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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

treue, aber unduldsame Lutheraner, mußte 1666 aus Berlin weichen. Eine Berliner
Konferenz von 1672 bis 1673, die über den Standpunkt der Toleranz hinaus¬
führen sollte, verlief ergebnislos, weil sich das orthodoxe Luthertum bedroht
ahnte und von vornherein nur mißtrauisch teilnahm. Bezeichnend für das
Gewicht der Landesherrschaft als politischen Körpers auch in religiösen Fragen
ist der wiederholte Versuch, die kirchlichen Gegensätze zwischen Protestantismus
und Katholizismus mit staatspolitischen zu verquicken. Schon um 1650 hatte
Waldecks großartiger Unionsplan gegenüber Habsburg diesen Gedanken durch¬
zuführen versucht, von neuem regte ihn Leibniz zu Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts an. Seine Pläne waren in erster Linie auf eine wirkliche Ver¬
schmelzung, nicht bloß friedliche Duldung beider Konfessionen gerichtet, dabei
griff er aber sofort weit über Preußen hinaus, bis auf die Schweiz und Eng¬
land über: er sah im Geiste eine solidarische Verbindung des europäischen
Protestantismus, deren Herz in Berlin schlagen sollte. Friedrich I. mußte sich
für diesen Gedanken umso empfänglicher zeigen, als ihm die Wissenschaft so¬
eben theoretisch die oberste Gewalt in allen äußern Fragen der Religion zu¬
gewiesen hatte -- 1696 hatte Thomasius seine Schrift "Vom Rechte evange¬
lischer Fürsten" veröffentlicht --, und ließ sich nicht auch die Univnsfrage
theologisch als eine äußere Angelegenheit der Religion betrachten, nachdem
bereits das Kasseler Gespräch die Lehrunterschiede für nicht fundamental er¬
klärt hatte? So ging man denn mit bessern Erwartungen als vordem ans
Werk: Ernst Jablonski, seit 1693 Hofprediger in Berlin, schrieb als Unter¬
lage seine "Kurze Vorstellung der Einigkeit im Glauben," und 1703 trat die
unerläßliche Konferenz, diesmal unter dem Namen voUöAniir ouaritAtivum,
zusammen. Weniger an ihr, als an der Hartnäckigkeit der Gemeinden hat es
gelegen, daß auch dieser Anlauf zu einer Union völlig umsonst war, ja der
Berliner Witz, schon damals im Volke lebendig, übergoß die Konferenz alsbald
mit seinem Spott. Mit einigen Simultankirchen, die Friedrich I. trotzdem
bauen ließ, war natürlich auch nichts gethan.

Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große haben sich auf Toleranz
beschränkt, der Vater erklärte in feiner geraden Einfachheit den ganzen Unter¬
schied für Pfaffengezänk, der Sohn that es in dem Bewußtsein seiner völligen
Ablehnung nicht nur der lutherischen Orthodoxie, sondern des christlichen
Glaubens überhaupt, zu der ihn der radikal-subjektive Charakter seiner fran¬
zösischen Bildung führen mußte. Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wil¬
helm III. endlich sind in religiöser Beziehung wie andern geistigen Interessen
gegenüber nur als Nachzügler zu verstehen. Mit Friedrich Wilhelm II., einer
schwachen, anlehnungsbedürftigen Natur, deren Neigung zum Mystischen sich
der Orthodoxie näher fühlen mußte als jeder andern religiösen Haltung der
Zeit, mit diesem Nachfolger des großen Königs hatte Wöllner, der "intrigante
Pfaff," wie ihn Friedrich der Große charakterisirt hat, leichtes Spiel. Am


Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

treue, aber unduldsame Lutheraner, mußte 1666 aus Berlin weichen. Eine Berliner
Konferenz von 1672 bis 1673, die über den Standpunkt der Toleranz hinaus¬
führen sollte, verlief ergebnislos, weil sich das orthodoxe Luthertum bedroht
ahnte und von vornherein nur mißtrauisch teilnahm. Bezeichnend für das
Gewicht der Landesherrschaft als politischen Körpers auch in religiösen Fragen
ist der wiederholte Versuch, die kirchlichen Gegensätze zwischen Protestantismus
und Katholizismus mit staatspolitischen zu verquicken. Schon um 1650 hatte
Waldecks großartiger Unionsplan gegenüber Habsburg diesen Gedanken durch¬
zuführen versucht, von neuem regte ihn Leibniz zu Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts an. Seine Pläne waren in erster Linie auf eine wirkliche Ver¬
schmelzung, nicht bloß friedliche Duldung beider Konfessionen gerichtet, dabei
griff er aber sofort weit über Preußen hinaus, bis auf die Schweiz und Eng¬
land über: er sah im Geiste eine solidarische Verbindung des europäischen
Protestantismus, deren Herz in Berlin schlagen sollte. Friedrich I. mußte sich
für diesen Gedanken umso empfänglicher zeigen, als ihm die Wissenschaft so¬
eben theoretisch die oberste Gewalt in allen äußern Fragen der Religion zu¬
gewiesen hatte — 1696 hatte Thomasius seine Schrift „Vom Rechte evange¬
lischer Fürsten" veröffentlicht —, und ließ sich nicht auch die Univnsfrage
theologisch als eine äußere Angelegenheit der Religion betrachten, nachdem
bereits das Kasseler Gespräch die Lehrunterschiede für nicht fundamental er¬
klärt hatte? So ging man denn mit bessern Erwartungen als vordem ans
Werk: Ernst Jablonski, seit 1693 Hofprediger in Berlin, schrieb als Unter¬
lage seine „Kurze Vorstellung der Einigkeit im Glauben," und 1703 trat die
unerläßliche Konferenz, diesmal unter dem Namen voUöAniir ouaritAtivum,
zusammen. Weniger an ihr, als an der Hartnäckigkeit der Gemeinden hat es
gelegen, daß auch dieser Anlauf zu einer Union völlig umsonst war, ja der
Berliner Witz, schon damals im Volke lebendig, übergoß die Konferenz alsbald
mit seinem Spott. Mit einigen Simultankirchen, die Friedrich I. trotzdem
bauen ließ, war natürlich auch nichts gethan.

Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große haben sich auf Toleranz
beschränkt, der Vater erklärte in feiner geraden Einfachheit den ganzen Unter¬
schied für Pfaffengezänk, der Sohn that es in dem Bewußtsein seiner völligen
Ablehnung nicht nur der lutherischen Orthodoxie, sondern des christlichen
Glaubens überhaupt, zu der ihn der radikal-subjektive Charakter seiner fran¬
zösischen Bildung führen mußte. Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wil¬
helm III. endlich sind in religiöser Beziehung wie andern geistigen Interessen
gegenüber nur als Nachzügler zu verstehen. Mit Friedrich Wilhelm II., einer
schwachen, anlehnungsbedürftigen Natur, deren Neigung zum Mystischen sich
der Orthodoxie näher fühlen mußte als jeder andern religiösen Haltung der
Zeit, mit diesem Nachfolger des großen Königs hatte Wöllner, der „intrigante
Pfaff," wie ihn Friedrich der Große charakterisirt hat, leichtes Spiel. Am


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[0083] Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins treue, aber unduldsame Lutheraner, mußte 1666 aus Berlin weichen. Eine Berliner Konferenz von 1672 bis 1673, die über den Standpunkt der Toleranz hinaus¬ führen sollte, verlief ergebnislos, weil sich das orthodoxe Luthertum bedroht ahnte und von vornherein nur mißtrauisch teilnahm. Bezeichnend für das Gewicht der Landesherrschaft als politischen Körpers auch in religiösen Fragen ist der wiederholte Versuch, die kirchlichen Gegensätze zwischen Protestantismus und Katholizismus mit staatspolitischen zu verquicken. Schon um 1650 hatte Waldecks großartiger Unionsplan gegenüber Habsburg diesen Gedanken durch¬ zuführen versucht, von neuem regte ihn Leibniz zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts an. Seine Pläne waren in erster Linie auf eine wirkliche Ver¬ schmelzung, nicht bloß friedliche Duldung beider Konfessionen gerichtet, dabei griff er aber sofort weit über Preußen hinaus, bis auf die Schweiz und Eng¬ land über: er sah im Geiste eine solidarische Verbindung des europäischen Protestantismus, deren Herz in Berlin schlagen sollte. Friedrich I. mußte sich für diesen Gedanken umso empfänglicher zeigen, als ihm die Wissenschaft so¬ eben theoretisch die oberste Gewalt in allen äußern Fragen der Religion zu¬ gewiesen hatte — 1696 hatte Thomasius seine Schrift „Vom Rechte evange¬ lischer Fürsten" veröffentlicht —, und ließ sich nicht auch die Univnsfrage theologisch als eine äußere Angelegenheit der Religion betrachten, nachdem bereits das Kasseler Gespräch die Lehrunterschiede für nicht fundamental er¬ klärt hatte? So ging man denn mit bessern Erwartungen als vordem ans Werk: Ernst Jablonski, seit 1693 Hofprediger in Berlin, schrieb als Unter¬ lage seine „Kurze Vorstellung der Einigkeit im Glauben," und 1703 trat die unerläßliche Konferenz, diesmal unter dem Namen voUöAniir ouaritAtivum, zusammen. Weniger an ihr, als an der Hartnäckigkeit der Gemeinden hat es gelegen, daß auch dieser Anlauf zu einer Union völlig umsonst war, ja der Berliner Witz, schon damals im Volke lebendig, übergoß die Konferenz alsbald mit seinem Spott. Mit einigen Simultankirchen, die Friedrich I. trotzdem bauen ließ, war natürlich auch nichts gethan. Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große haben sich auf Toleranz beschränkt, der Vater erklärte in feiner geraden Einfachheit den ganzen Unter¬ schied für Pfaffengezänk, der Sohn that es in dem Bewußtsein seiner völligen Ablehnung nicht nur der lutherischen Orthodoxie, sondern des christlichen Glaubens überhaupt, zu der ihn der radikal-subjektive Charakter seiner fran¬ zösischen Bildung führen mußte. Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wil¬ helm III. endlich sind in religiöser Beziehung wie andern geistigen Interessen gegenüber nur als Nachzügler zu verstehen. Mit Friedrich Wilhelm II., einer schwachen, anlehnungsbedürftigen Natur, deren Neigung zum Mystischen sich der Orthodoxie näher fühlen mußte als jeder andern religiösen Haltung der Zeit, mit diesem Nachfolger des großen Königs hatte Wöllner, der „intrigante Pfaff," wie ihn Friedrich der Große charakterisirt hat, leichtes Spiel. Am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/83>, abgerufen am 01.09.2024.