt die Hunde an einen Gutsnachbar, dessen Gattin sie dann wird. Wir können den Gegenstand nur andeuten, von den Farben der Aus¬ führung aber keine Vorstellung geben. Ebenso bei der „Apfelblüte." Ein alter verwitweter Baron verliebt sich in eine Pastorstochter, die Pate seiner verstorbnen Frau, die er erziehen läßt. Er ladet sie auf sein Gut ein und verliebt sich in sie. Aber allerlei bedeutungsvolle Nebenumstände, unter anderm die Blätter von Apfelblüten, die auf die Kleider der beiden jungen Leute ge¬ fallen sind, machen es ihm rechtzeitig klar, daß diese, nämlich sein eigner Neffe und jenes junge Mädchen, ein Paar werden müssen, und so tritt er freiwillig zurück. Möglich, daß der Reiz dieser beiden, aus alltäglichen Ereignissen hervorgegangnen Erzählungen mit auf der nur andeutenden Be¬ handlung beruht. Aber sie hätten doch auch mehr Ausführung vertragen und würden uns wahrscheinlich dann besser gefallen haben als die „Welt¬ verbesserer." Im Zuge der Pest, Roman aus Kurlands Vorzeit von Eberhard Kraus (Reval, Kluge, 1895) spielt im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, ist sehr gut geschrieben und im übrigen vornehm und anspruchsvoll, echt „ostseeprovinzialisch." Dort in der baltischen Heimat wird die Erzählung gern gelesen werden als angenehmes Spiegelbild einstigen Glanzes. Aber uns Reichsdeutschen liegen wohl andre Bedürfnisse näher, als das. die Sorgen der tur- und livländischen Barone nun auch noch in der Dichtung zu genießen. Alle bis jetzt erwähnten Bücher überragt aber doch hoch ein neuer, echter Ganghofer: Schloß Hubertus (Stuttgart, Bonz u. Co., 1896, 2 Bände). Das ist das Werk eines beobachtenden und dichtenden Erzählers von Gottes Gnaden, das uns gleich angenehm empfängt und mit wohlthuenden Eindrücken wieder entläßt. Wir suchen nicht nach Einzelschönheiten, um sie empfehlend hervorzuheben. Wir sind durch das Ganze befriedigt. Wir fühlen: das ist Leben, hie und da leicht idealisirt, wie es sein muß; nirgends sentimental und geziert, aber auch nirgends derb und verletzend. Doch einen bessern Dienst, als durch alle weiter Charakterisirung, thun wir wahrscheinlich unsern Lesern durch eine kurze Angabe des Inhalts. Schloß Hubertus ist ein prächtiger Herrensitz am See in den Vorbergen der bairischen Alpen. Der alte Graf Egge, dem er gehört, sitzt meistens mit seinen Förstern und Dienern in der Jagdhütte oben im Gebirge und stellt von dort aus den Hirschen und Gemsen seines weiten Reviers nach. Denn für nichts andres hat er Sinn, und wenn seine drei Söhne aus München auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/182>, abgerufen am 22.07.2024.