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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Unsre Pflicht im Transvaal

noch wünschenswerter als den der Goldfelder an der streitigen Venezuelagrenze
und in dem zweifelhaften Grenzstreifen Alaskas. Goldländer zu gewinnen ist ja
ein Grundgedanke der englischen Weltpolitik. Im gegenwärtigen Augenblick
mochte es scheinen, als ob jener leichter zu erlangen sei als diese, denn keine
afrikanische Großmacht ruft ihr gebieterisches "Hände weg!" Nur das zerrissene
Europa steht der unersättlichen Rasse gegenüber, die sich berufen glaubt, alle
besten Länder der Erde zu besitzen.

Werden sich Deutschland und Frankreich nicht auch diesmal einigen wie in
Ostasien? Daß man es doch hoffen dürfte! Frankreich weiß, daß auch seiue
Besetzung Madagaskars in England und Südafrika als ein Eingriff in die
provioentielle Zuteilung Afrikas an die anglokeltische Nasse angesehen wird.
Gleich hinter der Hinausdrängung Deutschlands aus Südwestafrika kommt
auf dem Programm der Großenglündcr die Rückgewinnung von Madagaskar,
das die Dolmetscher der Ansichten von Cecil Rhodes als ein natürliches An¬
hängsel Südafrikas aufgefaßt sehen wollen.

Aber Deutschland steht der Frage der seit Jahren von London und der
Kapkolonie aus unaufhörlich unterwühlten und bedrohten Unabhängigkeit
der südafrikanischen Buren doch ganz anders gegenüber als jede andre Macht
der Welt. Diese Niederdeutschen sind von unserm Blut. Die tragische
Geschichte ihrer kein Mittel scheuenden Verdrängungen aus einem mit Schweiß
und Blut gedüngten Kolonialgebiet Südafrikas ins andre durch die bei
jedem Zusammenstoß geschlagner, zuletzt aber durch die Überlegenheit ihrer
weitblickend schlauen Staatskunst siegreichen Engländer macht uns mitzittern
und treibt uns die Nöte des patriotischen Zornes auf die Stirn. Das
ist der Kampf zwischen anglokeltischcr und teutonischer Kolonisation. Mit
der Zeit ist daraus auch ein Abschnitt in dem großen, weit angelegten
Plan geworden, alle irgend erlangbaren Länder der Erde, wo Weiße wohnen
können, für England mit Beschlag zu belegen. Die Buren, indem sie sich
der Ausdehnung des weltweiten Netzes der wirtschaftlich geknüpften und
dann politisch befestigten Einflußfäden der englischen Weltherrschaft über ihren
Winkel Südafrikas entgegenstemmten, sind vom Schicksal zu einer über
alles Erwarten wichtigen Aufgabe gerade jetzt berufen worden, wo jene noch
mehr rücksichtslose als schlaue Politik der großen Geld- und Handelsmacht
an allen Enden der Welt erkannt und in deniselben Augenblick natürlich und
notwendig bedroht wird. Die Stammverwandtschaft und das gemeinsame
Interesse an der Zurückdrängung der englischen Land- und Goldgier gerade
in Südafrika hat die Südafrikanische Republik an die Seite Deutschlands ge¬
führt. Deutschland will und braucht keinen Streit mit England, aber es
erkannte glücklicherweise früh genug die Notwendigkeit, mehr gegen England
als irgend eine andre Macht sein Recht auf naturgemäße Ausbreitung im
Welthandel und Kolonialbesitz kräftig zur Geltung zu bringen. Hoffentlich


Unsre Pflicht im Transvaal

noch wünschenswerter als den der Goldfelder an der streitigen Venezuelagrenze
und in dem zweifelhaften Grenzstreifen Alaskas. Goldländer zu gewinnen ist ja
ein Grundgedanke der englischen Weltpolitik. Im gegenwärtigen Augenblick
mochte es scheinen, als ob jener leichter zu erlangen sei als diese, denn keine
afrikanische Großmacht ruft ihr gebieterisches „Hände weg!" Nur das zerrissene
Europa steht der unersättlichen Rasse gegenüber, die sich berufen glaubt, alle
besten Länder der Erde zu besitzen.

Werden sich Deutschland und Frankreich nicht auch diesmal einigen wie in
Ostasien? Daß man es doch hoffen dürfte! Frankreich weiß, daß auch seiue
Besetzung Madagaskars in England und Südafrika als ein Eingriff in die
provioentielle Zuteilung Afrikas an die anglokeltische Nasse angesehen wird.
Gleich hinter der Hinausdrängung Deutschlands aus Südwestafrika kommt
auf dem Programm der Großenglündcr die Rückgewinnung von Madagaskar,
das die Dolmetscher der Ansichten von Cecil Rhodes als ein natürliches An¬
hängsel Südafrikas aufgefaßt sehen wollen.

Aber Deutschland steht der Frage der seit Jahren von London und der
Kapkolonie aus unaufhörlich unterwühlten und bedrohten Unabhängigkeit
der südafrikanischen Buren doch ganz anders gegenüber als jede andre Macht
der Welt. Diese Niederdeutschen sind von unserm Blut. Die tragische
Geschichte ihrer kein Mittel scheuenden Verdrängungen aus einem mit Schweiß
und Blut gedüngten Kolonialgebiet Südafrikas ins andre durch die bei
jedem Zusammenstoß geschlagner, zuletzt aber durch die Überlegenheit ihrer
weitblickend schlauen Staatskunst siegreichen Engländer macht uns mitzittern
und treibt uns die Nöte des patriotischen Zornes auf die Stirn. Das
ist der Kampf zwischen anglokeltischcr und teutonischer Kolonisation. Mit
der Zeit ist daraus auch ein Abschnitt in dem großen, weit angelegten
Plan geworden, alle irgend erlangbaren Länder der Erde, wo Weiße wohnen
können, für England mit Beschlag zu belegen. Die Buren, indem sie sich
der Ausdehnung des weltweiten Netzes der wirtschaftlich geknüpften und
dann politisch befestigten Einflußfäden der englischen Weltherrschaft über ihren
Winkel Südafrikas entgegenstemmten, sind vom Schicksal zu einer über
alles Erwarten wichtigen Aufgabe gerade jetzt berufen worden, wo jene noch
mehr rücksichtslose als schlaue Politik der großen Geld- und Handelsmacht
an allen Enden der Welt erkannt und in deniselben Augenblick natürlich und
notwendig bedroht wird. Die Stammverwandtschaft und das gemeinsame
Interesse an der Zurückdrängung der englischen Land- und Goldgier gerade
in Südafrika hat die Südafrikanische Republik an die Seite Deutschlands ge¬
führt. Deutschland will und braucht keinen Streit mit England, aber es
erkannte glücklicherweise früh genug die Notwendigkeit, mehr gegen England
als irgend eine andre Macht sein Recht auf naturgemäße Ausbreitung im
Welthandel und Kolonialbesitz kräftig zur Geltung zu bringen. Hoffentlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/92>, abgerufen am 01.09.2024.