Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Die Infektionskrankheiten Chirurgen und Geburtshelfer lehrte, die Antiseptik in allen den Fällen durch Aber freilich, das Hauptziel war verfehlt: für die wirksame Behandlung Die Infektionskrankheiten Chirurgen und Geburtshelfer lehrte, die Antiseptik in allen den Fällen durch Aber freilich, das Hauptziel war verfehlt: für die wirksame Behandlung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221720"/> <fw type="header" place="top"> Die Infektionskrankheiten</fw><lb/> <p xml:id="ID_195" prev="#ID_194"> Chirurgen und Geburtshelfer lehrte, die Antiseptik in allen den Fällen durch<lb/> die Aseptik zu ersetzen, wo es sich um nicht schon vorher infizirte Wunden<lb/> handelte, also bei allen Wunden z. B-, die der Operateur selbst erst beim<lb/> operiren schuf. Hier bemühte man sich jetzt, durch die sorgfältigste Reinlich¬<lb/> keit, die sich nicht bloß auf deu Kranken, sondern auch auf den Arzt, seine<lb/> Gehilfen, die Instrumente und das Verbandzeug erstreckte, das Eindringen von<lb/> Krankheitserregern in die Wunde abzuhalten, und zwar mit dem besten Erfolg;<lb/> man erreichte nicht nur dieselben günstigen Ergebnisse wie früher, sondern man<lb/> vermied auch die schweren Vergiftungen, die sonst, z. B. durch Sublimat und<lb/> Karbolsäure, heftige Erkrankung, ja den Tod erzeugt hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_196"> Aber freilich, das Hauptziel war verfehlt: für die wirksame Behandlung<lb/> der Seuchen mußte ein andrer Weg eingeschlagen werden. Robert Koch suchte<lb/> ihn im Anschluß an die Entdeckung Jenners, der gezeigt hatte, daß es mög¬<lb/> lich sei, durch die Impfung des Menschen mit dem Eiter der Knhpocke den<lb/> Jmpfung gegen die Menschenpocken zu schützen. Jenners Entdeckung beruhte<lb/> auf einer doppelten Beobachtung: er hatte gefunden, erstens, daß Mägde, die<lb/> mit Kuhpocken an den Eutern behaftete Kühe melkten, häufig dieselben Pocken<lb/> an den Fingern und Armen, zuweilen auch im Gesicht bekamen, zweitens, daß<lb/> eben diese Mägde beim Ausbruch von Pockenepidemien von den Pocken ver¬<lb/> schont blieben, selbst wenn sie sich durch den Verkehr mit den Kranken der<lb/> Gefahr der Ansteckung aussetzten. Vielleicht hatte Jenner auch von dem damals<lb/> schon im Volke verbreiteten Glauben gehört, daß solche Mägde pockenfest seien,<lb/> kurz, er verfolgte diesen Gedankengang jahrelang, ging dann zu Versuchen<lb/> am Menschen über und setzte es endlich im englischen Parlamente durch, daß<lb/> die Kuhpockenimpfung vom Staate begünstigt und eingeführt wurde. Auf eine<lb/> theoretische Erklärung der neuen Thatsachen verzichtete man; die Kuhpocken¬<lb/> impfung wurde als ein wunderbares Geschenk Gottes gefeiert, das man in<lb/> Dankbarkeit und Demut als solches hinzunehmen habe. Heute kennen wir den<lb/> Zusammenhang der Erscheinungen genau: durch zahlreiche Forschungen und<lb/> Versuche, namentlich Bollingers in München, wissen wir, daß die am Euter<lb/> der Kühe auftretenden Pocken nichts andres sind als eine abgeänderte Form<lb/> der Menschenpocken, die durch Ansteckung von pockenkranken Menschen auf das<lb/> Euter übertragen werden und sich hier, auf dem veränderten Nährboden, auch<lb/> anders, abgeschwächt entwickeln, daß also der Mensch, wenn man auf ihn diese<lb/> Knhpocke künstlich durch die Impfung wieder überträgt, lediglich von einer<lb/> schwächern Form der ihm selbst eigentümlichen Pockenkrankheit ergriffen wird.<lb/> Damit ist aber zugleich eine Erklärung der Schutzwirkung gegeben, insoweit,<lb/> als man wenigstens das weiß, daß dieser Schutz auf demselben Prinzip beruht,<lb/> wonach ein Mensch, der einmal die Pocken überstanden hat, zum zweitenmal<lb/> nicht mehr daran zu erkranken pflegt. Das Problem ist so wenigstens ver¬<lb/> einfacht und seines wunderbaren Charakters entkleidet.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Die Infektionskrankheiten
Chirurgen und Geburtshelfer lehrte, die Antiseptik in allen den Fällen durch
die Aseptik zu ersetzen, wo es sich um nicht schon vorher infizirte Wunden
handelte, also bei allen Wunden z. B-, die der Operateur selbst erst beim
operiren schuf. Hier bemühte man sich jetzt, durch die sorgfältigste Reinlich¬
keit, die sich nicht bloß auf deu Kranken, sondern auch auf den Arzt, seine
Gehilfen, die Instrumente und das Verbandzeug erstreckte, das Eindringen von
Krankheitserregern in die Wunde abzuhalten, und zwar mit dem besten Erfolg;
man erreichte nicht nur dieselben günstigen Ergebnisse wie früher, sondern man
vermied auch die schweren Vergiftungen, die sonst, z. B. durch Sublimat und
Karbolsäure, heftige Erkrankung, ja den Tod erzeugt hatten.
Aber freilich, das Hauptziel war verfehlt: für die wirksame Behandlung
der Seuchen mußte ein andrer Weg eingeschlagen werden. Robert Koch suchte
ihn im Anschluß an die Entdeckung Jenners, der gezeigt hatte, daß es mög¬
lich sei, durch die Impfung des Menschen mit dem Eiter der Knhpocke den
Jmpfung gegen die Menschenpocken zu schützen. Jenners Entdeckung beruhte
auf einer doppelten Beobachtung: er hatte gefunden, erstens, daß Mägde, die
mit Kuhpocken an den Eutern behaftete Kühe melkten, häufig dieselben Pocken
an den Fingern und Armen, zuweilen auch im Gesicht bekamen, zweitens, daß
eben diese Mägde beim Ausbruch von Pockenepidemien von den Pocken ver¬
schont blieben, selbst wenn sie sich durch den Verkehr mit den Kranken der
Gefahr der Ansteckung aussetzten. Vielleicht hatte Jenner auch von dem damals
schon im Volke verbreiteten Glauben gehört, daß solche Mägde pockenfest seien,
kurz, er verfolgte diesen Gedankengang jahrelang, ging dann zu Versuchen
am Menschen über und setzte es endlich im englischen Parlamente durch, daß
die Kuhpockenimpfung vom Staate begünstigt und eingeführt wurde. Auf eine
theoretische Erklärung der neuen Thatsachen verzichtete man; die Kuhpocken¬
impfung wurde als ein wunderbares Geschenk Gottes gefeiert, das man in
Dankbarkeit und Demut als solches hinzunehmen habe. Heute kennen wir den
Zusammenhang der Erscheinungen genau: durch zahlreiche Forschungen und
Versuche, namentlich Bollingers in München, wissen wir, daß die am Euter
der Kühe auftretenden Pocken nichts andres sind als eine abgeänderte Form
der Menschenpocken, die durch Ansteckung von pockenkranken Menschen auf das
Euter übertragen werden und sich hier, auf dem veränderten Nährboden, auch
anders, abgeschwächt entwickeln, daß also der Mensch, wenn man auf ihn diese
Knhpocke künstlich durch die Impfung wieder überträgt, lediglich von einer
schwächern Form der ihm selbst eigentümlichen Pockenkrankheit ergriffen wird.
Damit ist aber zugleich eine Erklärung der Schutzwirkung gegeben, insoweit,
als man wenigstens das weiß, daß dieser Schutz auf demselben Prinzip beruht,
wonach ein Mensch, der einmal die Pocken überstanden hat, zum zweitenmal
nicht mehr daran zu erkranken pflegt. Das Problem ist so wenigstens ver¬
einfacht und seines wunderbaren Charakters entkleidet.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |