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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Infektionskrankheiten

dieser besondern Art von innerer Sammlung, die eigens für die Geistlichen vor¬
behalten zu sein scheint, sehr skeptisch geworden bin, und will annehmen, daß
es nicht die geistlichen Herren des Oberkirchenrath gewesen sind, die die Auf¬
nahme dieses Satzes in das Manifest veranlaßt haben. Endlich, wer sind die
Leute, die sich durch die soziale Arbeit des Pastors haben stören lassen, voraus¬
gesetzt, daß diese sich in den Schranken der sozialen Reform hält? Ich meine,
der echte Christ steht vielmehr dem Geistlichen darin bei, wenn dieser die all¬
gemeine Durchführung des Gebotes miterstrebt: Lohn, dem Lohn gebührt,
und vor allem: Ehre, dem Ehre gebührt. Hier ist gerade Gelegenheit ge¬
geben, die Schafe von den Böcken zu sondern, und damit die Möglichkeit, die
Böcke in der richtigen Weise seelsorgerisch zu behandeln. Bis jetzt stehen immer
noch die Schafe und die Böcke, die Heuchler, in demselben Stalle und werden
gepflegt, draußen aber gehen viele in der Irre, um die sich niemand kümmert.
Die Zeit ist da, in der das Evangelium wieder als werbende und thätige Macht
ins Leben eingreifen muß. Oder war die alte Kirche nur eine lehrende?

Es war einmal ein kluger Mann, der saß aus einem Baum und sägte
und sägte; und er sah nicht, daß er eben den Ast ansägte, worauf er saß.
Unter dem Baume aber standen viele Leute und sahen zu, die waren auch klug;
nur einige wenige "Thörichte" waren darunter, die dem Manne oben sein ge¬
fährliches Thun zeigten. Der hörte aber nicht und sägte ruhig weiter, und
die wenigen nater waren zu schwach und standen zu fern, um ihm in den
Arm fallen zu können. Da krachte es plötzlich, und der Mann oben stürzte
mit dem Ast herab und begrub von den klugen Leuten, die da ruhig zuschauten,
viele im Falle, und sie brachen Arme und Beine. Man weiß aber heute noch
nicht, wer klüger war, der Mann oben oder die Leute unten.




Die Infektionskrankheiten
H. Böing von(Schluß)

cum ich sagte, der Begriff der Infektionskrankheiten sei ein
moderner, so ist das natürlich ouin, g-raro salis zu verstehen;
denn er ist der Neuzeit keineswegs unvermittelt in den Schoß
gefallen, wie etwa ein neuer Komet plötzlich am Himmel er¬
scheint und mit seinem hellen Lichte die dunkle Nacht erleuchtet.
Denkende Ärzte hatten schon längst die Vermutung geäußert, daß die
Volksseuchen, die man mit dem Namen der ansteckenden (eontagiösen) Krank-M
M


Die Infektionskrankheiten

dieser besondern Art von innerer Sammlung, die eigens für die Geistlichen vor¬
behalten zu sein scheint, sehr skeptisch geworden bin, und will annehmen, daß
es nicht die geistlichen Herren des Oberkirchenrath gewesen sind, die die Auf¬
nahme dieses Satzes in das Manifest veranlaßt haben. Endlich, wer sind die
Leute, die sich durch die soziale Arbeit des Pastors haben stören lassen, voraus¬
gesetzt, daß diese sich in den Schranken der sozialen Reform hält? Ich meine,
der echte Christ steht vielmehr dem Geistlichen darin bei, wenn dieser die all¬
gemeine Durchführung des Gebotes miterstrebt: Lohn, dem Lohn gebührt,
und vor allem: Ehre, dem Ehre gebührt. Hier ist gerade Gelegenheit ge¬
geben, die Schafe von den Böcken zu sondern, und damit die Möglichkeit, die
Böcke in der richtigen Weise seelsorgerisch zu behandeln. Bis jetzt stehen immer
noch die Schafe und die Böcke, die Heuchler, in demselben Stalle und werden
gepflegt, draußen aber gehen viele in der Irre, um die sich niemand kümmert.
Die Zeit ist da, in der das Evangelium wieder als werbende und thätige Macht
ins Leben eingreifen muß. Oder war die alte Kirche nur eine lehrende?

Es war einmal ein kluger Mann, der saß aus einem Baum und sägte
und sägte; und er sah nicht, daß er eben den Ast ansägte, worauf er saß.
Unter dem Baume aber standen viele Leute und sahen zu, die waren auch klug;
nur einige wenige „Thörichte" waren darunter, die dem Manne oben sein ge¬
fährliches Thun zeigten. Der hörte aber nicht und sägte ruhig weiter, und
die wenigen nater waren zu schwach und standen zu fern, um ihm in den
Arm fallen zu können. Da krachte es plötzlich, und der Mann oben stürzte
mit dem Ast herab und begrub von den klugen Leuten, die da ruhig zuschauten,
viele im Falle, und sie brachen Arme und Beine. Man weiß aber heute noch
nicht, wer klüger war, der Mann oben oder die Leute unten.




Die Infektionskrankheiten
H. Böing von(Schluß)

cum ich sagte, der Begriff der Infektionskrankheiten sei ein
moderner, so ist das natürlich ouin, g-raro salis zu verstehen;
denn er ist der Neuzeit keineswegs unvermittelt in den Schoß
gefallen, wie etwa ein neuer Komet plötzlich am Himmel er¬
scheint und mit seinem hellen Lichte die dunkle Nacht erleuchtet.
Denkende Ärzte hatten schon längst die Vermutung geäußert, daß die
Volksseuchen, die man mit dem Namen der ansteckenden (eontagiösen) Krank-M
M


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[0072] Die Infektionskrankheiten dieser besondern Art von innerer Sammlung, die eigens für die Geistlichen vor¬ behalten zu sein scheint, sehr skeptisch geworden bin, und will annehmen, daß es nicht die geistlichen Herren des Oberkirchenrath gewesen sind, die die Auf¬ nahme dieses Satzes in das Manifest veranlaßt haben. Endlich, wer sind die Leute, die sich durch die soziale Arbeit des Pastors haben stören lassen, voraus¬ gesetzt, daß diese sich in den Schranken der sozialen Reform hält? Ich meine, der echte Christ steht vielmehr dem Geistlichen darin bei, wenn dieser die all¬ gemeine Durchführung des Gebotes miterstrebt: Lohn, dem Lohn gebührt, und vor allem: Ehre, dem Ehre gebührt. Hier ist gerade Gelegenheit ge¬ geben, die Schafe von den Böcken zu sondern, und damit die Möglichkeit, die Böcke in der richtigen Weise seelsorgerisch zu behandeln. Bis jetzt stehen immer noch die Schafe und die Böcke, die Heuchler, in demselben Stalle und werden gepflegt, draußen aber gehen viele in der Irre, um die sich niemand kümmert. Die Zeit ist da, in der das Evangelium wieder als werbende und thätige Macht ins Leben eingreifen muß. Oder war die alte Kirche nur eine lehrende? Es war einmal ein kluger Mann, der saß aus einem Baum und sägte und sägte; und er sah nicht, daß er eben den Ast ansägte, worauf er saß. Unter dem Baume aber standen viele Leute und sahen zu, die waren auch klug; nur einige wenige „Thörichte" waren darunter, die dem Manne oben sein ge¬ fährliches Thun zeigten. Der hörte aber nicht und sägte ruhig weiter, und die wenigen nater waren zu schwach und standen zu fern, um ihm in den Arm fallen zu können. Da krachte es plötzlich, und der Mann oben stürzte mit dem Ast herab und begrub von den klugen Leuten, die da ruhig zuschauten, viele im Falle, und sie brachen Arme und Beine. Man weiß aber heute noch nicht, wer klüger war, der Mann oben oder die Leute unten. Die Infektionskrankheiten H. Böing von(Schluß) cum ich sagte, der Begriff der Infektionskrankheiten sei ein moderner, so ist das natürlich ouin, g-raro salis zu verstehen; denn er ist der Neuzeit keineswegs unvermittelt in den Schoß gefallen, wie etwa ein neuer Komet plötzlich am Himmel er¬ scheint und mit seinem hellen Lichte die dunkle Nacht erleuchtet. Denkende Ärzte hatten schon längst die Vermutung geäußert, daß die Volksseuchen, die man mit dem Namen der ansteckenden (eontagiösen) Krank-M M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/72>, abgerufen am 01.09.2024.