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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Infektionskrankheiten

Serum auch Heilwirkungen gegen die bereits bestehende Krankheit eigentümlich
seien: er begann, diphtheriekranke Tiere mit Einspritzungen von Blutserum
durchseuchter Tiere zu behandeln. Auch hier hatte er so günstige Erfolge, daß
er nun kein Bedenken mehr trug, seine Methode auch auf den Menschen zu
übertragen. Ihre Ergebnisse haben wir im vorigen Hefte geschildert.

Überblicken wir zum Schluß noch einmal den Gang dieser Erörterungen,
so sehen wir als Endergebnis einen zwar langsamen und oft unsichern, aber
doch stetigen Fortschritt in der Erkenntnis und Behandlung der Infektions¬
krankheiten. Die Grundlage bildete für alle Forscher die geniale Arbeit Kochs,
der die Erreger der Infektionskrankheiten nicht nnr entdeckte, sondern sie auch
isoliren, in Reinkulturen züchten und durch seine wunderbare Färbmethode als
Wesen eigner und bestimmter Art erkennen lehrte, der ihre Stoffwechselprodukte,
den Einfluß des Nährbodens auf ihre Entwicklung und ihre Lebensenergie,
die Antiseptik, die Begriffe der Immunität und Anpassung studirte und end¬
lich dazu überging, in den von den Krankheitserregern im befallnen Orga¬
nismus selbst erzeugten Substanzen auch die Heilmittel der von ihnen ver¬
ursachten Krankheiten zu suchen. Während aber Koch, Pasteur und die große
Mehrzahl ihrer Schüler die Gifte und ihre Abkömmlinge selbst als Heilmittel
verwerteten, gelang es Behring, ausgehend von denselben Grundlagen, aber
seine Forschungen nach andrer Richtung ausdehnend, gegen eine der verderb¬
lichsten Infektionskrankheiten, den Würgengel der Kinderwelt, die Diphtherie,
ein Mittel zu finden, das mit seiner vorbeugenden und heilenden Kraft zu¬
gleich die Eigenschaft verband, auf den Organismus, dem es einverleibt wird,
keine schädigende Nebenwirkung auszuüben, und er erreichte somit das erhabne
Ziel, zunächst eine der großen Volksseuchen mit großen Maßregeln ohne Ge¬
fährdung der Gesundheit erfolgreich zu bekämpfen. Darin liegt ein ebenso
großer Triumph der wissenschaftlichen Arbeit als ein herrlicher Fortschritt in
der Heilkunde, der uns einen tröstlichen Ausblick in die Zukunft eröffnet. Frei¬
lich werden auch hier die Baume nicht in den Himmel wachsen: auch bei dieser
scheinbar so zuverlässigen Heilmethode wird der Erfolg nicht immer sicher sein:
denn es hat Epidemien gegeben und wird sie immer geben -- jeder erfahrne
Arzt hat sie erlebt bei der Diphtherie, beim Scharlach, bei der Cholera --,
wo die Jnfektivnsstoffe von solcher Giftigkeit sind, daß der Ergriffne wie vom
Blitz getroffen zusammenstürzt und keine Macht der Erde ihn zu retten vermag.
Auch die vorbeugende Behandlung, die Schutzimpfung würde hier schwerlich
Hilfe gewähren; denn abgesehen davon, daß sie vom Staate zwangsweise ein¬
geführt werden müßte, um zur vollen Geltung zu kommen, würde es wahr¬
scheinlich notwendig sein, sie sehr häufig zu wiederholen, weil die Dauer des
durch einmalige Impfung gewährten Schutzes nur kurz ist. Wenigstens bei
der Diphtherie: sie befällt nicht, wie die Pocken, den Menschen in der Regel
nur einmal, sondern wiederholt, und schon aus dieser Thatsache hätte man


Die Infektionskrankheiten

Serum auch Heilwirkungen gegen die bereits bestehende Krankheit eigentümlich
seien: er begann, diphtheriekranke Tiere mit Einspritzungen von Blutserum
durchseuchter Tiere zu behandeln. Auch hier hatte er so günstige Erfolge, daß
er nun kein Bedenken mehr trug, seine Methode auch auf den Menschen zu
übertragen. Ihre Ergebnisse haben wir im vorigen Hefte geschildert.

Überblicken wir zum Schluß noch einmal den Gang dieser Erörterungen,
so sehen wir als Endergebnis einen zwar langsamen und oft unsichern, aber
doch stetigen Fortschritt in der Erkenntnis und Behandlung der Infektions¬
krankheiten. Die Grundlage bildete für alle Forscher die geniale Arbeit Kochs,
der die Erreger der Infektionskrankheiten nicht nnr entdeckte, sondern sie auch
isoliren, in Reinkulturen züchten und durch seine wunderbare Färbmethode als
Wesen eigner und bestimmter Art erkennen lehrte, der ihre Stoffwechselprodukte,
den Einfluß des Nährbodens auf ihre Entwicklung und ihre Lebensenergie,
die Antiseptik, die Begriffe der Immunität und Anpassung studirte und end¬
lich dazu überging, in den von den Krankheitserregern im befallnen Orga¬
nismus selbst erzeugten Substanzen auch die Heilmittel der von ihnen ver¬
ursachten Krankheiten zu suchen. Während aber Koch, Pasteur und die große
Mehrzahl ihrer Schüler die Gifte und ihre Abkömmlinge selbst als Heilmittel
verwerteten, gelang es Behring, ausgehend von denselben Grundlagen, aber
seine Forschungen nach andrer Richtung ausdehnend, gegen eine der verderb¬
lichsten Infektionskrankheiten, den Würgengel der Kinderwelt, die Diphtherie,
ein Mittel zu finden, das mit seiner vorbeugenden und heilenden Kraft zu¬
gleich die Eigenschaft verband, auf den Organismus, dem es einverleibt wird,
keine schädigende Nebenwirkung auszuüben, und er erreichte somit das erhabne
Ziel, zunächst eine der großen Volksseuchen mit großen Maßregeln ohne Ge¬
fährdung der Gesundheit erfolgreich zu bekämpfen. Darin liegt ein ebenso
großer Triumph der wissenschaftlichen Arbeit als ein herrlicher Fortschritt in
der Heilkunde, der uns einen tröstlichen Ausblick in die Zukunft eröffnet. Frei¬
lich werden auch hier die Baume nicht in den Himmel wachsen: auch bei dieser
scheinbar so zuverlässigen Heilmethode wird der Erfolg nicht immer sicher sein:
denn es hat Epidemien gegeben und wird sie immer geben — jeder erfahrne
Arzt hat sie erlebt bei der Diphtherie, beim Scharlach, bei der Cholera —,
wo die Jnfektivnsstoffe von solcher Giftigkeit sind, daß der Ergriffne wie vom
Blitz getroffen zusammenstürzt und keine Macht der Erde ihn zu retten vermag.
Auch die vorbeugende Behandlung, die Schutzimpfung würde hier schwerlich
Hilfe gewähren; denn abgesehen davon, daß sie vom Staate zwangsweise ein¬
geführt werden müßte, um zur vollen Geltung zu kommen, würde es wahr¬
scheinlich notwendig sein, sie sehr häufig zu wiederholen, weil die Dauer des
durch einmalige Impfung gewährten Schutzes nur kurz ist. Wenigstens bei
der Diphtherie: sie befällt nicht, wie die Pocken, den Menschen in der Regel
nur einmal, sondern wiederholt, und schon aus dieser Thatsache hätte man


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[0079] Die Infektionskrankheiten Serum auch Heilwirkungen gegen die bereits bestehende Krankheit eigentümlich seien: er begann, diphtheriekranke Tiere mit Einspritzungen von Blutserum durchseuchter Tiere zu behandeln. Auch hier hatte er so günstige Erfolge, daß er nun kein Bedenken mehr trug, seine Methode auch auf den Menschen zu übertragen. Ihre Ergebnisse haben wir im vorigen Hefte geschildert. Überblicken wir zum Schluß noch einmal den Gang dieser Erörterungen, so sehen wir als Endergebnis einen zwar langsamen und oft unsichern, aber doch stetigen Fortschritt in der Erkenntnis und Behandlung der Infektions¬ krankheiten. Die Grundlage bildete für alle Forscher die geniale Arbeit Kochs, der die Erreger der Infektionskrankheiten nicht nnr entdeckte, sondern sie auch isoliren, in Reinkulturen züchten und durch seine wunderbare Färbmethode als Wesen eigner und bestimmter Art erkennen lehrte, der ihre Stoffwechselprodukte, den Einfluß des Nährbodens auf ihre Entwicklung und ihre Lebensenergie, die Antiseptik, die Begriffe der Immunität und Anpassung studirte und end¬ lich dazu überging, in den von den Krankheitserregern im befallnen Orga¬ nismus selbst erzeugten Substanzen auch die Heilmittel der von ihnen ver¬ ursachten Krankheiten zu suchen. Während aber Koch, Pasteur und die große Mehrzahl ihrer Schüler die Gifte und ihre Abkömmlinge selbst als Heilmittel verwerteten, gelang es Behring, ausgehend von denselben Grundlagen, aber seine Forschungen nach andrer Richtung ausdehnend, gegen eine der verderb¬ lichsten Infektionskrankheiten, den Würgengel der Kinderwelt, die Diphtherie, ein Mittel zu finden, das mit seiner vorbeugenden und heilenden Kraft zu¬ gleich die Eigenschaft verband, auf den Organismus, dem es einverleibt wird, keine schädigende Nebenwirkung auszuüben, und er erreichte somit das erhabne Ziel, zunächst eine der großen Volksseuchen mit großen Maßregeln ohne Ge¬ fährdung der Gesundheit erfolgreich zu bekämpfen. Darin liegt ein ebenso großer Triumph der wissenschaftlichen Arbeit als ein herrlicher Fortschritt in der Heilkunde, der uns einen tröstlichen Ausblick in die Zukunft eröffnet. Frei¬ lich werden auch hier die Baume nicht in den Himmel wachsen: auch bei dieser scheinbar so zuverlässigen Heilmethode wird der Erfolg nicht immer sicher sein: denn es hat Epidemien gegeben und wird sie immer geben — jeder erfahrne Arzt hat sie erlebt bei der Diphtherie, beim Scharlach, bei der Cholera —, wo die Jnfektivnsstoffe von solcher Giftigkeit sind, daß der Ergriffne wie vom Blitz getroffen zusammenstürzt und keine Macht der Erde ihn zu retten vermag. Auch die vorbeugende Behandlung, die Schutzimpfung würde hier schwerlich Hilfe gewähren; denn abgesehen davon, daß sie vom Staate zwangsweise ein¬ geführt werden müßte, um zur vollen Geltung zu kommen, würde es wahr¬ scheinlich notwendig sein, sie sehr häufig zu wiederholen, weil die Dauer des durch einmalige Impfung gewährten Schutzes nur kurz ist. Wenigstens bei der Diphtherie: sie befällt nicht, wie die Pocken, den Menschen in der Regel nur einmal, sondern wiederholt, und schon aus dieser Thatsache hätte man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/79>, abgerufen am 01.09.2024.