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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane

der Frau, die äußerlich musterhaft für ihn sorgt, und fordert keine geistige
Teilnahme, der ihre Natur nicht gewachsen ist, an seinen ohnehin wenig ernst¬
haften Interessen. Und so finden sie sich denn wieder, zunächst auf einer langen
Erholungsreise in die Schweiz, wo wir sie auf immer verlassen. Wolfgang
ist es nicht so gut ergangen. Auch er ist krank geworden. Seine Frau quält
ihn immer weiter mit ihren Ordnungen, ihren Ansprüchen und ihrem Geiz.
Sie findet ihn unausstehlich, nennt ihn "Trottel" usw., sodaß er sich in seinein
Unmut von der schönen Villa am Wannsee tagelang entfernt, auf dem See
rudert und das Ehejoch ihm immer widerwärtiger wird. Da findet er eines
Tages plötzlich Lene, die von Fritz, wie wir sehen, wiederum Verlassene, am
Ufer hin und her irren. Er speist mit ihr in dem Restaurant, wo sie sich
zuerst getroffen haben. Dann fahren sie auf den See hinaus. Sie geht ins
Wasser, und er, um sie zu retten, ihr nach. Aber ohne Erfolg. Es ist für
beide zu spät.

Diese traurige Geschichte ist, wie sich das bei Telmann von selbst versteht,
gut. nicht schleppend und nicht langweilig, wenn auch nicht gerade spannend
erzählt. Denn viel Handlung, auf die wir begierig sein könnten, giebt es
nicht, und um uns großen Anteil abzunötigen, dazu sind diese Leute sämtlich
entweder zu blasirt oder doch zu alltäglich. Aber es wird lebendig geschildert.
Man hat den Eindruck: so ist das Leben, wenn auch zum Glück nicht immer
und überall. Man kennt ja die Sprachmittel, die das zu einem großen Teile
schon an sich bewirkein "Und denn," "und nu," "rausschieben." "reingehen,"
"ganz im konträren Gegenteil," "jeder nach seinem Chaleur," und was man
alles noch sagen kann, ohne, wie man früher meinte, es auch schreiben zu
müssen. Es giebt ohne Zweifel zahlreiche Menschen, die einen solchen Roman
gern lesen und ihn sehr unterhaltend finden werden. Hat aber diese Wirk¬
lichkeit etwas irgendwie erfreuliches? Haben wir einen höhern, bessern Ein¬
druck, wenn wir das Buch genossen haben? Vielleicht daß die Leute aus dem
Volke, wie Lene, etwas besser sind als die "Bourgeois," männliche und weib¬
liche. Das wäre aber auch alles. Hätten wenigstens Fritz und Wolfgang
noch solche Romane geschrieben, so hätten sie selbst sich Geld verdient und
hätten nicht solche Unglücksehen einzugehen brauchen. Aber der Verfasser
schildert ausführlich und unerbittlich, daß sie das nicht konnten (und hier wird
er manchmal etwas langweilig in dieser auf nichts hinauslaufenden Ausführ¬
lichkeit), und so können wir uns doch eigentlich sür diese beiden Haupthelden
trotz der verschiednen Sorten von Getränken, Cigarren und Cigaretten, denen
sie einen großen Teil ihres Daseins widmen, nicht näher interessiren. Es sind
Jammermenschen, die man in ihren Restaurants lassen sollte, wo sie ja eine
Aufgabe zu erfüllen haben mögen.

Tino Moralt von Walther Siegfried (München, Rupprecht, 1896,
zweite Auflage) ist ein wirklicher, ausgearbeiteter Roman, ernst, vielleicht etwas


Neue Romane

der Frau, die äußerlich musterhaft für ihn sorgt, und fordert keine geistige
Teilnahme, der ihre Natur nicht gewachsen ist, an seinen ohnehin wenig ernst¬
haften Interessen. Und so finden sie sich denn wieder, zunächst auf einer langen
Erholungsreise in die Schweiz, wo wir sie auf immer verlassen. Wolfgang
ist es nicht so gut ergangen. Auch er ist krank geworden. Seine Frau quält
ihn immer weiter mit ihren Ordnungen, ihren Ansprüchen und ihrem Geiz.
Sie findet ihn unausstehlich, nennt ihn „Trottel" usw., sodaß er sich in seinein
Unmut von der schönen Villa am Wannsee tagelang entfernt, auf dem See
rudert und das Ehejoch ihm immer widerwärtiger wird. Da findet er eines
Tages plötzlich Lene, die von Fritz, wie wir sehen, wiederum Verlassene, am
Ufer hin und her irren. Er speist mit ihr in dem Restaurant, wo sie sich
zuerst getroffen haben. Dann fahren sie auf den See hinaus. Sie geht ins
Wasser, und er, um sie zu retten, ihr nach. Aber ohne Erfolg. Es ist für
beide zu spät.

Diese traurige Geschichte ist, wie sich das bei Telmann von selbst versteht,
gut. nicht schleppend und nicht langweilig, wenn auch nicht gerade spannend
erzählt. Denn viel Handlung, auf die wir begierig sein könnten, giebt es
nicht, und um uns großen Anteil abzunötigen, dazu sind diese Leute sämtlich
entweder zu blasirt oder doch zu alltäglich. Aber es wird lebendig geschildert.
Man hat den Eindruck: so ist das Leben, wenn auch zum Glück nicht immer
und überall. Man kennt ja die Sprachmittel, die das zu einem großen Teile
schon an sich bewirkein „Und denn," „und nu," „rausschieben." „reingehen,"
„ganz im konträren Gegenteil," „jeder nach seinem Chaleur," und was man
alles noch sagen kann, ohne, wie man früher meinte, es auch schreiben zu
müssen. Es giebt ohne Zweifel zahlreiche Menschen, die einen solchen Roman
gern lesen und ihn sehr unterhaltend finden werden. Hat aber diese Wirk¬
lichkeit etwas irgendwie erfreuliches? Haben wir einen höhern, bessern Ein¬
druck, wenn wir das Buch genossen haben? Vielleicht daß die Leute aus dem
Volke, wie Lene, etwas besser sind als die „Bourgeois," männliche und weib¬
liche. Das wäre aber auch alles. Hätten wenigstens Fritz und Wolfgang
noch solche Romane geschrieben, so hätten sie selbst sich Geld verdient und
hätten nicht solche Unglücksehen einzugehen brauchen. Aber der Verfasser
schildert ausführlich und unerbittlich, daß sie das nicht konnten (und hier wird
er manchmal etwas langweilig in dieser auf nichts hinauslaufenden Ausführ¬
lichkeit), und so können wir uns doch eigentlich sür diese beiden Haupthelden
trotz der verschiednen Sorten von Getränken, Cigarren und Cigaretten, denen
sie einen großen Teil ihres Daseins widmen, nicht näher interessiren. Es sind
Jammermenschen, die man in ihren Restaurants lassen sollte, wo sie ja eine
Aufgabe zu erfüllen haben mögen.

Tino Moralt von Walther Siegfried (München, Rupprecht, 1896,
zweite Auflage) ist ein wirklicher, ausgearbeiteter Roman, ernst, vielleicht etwas


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[0179] Neue Romane der Frau, die äußerlich musterhaft für ihn sorgt, und fordert keine geistige Teilnahme, der ihre Natur nicht gewachsen ist, an seinen ohnehin wenig ernst¬ haften Interessen. Und so finden sie sich denn wieder, zunächst auf einer langen Erholungsreise in die Schweiz, wo wir sie auf immer verlassen. Wolfgang ist es nicht so gut ergangen. Auch er ist krank geworden. Seine Frau quält ihn immer weiter mit ihren Ordnungen, ihren Ansprüchen und ihrem Geiz. Sie findet ihn unausstehlich, nennt ihn „Trottel" usw., sodaß er sich in seinein Unmut von der schönen Villa am Wannsee tagelang entfernt, auf dem See rudert und das Ehejoch ihm immer widerwärtiger wird. Da findet er eines Tages plötzlich Lene, die von Fritz, wie wir sehen, wiederum Verlassene, am Ufer hin und her irren. Er speist mit ihr in dem Restaurant, wo sie sich zuerst getroffen haben. Dann fahren sie auf den See hinaus. Sie geht ins Wasser, und er, um sie zu retten, ihr nach. Aber ohne Erfolg. Es ist für beide zu spät. Diese traurige Geschichte ist, wie sich das bei Telmann von selbst versteht, gut. nicht schleppend und nicht langweilig, wenn auch nicht gerade spannend erzählt. Denn viel Handlung, auf die wir begierig sein könnten, giebt es nicht, und um uns großen Anteil abzunötigen, dazu sind diese Leute sämtlich entweder zu blasirt oder doch zu alltäglich. Aber es wird lebendig geschildert. Man hat den Eindruck: so ist das Leben, wenn auch zum Glück nicht immer und überall. Man kennt ja die Sprachmittel, die das zu einem großen Teile schon an sich bewirkein „Und denn," „und nu," „rausschieben." „reingehen," „ganz im konträren Gegenteil," „jeder nach seinem Chaleur," und was man alles noch sagen kann, ohne, wie man früher meinte, es auch schreiben zu müssen. Es giebt ohne Zweifel zahlreiche Menschen, die einen solchen Roman gern lesen und ihn sehr unterhaltend finden werden. Hat aber diese Wirk¬ lichkeit etwas irgendwie erfreuliches? Haben wir einen höhern, bessern Ein¬ druck, wenn wir das Buch genossen haben? Vielleicht daß die Leute aus dem Volke, wie Lene, etwas besser sind als die „Bourgeois," männliche und weib¬ liche. Das wäre aber auch alles. Hätten wenigstens Fritz und Wolfgang noch solche Romane geschrieben, so hätten sie selbst sich Geld verdient und hätten nicht solche Unglücksehen einzugehen brauchen. Aber der Verfasser schildert ausführlich und unerbittlich, daß sie das nicht konnten (und hier wird er manchmal etwas langweilig in dieser auf nichts hinauslaufenden Ausführ¬ lichkeit), und so können wir uns doch eigentlich sür diese beiden Haupthelden trotz der verschiednen Sorten von Getränken, Cigarren und Cigaretten, denen sie einen großen Teil ihres Daseins widmen, nicht näher interessiren. Es sind Jammermenschen, die man in ihren Restaurants lassen sollte, wo sie ja eine Aufgabe zu erfüllen haben mögen. Tino Moralt von Walther Siegfried (München, Rupprecht, 1896, zweite Auflage) ist ein wirklicher, ausgearbeiteter Roman, ernst, vielleicht etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/179>, abgerufen am 03.07.2024.