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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

in Berlin, zuerst Subrektor, dann Korrektor, seit 1727 Rektor des grauen
Klosters, schließlich "kvntribuirendes Mitglied" aller vier "Departements" der
Akademie --, sie mußte nach eignen Formen ringen. So kamen in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts in Berlin bürgerliche Souderakademien und Einzel-
vorträge auf, auch das gelehrte Leben nahm individuellere, demokratischere
Züge an.

Völlig stirbt denn auch endlich das Zeitalter der Landesherrschaft auf
dem Gebiete der Kunst im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts ab. Gerade
der Berliner Hof ist auch hierfür typisch. Im Mittelpunkt der höfischen Kunst
steht um die Wende des siebzehnten Jahrhunderts die Architektur, die Kunst,
die unter den bildenden ihrem Wesen nach zunächst berufen war, praktisch¬
staatliche Ideen in die Erscheinung umzusetzen. 1695 starb der kurfürstliche
Oberingenieur Nering, der das Berliner Zeughaus entworfen hatte, Andreas
Schlüter übernahm die Vollendung des Baues. 1699 begann der Umbau des
Schlosses unter Schlüter, 1703 schuf derselbe Schlüter, ebenso groß als
plastischer wie als architektonischer Bildner, die eherne Reiterstatue des Großen
Kurfürsten. Schlüters kraftvolle Größe, die auch in fremden Formen heimische
Empfindungsweise auszudrücken vermag, läßt sich mit der Gestalt Händels
vergleichen. Und wie Händel, fand auch er keine Nachfolge; der Geist der
Renaissancekunst war und blieb dem Volke fremd. Friedrich Wilhelms I. bürger¬
lichere, deutschere Art hat für die architektonische Entwicklung Berlins die merk¬
würdige Folge gehabt, daß eine Periode des Zopfstils hier dem Rokoko voraus¬
läuft, bis dieses dann auch wieder dem Zopf anheimfällt. Eine andre kunst¬
geschichtliche Verwirrung, wenn man so sagen darf, entsteht dann unter Friedrich
dem Großen dadurch, daß sich eine ästhetische Bildung bürgerlicher Richtung
mit der des Königs kreuzt. Friedrich hing dem französischen Rokoko an,
Knobelsdorff war ein Geistesverwandter Lessings und Winkelmanns: sein ge¬
sunder Wirklichkeitssinn glaubte zum erstenmal im Griechentum die Natur zu
finden, das menschlich Wahre, das er suchte, und so erlebte Berlin 1743 ein
Opernhaus in Gestalt eines Apollotempels. Der Dualismus des künstlerischen
Ideals zwischeu Friedrich und Knobelsdorff tritt deutlich seit 1744 bei der
Erbauung von Sanssouci zu Tage und führte damals auch zu einer Ver¬
stimmung zwischen beiden und schließlich zur Scheidung. Friedrich war von
da an sein eigner Oberarchitekt; trotz vieles an sich schönen, was er hat schaffen
lassen, fehlt seiner Architektur, auch in ihren spätern Wandlungen, Leben und
Entwicklung, sie war ein fremdes, vou einem gewandten Geiste nachgemachtes,
aber nicht erlebtes Ding.

So gut wie seine Musik. In italienischem, teilweise auch französischem
Geschmack hat er selbst komponirt -- am besten sind ihm anmutige sioiliWi im
Sechsachteltakt gelungen -- und sich vorspielen lassen; Händel und Bach ver¬
stand er nicht. An seinem Hofe und an dem seiner beiden Nachfolger blühte,


Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

in Berlin, zuerst Subrektor, dann Korrektor, seit 1727 Rektor des grauen
Klosters, schließlich „kvntribuirendes Mitglied" aller vier „Departements" der
Akademie —, sie mußte nach eignen Formen ringen. So kamen in der zweiten
Hälfte des Jahrhunderts in Berlin bürgerliche Souderakademien und Einzel-
vorträge auf, auch das gelehrte Leben nahm individuellere, demokratischere
Züge an.

Völlig stirbt denn auch endlich das Zeitalter der Landesherrschaft auf
dem Gebiete der Kunst im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts ab. Gerade
der Berliner Hof ist auch hierfür typisch. Im Mittelpunkt der höfischen Kunst
steht um die Wende des siebzehnten Jahrhunderts die Architektur, die Kunst,
die unter den bildenden ihrem Wesen nach zunächst berufen war, praktisch¬
staatliche Ideen in die Erscheinung umzusetzen. 1695 starb der kurfürstliche
Oberingenieur Nering, der das Berliner Zeughaus entworfen hatte, Andreas
Schlüter übernahm die Vollendung des Baues. 1699 begann der Umbau des
Schlosses unter Schlüter, 1703 schuf derselbe Schlüter, ebenso groß als
plastischer wie als architektonischer Bildner, die eherne Reiterstatue des Großen
Kurfürsten. Schlüters kraftvolle Größe, die auch in fremden Formen heimische
Empfindungsweise auszudrücken vermag, läßt sich mit der Gestalt Händels
vergleichen. Und wie Händel, fand auch er keine Nachfolge; der Geist der
Renaissancekunst war und blieb dem Volke fremd. Friedrich Wilhelms I. bürger¬
lichere, deutschere Art hat für die architektonische Entwicklung Berlins die merk¬
würdige Folge gehabt, daß eine Periode des Zopfstils hier dem Rokoko voraus¬
läuft, bis dieses dann auch wieder dem Zopf anheimfällt. Eine andre kunst¬
geschichtliche Verwirrung, wenn man so sagen darf, entsteht dann unter Friedrich
dem Großen dadurch, daß sich eine ästhetische Bildung bürgerlicher Richtung
mit der des Königs kreuzt. Friedrich hing dem französischen Rokoko an,
Knobelsdorff war ein Geistesverwandter Lessings und Winkelmanns: sein ge¬
sunder Wirklichkeitssinn glaubte zum erstenmal im Griechentum die Natur zu
finden, das menschlich Wahre, das er suchte, und so erlebte Berlin 1743 ein
Opernhaus in Gestalt eines Apollotempels. Der Dualismus des künstlerischen
Ideals zwischeu Friedrich und Knobelsdorff tritt deutlich seit 1744 bei der
Erbauung von Sanssouci zu Tage und führte damals auch zu einer Ver¬
stimmung zwischen beiden und schließlich zur Scheidung. Friedrich war von
da an sein eigner Oberarchitekt; trotz vieles an sich schönen, was er hat schaffen
lassen, fehlt seiner Architektur, auch in ihren spätern Wandlungen, Leben und
Entwicklung, sie war ein fremdes, vou einem gewandten Geiste nachgemachtes,
aber nicht erlebtes Ding.

So gut wie seine Musik. In italienischem, teilweise auch französischem
Geschmack hat er selbst komponirt — am besten sind ihm anmutige sioiliWi im
Sechsachteltakt gelungen — und sich vorspielen lassen; Händel und Bach ver¬
stand er nicht. An seinem Hofe und an dem seiner beiden Nachfolger blühte,


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[0087] Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins in Berlin, zuerst Subrektor, dann Korrektor, seit 1727 Rektor des grauen Klosters, schließlich „kvntribuirendes Mitglied" aller vier „Departements" der Akademie —, sie mußte nach eignen Formen ringen. So kamen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Berlin bürgerliche Souderakademien und Einzel- vorträge auf, auch das gelehrte Leben nahm individuellere, demokratischere Züge an. Völlig stirbt denn auch endlich das Zeitalter der Landesherrschaft auf dem Gebiete der Kunst im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts ab. Gerade der Berliner Hof ist auch hierfür typisch. Im Mittelpunkt der höfischen Kunst steht um die Wende des siebzehnten Jahrhunderts die Architektur, die Kunst, die unter den bildenden ihrem Wesen nach zunächst berufen war, praktisch¬ staatliche Ideen in die Erscheinung umzusetzen. 1695 starb der kurfürstliche Oberingenieur Nering, der das Berliner Zeughaus entworfen hatte, Andreas Schlüter übernahm die Vollendung des Baues. 1699 begann der Umbau des Schlosses unter Schlüter, 1703 schuf derselbe Schlüter, ebenso groß als plastischer wie als architektonischer Bildner, die eherne Reiterstatue des Großen Kurfürsten. Schlüters kraftvolle Größe, die auch in fremden Formen heimische Empfindungsweise auszudrücken vermag, läßt sich mit der Gestalt Händels vergleichen. Und wie Händel, fand auch er keine Nachfolge; der Geist der Renaissancekunst war und blieb dem Volke fremd. Friedrich Wilhelms I. bürger¬ lichere, deutschere Art hat für die architektonische Entwicklung Berlins die merk¬ würdige Folge gehabt, daß eine Periode des Zopfstils hier dem Rokoko voraus¬ läuft, bis dieses dann auch wieder dem Zopf anheimfällt. Eine andre kunst¬ geschichtliche Verwirrung, wenn man so sagen darf, entsteht dann unter Friedrich dem Großen dadurch, daß sich eine ästhetische Bildung bürgerlicher Richtung mit der des Königs kreuzt. Friedrich hing dem französischen Rokoko an, Knobelsdorff war ein Geistesverwandter Lessings und Winkelmanns: sein ge¬ sunder Wirklichkeitssinn glaubte zum erstenmal im Griechentum die Natur zu finden, das menschlich Wahre, das er suchte, und so erlebte Berlin 1743 ein Opernhaus in Gestalt eines Apollotempels. Der Dualismus des künstlerischen Ideals zwischeu Friedrich und Knobelsdorff tritt deutlich seit 1744 bei der Erbauung von Sanssouci zu Tage und führte damals auch zu einer Ver¬ stimmung zwischen beiden und schließlich zur Scheidung. Friedrich war von da an sein eigner Oberarchitekt; trotz vieles an sich schönen, was er hat schaffen lassen, fehlt seiner Architektur, auch in ihren spätern Wandlungen, Leben und Entwicklung, sie war ein fremdes, vou einem gewandten Geiste nachgemachtes, aber nicht erlebtes Ding. So gut wie seine Musik. In italienischem, teilweise auch französischem Geschmack hat er selbst komponirt — am besten sind ihm anmutige sioiliWi im Sechsachteltakt gelungen — und sich vorspielen lassen; Händel und Bach ver¬ stand er nicht. An seinem Hofe und an dem seiner beiden Nachfolger blühte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/87>, abgerufen am 01.09.2024.