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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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überging, erreichte er endlich, daß seine Versuchstiere das stärkste Gift, das
die unvorbereiteter, gesunden Kontrolltiere unfehlbar wutkrank machte und
tötete, ohne jede Schädigung ihrer Gesundheit ertrugen. Ebenso blieben sie
gesund, wenn sie von wutkranken Tieren gebissen wurden. Für die Tollwut
hatte also Pasteur das Jennersche Problem gelöst, eine vorbeugende Methode
zu finden, die, wie die Kuhpockenimpfung vor den echten Pocken, vor der Tollwut
schützte. Aber eine Übertragung der Tierversuche auf den Menschen war un-
thunlich: wer sollte sich bei der Seltenheit der Krankheit dazu hergeben, sich
gegen diesen fast imaginären Feind im voraus schützen zu lassen? Pasteur
ging darum weiter: er benutzte die Thatsache, daß das durch den Biß auf
gesunde Tiere oder Menschen übertragne Wutgift in der Regel mehrere Wochen
braucht, ehe es den seine Wirkung vermittelnden Teil des Körpers, das Rücken¬
mark, erreicht, zu dem Versuch, gebissene Hunde möglichst bald nach dem Biß
durch rasch auf einander folgende Einspritzungen seiner abgeschwächten Gifte in
der Nähe des Rückenmarks gegen die Wirkung des natürlichen Giftes zu im-
munisiren. Als auch diese Versuche gelangen, zögerte er nicht, sein Verfahren
auch bei Menschen, die von tollen Hunden gebissen waren, anzuwenden, und
zwar mit so günstigem Erfolge, daß das französische Parlament sehr bald be¬
deutende Mittel bewilligte, um von Staats wegen große Institute zu erbauen,
in denen Pasteurs Heilmethode ausgeübt wurde.

Einen andern Weg, den Infektionskrankheiten vorbeugend und heilend bei¬
zukommen, schlug Dr. Behring bei seinen Untersuchungen über Diphtherie ein.
Er legte sich die Frage vor, in welcher Weise wohl der Schutz, den die durch
langsame Gewöhnung an das Jnfektionsgift gegen die Erkrankung gefeiten
Tiere genössen, zustande kommen möge, und stellte die Vermutung aus, daß sich
durch die Wechselwirkung des Gifts mit dem lebenden Organismus im Tier¬
körper selbst immunisirende Substanzen bildeten, die in irgend einer Weise, sei
es durch chemische Bindung, sei es durch Veränderung des Nährbodens oder
wie immer, die verderbliche Wirkung auch des stärksten Giftes aufhöben. Da,
wenn dieser Gedanke richtig war, die immunisirenden Substanzen sich höchst
wahrscheinlich im Blute befanden, so entnahm er dem Blute solcher Tiere, die
er durch Gewöhnung gegen die stärksten Gaben seines Diphtheriegiftes fest ge¬
macht hatte, seinen wässerigen Bestandteil, das Blutwasser oder Serum, und
versuchte nun gesunde Tiere dadurch, daß er ihnen dieses Serum unter die
Haut spritzte, gegen Diphtherie zu schützen. Das Ergebnis bestätigte seine Ver¬
mutungen: die mit Serum von durchseuchten Tieren behandelten gesunden
Tiere waren fest gegen die Infektion, während sowohl die unvorbereiteter als
auch die mit Blutserum von gesunden Tieren behandelten Kontrolltiere der
Infektion erlagen. Gleichzeitig ergab sich, daß das Schutzserum keine Leben
oder Gesundheit gefährdenden Eigenschaften hat, daß es unschädlich ist. Nach
Feststellung der Schutzkraft suchte Behring nun noch zu ermitteln, ob dem


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überging, erreichte er endlich, daß seine Versuchstiere das stärkste Gift, das
die unvorbereiteter, gesunden Kontrolltiere unfehlbar wutkrank machte und
tötete, ohne jede Schädigung ihrer Gesundheit ertrugen. Ebenso blieben sie
gesund, wenn sie von wutkranken Tieren gebissen wurden. Für die Tollwut
hatte also Pasteur das Jennersche Problem gelöst, eine vorbeugende Methode
zu finden, die, wie die Kuhpockenimpfung vor den echten Pocken, vor der Tollwut
schützte. Aber eine Übertragung der Tierversuche auf den Menschen war un-
thunlich: wer sollte sich bei der Seltenheit der Krankheit dazu hergeben, sich
gegen diesen fast imaginären Feind im voraus schützen zu lassen? Pasteur
ging darum weiter: er benutzte die Thatsache, daß das durch den Biß auf
gesunde Tiere oder Menschen übertragne Wutgift in der Regel mehrere Wochen
braucht, ehe es den seine Wirkung vermittelnden Teil des Körpers, das Rücken¬
mark, erreicht, zu dem Versuch, gebissene Hunde möglichst bald nach dem Biß
durch rasch auf einander folgende Einspritzungen seiner abgeschwächten Gifte in
der Nähe des Rückenmarks gegen die Wirkung des natürlichen Giftes zu im-
munisiren. Als auch diese Versuche gelangen, zögerte er nicht, sein Verfahren
auch bei Menschen, die von tollen Hunden gebissen waren, anzuwenden, und
zwar mit so günstigem Erfolge, daß das französische Parlament sehr bald be¬
deutende Mittel bewilligte, um von Staats wegen große Institute zu erbauen,
in denen Pasteurs Heilmethode ausgeübt wurde.

Einen andern Weg, den Infektionskrankheiten vorbeugend und heilend bei¬
zukommen, schlug Dr. Behring bei seinen Untersuchungen über Diphtherie ein.
Er legte sich die Frage vor, in welcher Weise wohl der Schutz, den die durch
langsame Gewöhnung an das Jnfektionsgift gegen die Erkrankung gefeiten
Tiere genössen, zustande kommen möge, und stellte die Vermutung aus, daß sich
durch die Wechselwirkung des Gifts mit dem lebenden Organismus im Tier¬
körper selbst immunisirende Substanzen bildeten, die in irgend einer Weise, sei
es durch chemische Bindung, sei es durch Veränderung des Nährbodens oder
wie immer, die verderbliche Wirkung auch des stärksten Giftes aufhöben. Da,
wenn dieser Gedanke richtig war, die immunisirenden Substanzen sich höchst
wahrscheinlich im Blute befanden, so entnahm er dem Blute solcher Tiere, die
er durch Gewöhnung gegen die stärksten Gaben seines Diphtheriegiftes fest ge¬
macht hatte, seinen wässerigen Bestandteil, das Blutwasser oder Serum, und
versuchte nun gesunde Tiere dadurch, daß er ihnen dieses Serum unter die
Haut spritzte, gegen Diphtherie zu schützen. Das Ergebnis bestätigte seine Ver¬
mutungen: die mit Serum von durchseuchten Tieren behandelten gesunden
Tiere waren fest gegen die Infektion, während sowohl die unvorbereiteter als
auch die mit Blutserum von gesunden Tieren behandelten Kontrolltiere der
Infektion erlagen. Gleichzeitig ergab sich, daß das Schutzserum keine Leben
oder Gesundheit gefährdenden Eigenschaften hat, daß es unschädlich ist. Nach
Feststellung der Schutzkraft suchte Behring nun noch zu ermitteln, ob dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/78>, abgerufen am 01.09.2024.