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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Monroedoktrin

le deutsche Presse zeigt wieder einmal einen bedauerlichen Mangel
an politischem Gefühl, nämlich in der Beurteilung des venezo¬
lanischen Grenzstreits zwischen England und den Vereinigten
Staaten von Amerika. Da wird mit vollem Ernst die Frage
erörtert, ob die Vereinigten Staaten das Recht hätten, die
Monroedoktrin auf diesen Fall auszudehnen. Ein Recht! Als ob es über¬
haupt Rechte in diesem Sinne zwischen den Staaten gäbe, und als ob vollends
die Monroedoktrin ein solches Recht wäre! Leuten, die von den politischen
Dingen einige Kenntnis haben -- und das sollten doch Zeitungsleute --,
braucht man nicht zu sagen, daß die Monroedoktrin kein Recht ist, sondern
ein Machtanspruch, ein Anspruch, der soweit reicht, als die Macht reicht. Als
der Anspruch "Amerika den Amerikanern" zuerst von jenem Staatsmann der
Vereinigten Staaten erhoben wurde, war ihre Macht geringer als jetzt. Man
darf daher wohl annehmen, daß es damals nur eine Forderung nach Ober¬
herrschaft in der nördlichen Hälfte des Weltteils war, die Forderung, daß auf
diesem Gebiete keine wesentliche Machtverschiebung ohne Zustimmung der Ber¬
einigten Staaten vor sich gehe, die Forderung, daß insbesondre kein euro¬
päischer Staat seinen Machtbereich dort ausdehne. Nun, da die Kraft der
Vereinigten Staaten beträchtlich gewachsen ist, wie selbstverständlich erscheint
es da, daß sich jener Anspruch erweitert! Warum soll er nun nicht lauten:
Ausdehnung des Anspruchs auf Südamerika, Verminderung des europäischen
Machtbereichs in Nord- und Südamerika? Ist darin ein Unrecht enthalten,
wenn jemand diesen Anspruch erhebt? Ja paßt überhaupt der Grundsatz von
Recht und Unrecht auf den ganzen Vorgang? Wird irgend einem Menschen
damit zu nahe getreten? Es ist doch nichts weiter als der Wunsch des nord¬
amerikanischen Volks, die Grundgedanken seiner Gesittung da zur Geltung zu
bringen, wo bisher der Engländer schaltete.


Grenzboten I 1896 L


Die Monroedoktrin

le deutsche Presse zeigt wieder einmal einen bedauerlichen Mangel
an politischem Gefühl, nämlich in der Beurteilung des venezo¬
lanischen Grenzstreits zwischen England und den Vereinigten
Staaten von Amerika. Da wird mit vollem Ernst die Frage
erörtert, ob die Vereinigten Staaten das Recht hätten, die
Monroedoktrin auf diesen Fall auszudehnen. Ein Recht! Als ob es über¬
haupt Rechte in diesem Sinne zwischen den Staaten gäbe, und als ob vollends
die Monroedoktrin ein solches Recht wäre! Leuten, die von den politischen
Dingen einige Kenntnis haben — und das sollten doch Zeitungsleute —,
braucht man nicht zu sagen, daß die Monroedoktrin kein Recht ist, sondern
ein Machtanspruch, ein Anspruch, der soweit reicht, als die Macht reicht. Als
der Anspruch „Amerika den Amerikanern" zuerst von jenem Staatsmann der
Vereinigten Staaten erhoben wurde, war ihre Macht geringer als jetzt. Man
darf daher wohl annehmen, daß es damals nur eine Forderung nach Ober¬
herrschaft in der nördlichen Hälfte des Weltteils war, die Forderung, daß auf
diesem Gebiete keine wesentliche Machtverschiebung ohne Zustimmung der Ber¬
einigten Staaten vor sich gehe, die Forderung, daß insbesondre kein euro¬
päischer Staat seinen Machtbereich dort ausdehne. Nun, da die Kraft der
Vereinigten Staaten beträchtlich gewachsen ist, wie selbstverständlich erscheint
es da, daß sich jener Anspruch erweitert! Warum soll er nun nicht lauten:
Ausdehnung des Anspruchs auf Südamerika, Verminderung des europäischen
Machtbereichs in Nord- und Südamerika? Ist darin ein Unrecht enthalten,
wenn jemand diesen Anspruch erhebt? Ja paßt überhaupt der Grundsatz von
Recht und Unrecht auf den ganzen Vorgang? Wird irgend einem Menschen
damit zu nahe getreten? Es ist doch nichts weiter als der Wunsch des nord¬
amerikanischen Volks, die Grundgedanken seiner Gesittung da zur Geltung zu
bringen, wo bisher der Engländer schaltete.


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[0065] [Abbildung] Die Monroedoktrin le deutsche Presse zeigt wieder einmal einen bedauerlichen Mangel an politischem Gefühl, nämlich in der Beurteilung des venezo¬ lanischen Grenzstreits zwischen England und den Vereinigten Staaten von Amerika. Da wird mit vollem Ernst die Frage erörtert, ob die Vereinigten Staaten das Recht hätten, die Monroedoktrin auf diesen Fall auszudehnen. Ein Recht! Als ob es über¬ haupt Rechte in diesem Sinne zwischen den Staaten gäbe, und als ob vollends die Monroedoktrin ein solches Recht wäre! Leuten, die von den politischen Dingen einige Kenntnis haben — und das sollten doch Zeitungsleute —, braucht man nicht zu sagen, daß die Monroedoktrin kein Recht ist, sondern ein Machtanspruch, ein Anspruch, der soweit reicht, als die Macht reicht. Als der Anspruch „Amerika den Amerikanern" zuerst von jenem Staatsmann der Vereinigten Staaten erhoben wurde, war ihre Macht geringer als jetzt. Man darf daher wohl annehmen, daß es damals nur eine Forderung nach Ober¬ herrschaft in der nördlichen Hälfte des Weltteils war, die Forderung, daß auf diesem Gebiete keine wesentliche Machtverschiebung ohne Zustimmung der Ber¬ einigten Staaten vor sich gehe, die Forderung, daß insbesondre kein euro¬ päischer Staat seinen Machtbereich dort ausdehne. Nun, da die Kraft der Vereinigten Staaten beträchtlich gewachsen ist, wie selbstverständlich erscheint es da, daß sich jener Anspruch erweitert! Warum soll er nun nicht lauten: Ausdehnung des Anspruchs auf Südamerika, Verminderung des europäischen Machtbereichs in Nord- und Südamerika? Ist darin ein Unrecht enthalten, wenn jemand diesen Anspruch erhebt? Ja paßt überhaupt der Grundsatz von Recht und Unrecht auf den ganzen Vorgang? Wird irgend einem Menschen damit zu nahe getreten? Es ist doch nichts weiter als der Wunsch des nord¬ amerikanischen Volks, die Grundgedanken seiner Gesittung da zur Geltung zu bringen, wo bisher der Engländer schaltete. Grenzboten I 1896 L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/65>, abgerufen am 01.09.2024.