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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des ^Zeh im Aeitenstrome

im Gegenteil würde er, wenn er größere Erfolge gehabt hätte, die Verwirrung
nicht unwesentlich vermehrt haben, denn er enthält einen ganzen Knäuel von
Widersprüchen, Er proklamirt den Grundsatz der freien Forschung und beruft
sich zugleich auf die alten Konzilien. Er legt den einen Konzilien größere,
den andern geringere Autorität bei, obgleich man weiß, daß es auf allen Kon¬
zilien, auch auf den allerältesten, sehr menschlich zugegangen ist. Seine her¬
vorragendsten Laienmitglieder sind größtenteils politisch Liberale, die, als das
Wort noch Mode war, den Fortschritt auf ihre Fahne geschrieben hatten, die
Daseinsberechtigung ihres Kirchenwesens aber gründen sie auf die unbefugten
Neuerungen, die der Papst eingeführt habe, während nach dem alten kirchlichen
Grundsatze in Glanben und Kirchenverfassung nichts geändert werden dürfe.
Freunde des Fortschritts gegen päpstliche Neuerungssucht Protestiren zu sehen,
ist ein mehr peinliches, als erhebendes Schauspiel. Wenn die heutige Zeit,
wie im Staate, so auch in der Kirche eine straffere Zentralisirung zu fordern
schien, so konnte ein gläubiger Katholik vom Gesichtspunkte eines vernunft¬
gemäßen Fortschritts aus gegen die vatikanischen Dekrete gar nichts einzuwenden
haben. Einwendungen waren allerdings berechtigt, aber nur nicht in der Form:
der Papst macht eine neue Kirche, wir wollen die Alten bleiben. Zunächst
mußte die ultramontane Bewegung allen weltlich Gesinnten höchst widerwärtig
sein; wer gar nicht oder so wenig wie möglich mit religiösen Dingen belästigt
werden will, dem sind natürlich Mönchskutten, neue Andachten, Papstbilder in
allen Schaufenstern, Prozessionen, kirchliche Ansprüche an den Staat und was
die kirchliche Reaktion des neunzehnten Jahrhunderts sonst noch mit sich bringt,
ein Greuel, und mag er seine Abneigung so stark aussprechen, wie er will,
ich nehme es ihm nicht übel, nur soll er sich nicht einbilden, daß er ernst
genommen werden wird, wenn er seiner Gegeuagitation den Mantel der Glaubens-
treue umhängt. Tief religiöse Gemüter waren mit Recht schon darum ent¬
rüstet über die weitere Erhöhung der päpstlichen Gewalt, weil der Papst, der
sie anstrebte, ein bigotter Mann war, der allen Aberglauben und eine in
Äußerlichkeiten aufgehende Frömmigkeit schützte und förderte. Aber auch diese
hatten ihren Protest nicht gegen die Neuerung an sich zu richten, sondern
dagegen, daß nicht im rechten Sinne geneuert werde; sowohl die Überspannung
der Papstgewalt wie der Aberglaube waren beides recht alte Übel. Wenn
endlich ein Kirchenpolitikus gefunden hätte, daß der Kirche, damit sie sich der
Gegner besser erwehren könne, eine Verstärkung der Zentralgewalt notthuc,
so hätte er zwar, wie gesagt, gegen die Lehre vom Universalepiskopat und
vom päpstlichen Stuhle als der höchsten Instanz in Glaubenssachen nichts
einwenden dürfen; wenn er aber im übrigen ein gewissenhafter Mann war, so
mußte er sich gegen die Form dieser Verfassungsänderung oder, wenn man
will, dieser Kodifizirung einer thatsächlich schon bestehenden Verfassung sträuben.
Daß solche Änderungen, die ja nützlich und nötig sein können, mit Schrift-


Wandlungen des ^Zeh im Aeitenstrome

im Gegenteil würde er, wenn er größere Erfolge gehabt hätte, die Verwirrung
nicht unwesentlich vermehrt haben, denn er enthält einen ganzen Knäuel von
Widersprüchen, Er proklamirt den Grundsatz der freien Forschung und beruft
sich zugleich auf die alten Konzilien. Er legt den einen Konzilien größere,
den andern geringere Autorität bei, obgleich man weiß, daß es auf allen Kon¬
zilien, auch auf den allerältesten, sehr menschlich zugegangen ist. Seine her¬
vorragendsten Laienmitglieder sind größtenteils politisch Liberale, die, als das
Wort noch Mode war, den Fortschritt auf ihre Fahne geschrieben hatten, die
Daseinsberechtigung ihres Kirchenwesens aber gründen sie auf die unbefugten
Neuerungen, die der Papst eingeführt habe, während nach dem alten kirchlichen
Grundsatze in Glanben und Kirchenverfassung nichts geändert werden dürfe.
Freunde des Fortschritts gegen päpstliche Neuerungssucht Protestiren zu sehen,
ist ein mehr peinliches, als erhebendes Schauspiel. Wenn die heutige Zeit,
wie im Staate, so auch in der Kirche eine straffere Zentralisirung zu fordern
schien, so konnte ein gläubiger Katholik vom Gesichtspunkte eines vernunft¬
gemäßen Fortschritts aus gegen die vatikanischen Dekrete gar nichts einzuwenden
haben. Einwendungen waren allerdings berechtigt, aber nur nicht in der Form:
der Papst macht eine neue Kirche, wir wollen die Alten bleiben. Zunächst
mußte die ultramontane Bewegung allen weltlich Gesinnten höchst widerwärtig
sein; wer gar nicht oder so wenig wie möglich mit religiösen Dingen belästigt
werden will, dem sind natürlich Mönchskutten, neue Andachten, Papstbilder in
allen Schaufenstern, Prozessionen, kirchliche Ansprüche an den Staat und was
die kirchliche Reaktion des neunzehnten Jahrhunderts sonst noch mit sich bringt,
ein Greuel, und mag er seine Abneigung so stark aussprechen, wie er will,
ich nehme es ihm nicht übel, nur soll er sich nicht einbilden, daß er ernst
genommen werden wird, wenn er seiner Gegeuagitation den Mantel der Glaubens-
treue umhängt. Tief religiöse Gemüter waren mit Recht schon darum ent¬
rüstet über die weitere Erhöhung der päpstlichen Gewalt, weil der Papst, der
sie anstrebte, ein bigotter Mann war, der allen Aberglauben und eine in
Äußerlichkeiten aufgehende Frömmigkeit schützte und förderte. Aber auch diese
hatten ihren Protest nicht gegen die Neuerung an sich zu richten, sondern
dagegen, daß nicht im rechten Sinne geneuert werde; sowohl die Überspannung
der Papstgewalt wie der Aberglaube waren beides recht alte Übel. Wenn
endlich ein Kirchenpolitikus gefunden hätte, daß der Kirche, damit sie sich der
Gegner besser erwehren könne, eine Verstärkung der Zentralgewalt notthuc,
so hätte er zwar, wie gesagt, gegen die Lehre vom Universalepiskopat und
vom päpstlichen Stuhle als der höchsten Instanz in Glaubenssachen nichts
einwenden dürfen; wenn er aber im übrigen ein gewissenhafter Mann war, so
mußte er sich gegen die Form dieser Verfassungsänderung oder, wenn man
will, dieser Kodifizirung einer thatsächlich schon bestehenden Verfassung sträuben.
Daß solche Änderungen, die ja nützlich und nötig sein können, mit Schrift-


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[0629] Wandlungen des ^Zeh im Aeitenstrome im Gegenteil würde er, wenn er größere Erfolge gehabt hätte, die Verwirrung nicht unwesentlich vermehrt haben, denn er enthält einen ganzen Knäuel von Widersprüchen, Er proklamirt den Grundsatz der freien Forschung und beruft sich zugleich auf die alten Konzilien. Er legt den einen Konzilien größere, den andern geringere Autorität bei, obgleich man weiß, daß es auf allen Kon¬ zilien, auch auf den allerältesten, sehr menschlich zugegangen ist. Seine her¬ vorragendsten Laienmitglieder sind größtenteils politisch Liberale, die, als das Wort noch Mode war, den Fortschritt auf ihre Fahne geschrieben hatten, die Daseinsberechtigung ihres Kirchenwesens aber gründen sie auf die unbefugten Neuerungen, die der Papst eingeführt habe, während nach dem alten kirchlichen Grundsatze in Glanben und Kirchenverfassung nichts geändert werden dürfe. Freunde des Fortschritts gegen päpstliche Neuerungssucht Protestiren zu sehen, ist ein mehr peinliches, als erhebendes Schauspiel. Wenn die heutige Zeit, wie im Staate, so auch in der Kirche eine straffere Zentralisirung zu fordern schien, so konnte ein gläubiger Katholik vom Gesichtspunkte eines vernunft¬ gemäßen Fortschritts aus gegen die vatikanischen Dekrete gar nichts einzuwenden haben. Einwendungen waren allerdings berechtigt, aber nur nicht in der Form: der Papst macht eine neue Kirche, wir wollen die Alten bleiben. Zunächst mußte die ultramontane Bewegung allen weltlich Gesinnten höchst widerwärtig sein; wer gar nicht oder so wenig wie möglich mit religiösen Dingen belästigt werden will, dem sind natürlich Mönchskutten, neue Andachten, Papstbilder in allen Schaufenstern, Prozessionen, kirchliche Ansprüche an den Staat und was die kirchliche Reaktion des neunzehnten Jahrhunderts sonst noch mit sich bringt, ein Greuel, und mag er seine Abneigung so stark aussprechen, wie er will, ich nehme es ihm nicht übel, nur soll er sich nicht einbilden, daß er ernst genommen werden wird, wenn er seiner Gegeuagitation den Mantel der Glaubens- treue umhängt. Tief religiöse Gemüter waren mit Recht schon darum ent¬ rüstet über die weitere Erhöhung der päpstlichen Gewalt, weil der Papst, der sie anstrebte, ein bigotter Mann war, der allen Aberglauben und eine in Äußerlichkeiten aufgehende Frömmigkeit schützte und förderte. Aber auch diese hatten ihren Protest nicht gegen die Neuerung an sich zu richten, sondern dagegen, daß nicht im rechten Sinne geneuert werde; sowohl die Überspannung der Papstgewalt wie der Aberglaube waren beides recht alte Übel. Wenn endlich ein Kirchenpolitikus gefunden hätte, daß der Kirche, damit sie sich der Gegner besser erwehren könne, eine Verstärkung der Zentralgewalt notthuc, so hätte er zwar, wie gesagt, gegen die Lehre vom Universalepiskopat und vom päpstlichen Stuhle als der höchsten Instanz in Glaubenssachen nichts einwenden dürfen; wenn er aber im übrigen ein gewissenhafter Mann war, so mußte er sich gegen die Form dieser Verfassungsänderung oder, wenn man will, dieser Kodifizirung einer thatsächlich schon bestehenden Verfassung sträuben. Daß solche Änderungen, die ja nützlich und nötig sein können, mit Schrift-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/629>, abgerufen am 01.09.2024.