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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Gemeinde gehörten, wurde einem sehr rasch klar, wie sie zu ihrer "altkatho¬
lischen Überzeugung" gekommen seien, wenn man sich nach ihren Erwerbsver¬
hältnissen erkundigte; der war Schreiber beim Rechtsanwalt A., jener Haus¬
hälter beim Kaufmann B., ein dritter hatte städtische Arbeit, und der Bürger¬
meister war altkatholisch usw. Freilich sind in Baden auch eine Anzahl
ländliche Altkatholikengemeinden entstanden. Das ist in Dörfern geschehen,
deren Oberhäupter in regem und engem Verkehr mit städtischen Autoritäten
standen. Die Bauern waren in Baden weniger widerstandsfähig als anderwärts,
weil damals der Wessenbergische Sauerteig noch nicht ganz ausgefegt war.

Also mit einem großen Schisma, in dessen Schoße man ein gemütliches
Stillleben hätte führen können, wie es die Angehörigen des kleinen holländischen
Schismas anderthalb hundert Jahre geführt hatten, war es auch in Baden
nichts. Ich sah demnach in der Altkatholikengemeinschaft nur noch einen
Notbau für Katholiken, die weder ultramoutan fein noch sich entschließen
konnten, Protestanten zu werden. Und dieses Obdach schien sehr bald durch
die "Jungen," die Stürmer und Dränger in der kleinen Gemeinschaft, gefährdet
werden zu sollen. Da der Fortgang der Sache den hochgespannter Erwar¬
tungen und kühnen Prophezeiungen nicht entsprach, so behaupteten diese Herrn,
das liege nur an der greisenhaft furchtsamen, seigen, zögernden Kompromi߬
politik der ältern Führer, namentlich der Münchner und der Bonner Pro¬
fessoren; wenn man das Volk fortreißen wolle, müsse man kühn reformiren.
Zunächst forderten sie die deutsche Messe und die Aufhebung des Zölibats.
Ich trat dieser Richtung ganz entschieden entgegen. Ich fand, daß die Bonner
Professoren schon viel zu viel reformirt hätten. Wie lag denn die Sache?
Die Altkatholiken behaupteten, sie hielten "am alten katholischen Glauben" fest,
während die "Vatikaner" von ihm abgefallen seien. Dieser Behauptung hatten
die Staatsregierungen geglaubt, und darauf hin hatten sie den Altkatholiken
den ihnen nach der Kopfzahl gebührenden Anteil am örtlichen Kirchenvermögen
und den Mitgebrauch der Kirchen zugesichert. Wenn nun aber die Reformer
aus ihrem Kirchenwesen etwas ganz andres machten, wie konnten sie da noch
die Rechte beanspruchen, die den "im alten katholischen Glauben treu ver¬
harrenden" zugesichert worden waren? Das war die juristische Seite. Nicht
minder bedenklich stand es um die ideelle. Am Katholizismus festhalten, wie
er bis zum Jahre 1870 geworden war, aber das neue Dogma als der Tra¬
dition und den alten Konzilien widersprechend zurückweisen, das mochte ein
recht beschränkter Standpunkt sein, aber es war ein wirklicher fester Boden,
auf dem ein beschränkter und eigensinniger Mensch stehen und sich halten
konnte. Folgert man dagegen: wie dieses letzte Dogma seinen Ursprung nicht
dem Geist Gottes, sondern menschlicher Gewalt, List und Selbstsucht verdankt,
so ist es auch schon mit frühern Dogmen ergangen, dann befindet man sich
eben nicht mehr auf dem katholischen Boden der Autorität und Tradition,


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Gemeinde gehörten, wurde einem sehr rasch klar, wie sie zu ihrer „altkatho¬
lischen Überzeugung" gekommen seien, wenn man sich nach ihren Erwerbsver¬
hältnissen erkundigte; der war Schreiber beim Rechtsanwalt A., jener Haus¬
hälter beim Kaufmann B., ein dritter hatte städtische Arbeit, und der Bürger¬
meister war altkatholisch usw. Freilich sind in Baden auch eine Anzahl
ländliche Altkatholikengemeinden entstanden. Das ist in Dörfern geschehen,
deren Oberhäupter in regem und engem Verkehr mit städtischen Autoritäten
standen. Die Bauern waren in Baden weniger widerstandsfähig als anderwärts,
weil damals der Wessenbergische Sauerteig noch nicht ganz ausgefegt war.

Also mit einem großen Schisma, in dessen Schoße man ein gemütliches
Stillleben hätte führen können, wie es die Angehörigen des kleinen holländischen
Schismas anderthalb hundert Jahre geführt hatten, war es auch in Baden
nichts. Ich sah demnach in der Altkatholikengemeinschaft nur noch einen
Notbau für Katholiken, die weder ultramoutan fein noch sich entschließen
konnten, Protestanten zu werden. Und dieses Obdach schien sehr bald durch
die „Jungen," die Stürmer und Dränger in der kleinen Gemeinschaft, gefährdet
werden zu sollen. Da der Fortgang der Sache den hochgespannter Erwar¬
tungen und kühnen Prophezeiungen nicht entsprach, so behaupteten diese Herrn,
das liege nur an der greisenhaft furchtsamen, seigen, zögernden Kompromi߬
politik der ältern Führer, namentlich der Münchner und der Bonner Pro¬
fessoren; wenn man das Volk fortreißen wolle, müsse man kühn reformiren.
Zunächst forderten sie die deutsche Messe und die Aufhebung des Zölibats.
Ich trat dieser Richtung ganz entschieden entgegen. Ich fand, daß die Bonner
Professoren schon viel zu viel reformirt hätten. Wie lag denn die Sache?
Die Altkatholiken behaupteten, sie hielten „am alten katholischen Glauben" fest,
während die „Vatikaner" von ihm abgefallen seien. Dieser Behauptung hatten
die Staatsregierungen geglaubt, und darauf hin hatten sie den Altkatholiken
den ihnen nach der Kopfzahl gebührenden Anteil am örtlichen Kirchenvermögen
und den Mitgebrauch der Kirchen zugesichert. Wenn nun aber die Reformer
aus ihrem Kirchenwesen etwas ganz andres machten, wie konnten sie da noch
die Rechte beanspruchen, die den „im alten katholischen Glauben treu ver¬
harrenden" zugesichert worden waren? Das war die juristische Seite. Nicht
minder bedenklich stand es um die ideelle. Am Katholizismus festhalten, wie
er bis zum Jahre 1870 geworden war, aber das neue Dogma als der Tra¬
dition und den alten Konzilien widersprechend zurückweisen, das mochte ein
recht beschränkter Standpunkt sein, aber es war ein wirklicher fester Boden,
auf dem ein beschränkter und eigensinniger Mensch stehen und sich halten
konnte. Folgert man dagegen: wie dieses letzte Dogma seinen Ursprung nicht
dem Geist Gottes, sondern menschlicher Gewalt, List und Selbstsucht verdankt,
so ist es auch schon mit frühern Dogmen ergangen, dann befindet man sich
eben nicht mehr auf dem katholischen Boden der Autorität und Tradition,


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[0626] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Gemeinde gehörten, wurde einem sehr rasch klar, wie sie zu ihrer „altkatho¬ lischen Überzeugung" gekommen seien, wenn man sich nach ihren Erwerbsver¬ hältnissen erkundigte; der war Schreiber beim Rechtsanwalt A., jener Haus¬ hälter beim Kaufmann B., ein dritter hatte städtische Arbeit, und der Bürger¬ meister war altkatholisch usw. Freilich sind in Baden auch eine Anzahl ländliche Altkatholikengemeinden entstanden. Das ist in Dörfern geschehen, deren Oberhäupter in regem und engem Verkehr mit städtischen Autoritäten standen. Die Bauern waren in Baden weniger widerstandsfähig als anderwärts, weil damals der Wessenbergische Sauerteig noch nicht ganz ausgefegt war. Also mit einem großen Schisma, in dessen Schoße man ein gemütliches Stillleben hätte führen können, wie es die Angehörigen des kleinen holländischen Schismas anderthalb hundert Jahre geführt hatten, war es auch in Baden nichts. Ich sah demnach in der Altkatholikengemeinschaft nur noch einen Notbau für Katholiken, die weder ultramoutan fein noch sich entschließen konnten, Protestanten zu werden. Und dieses Obdach schien sehr bald durch die „Jungen," die Stürmer und Dränger in der kleinen Gemeinschaft, gefährdet werden zu sollen. Da der Fortgang der Sache den hochgespannter Erwar¬ tungen und kühnen Prophezeiungen nicht entsprach, so behaupteten diese Herrn, das liege nur an der greisenhaft furchtsamen, seigen, zögernden Kompromi߬ politik der ältern Führer, namentlich der Münchner und der Bonner Pro¬ fessoren; wenn man das Volk fortreißen wolle, müsse man kühn reformiren. Zunächst forderten sie die deutsche Messe und die Aufhebung des Zölibats. Ich trat dieser Richtung ganz entschieden entgegen. Ich fand, daß die Bonner Professoren schon viel zu viel reformirt hätten. Wie lag denn die Sache? Die Altkatholiken behaupteten, sie hielten „am alten katholischen Glauben" fest, während die „Vatikaner" von ihm abgefallen seien. Dieser Behauptung hatten die Staatsregierungen geglaubt, und darauf hin hatten sie den Altkatholiken den ihnen nach der Kopfzahl gebührenden Anteil am örtlichen Kirchenvermögen und den Mitgebrauch der Kirchen zugesichert. Wenn nun aber die Reformer aus ihrem Kirchenwesen etwas ganz andres machten, wie konnten sie da noch die Rechte beanspruchen, die den „im alten katholischen Glauben treu ver¬ harrenden" zugesichert worden waren? Das war die juristische Seite. Nicht minder bedenklich stand es um die ideelle. Am Katholizismus festhalten, wie er bis zum Jahre 1870 geworden war, aber das neue Dogma als der Tra¬ dition und den alten Konzilien widersprechend zurückweisen, das mochte ein recht beschränkter Standpunkt sein, aber es war ein wirklicher fester Boden, auf dem ein beschränkter und eigensinniger Mensch stehen und sich halten konnte. Folgert man dagegen: wie dieses letzte Dogma seinen Ursprung nicht dem Geist Gottes, sondern menschlicher Gewalt, List und Selbstsucht verdankt, so ist es auch schon mit frühern Dogmen ergangen, dann befindet man sich eben nicht mehr auf dem katholischen Boden der Autorität und Tradition,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/626>, abgerufen am 01.09.2024.