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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

was der Augenblick gebot, und dieser gebot ein solches Verfahren, denn da sich
die altkatholischen Geistlichen anfänglich nicht die geringste Abweichung vom
römischen Ritus gestatteten, so würden, wenn beide Parteien dieselbe Kirche
benutzt hätten, viele aus Neugier oder der bequemern Zeit wegen den alt¬
katholischen Gottesdienst besucht und sich daran gewöhnt haben; es ist ja ganz
dasselbe, würden sie sich gesagt haben. Zu diesen Gefährdungen des Katholi¬
zismus kamen die täglichen Beschimpfungen in den großen Zeitungen wie in
den kleinsten Blättchen. Natürlich ließen es die Katholiken am Wicderschimpfen
nicht fehlen, aber da sie anfänglich nur sehr wenig Organe hatten, so ver¬
mochten sie den gewaltigen Chorus der Gegner nicht zu überschreien, und dieser
wurde von den meisten Ohren im deutschen Vnterlande allein gehört. Dadurch
aber sahen sich auch solche indifferente Katholiken der gebildeten Stände, die
nicht sofort der Altkatholikengemeinschaft beigetreten waren, zur energischen
Parteinahme für eine ihnen an sich gleichgiltige und vielleicht sogar wider¬
wärtige Sache gedrängt. Wie das Schimpfen psychologisch wirkt, das war
mir schon vor 1870 an einem an sich ganz unbedeutenden Falle in Liegnitz
klar geworden. Vier Nechtsanwcilte, drei Katholiken und ein Jude, sitzen beim
Wein. Der Jude unterhält seine Kollegen mit schlechten Witzen über Papst,
Pfaffen und katholischen Aberglauben. Von den drei Katholiken weiß keiner
mehr, wie es in einer Kirche aussieht, und der angesehenste unter ihnen,
Justizrat P., ist als erklärter Freigeist bekannt. Trotzdem spricht dieser nach
einer Weile: Meine Herren, wenn ich nicht irre, sind Sie beide ebenfalls katho¬
lisch; ich sehe nicht ein, warum wir von diesem Juden unsre Konfession be¬
schimpfen lasten sollen; wenn Sie einverstanden sind, verbitten wir uns das.
Und sie waren einverstanden. Mit der Konfession ist es wie mit dem Stande;
mag man ihr auch innerlich entfremdet sein, so lange man ihr noch äußerlich
angehört, empfindet man ihre Beschimpfung als eine persönliche Beleidigung.
So schlössen sich denn in den katholischen Gegenden die ultramontanen Mehr¬
heiten der Gemeinden zu energischer Gegenwehr zusammen, und um die halb
protestantischen, halb liberal katholischen Mehrheiten in den städtischen Körper¬
schaften war es überall da geschehen, wo nicht der Zensns für Protestanten,
Altkatholiken oder Juden den Ausschlag gab.

Die Altkatholikengemeinden waren Honoratiorengesellschaften. Eine Dame
fagte mir einmal: Wenn man sich in der Kirche so umsieht -- wir sind doch
eine recht gewühlte Gesellschaft. Ich erwiderte ihr, daß mir an dieser gewählten
Gesellschaft gar nichts liege, und daß mir Handwerker, Fabrikarbeiter und Tage¬
löhner lieber sein würden. Bei den paar gewöhnlichen Leuten, die zu so einer


bezeichnet das Kirchenrecht - 1- tioraieiciinm volunt,a.rinn et insustuw, 2. sssasio s-mAuinis
dominis ox xorvnssiollo, 3. soxulwrs, ion dsPti^ti und eine vierte, die hier nicht genannt
werden kann, und zwar müssen diese Handlungen innerhalb des für den Gottesdienst bestimmten
Raumes begangen werden und notorisch sein.
Grenzboten I 1896 78
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

was der Augenblick gebot, und dieser gebot ein solches Verfahren, denn da sich
die altkatholischen Geistlichen anfänglich nicht die geringste Abweichung vom
römischen Ritus gestatteten, so würden, wenn beide Parteien dieselbe Kirche
benutzt hätten, viele aus Neugier oder der bequemern Zeit wegen den alt¬
katholischen Gottesdienst besucht und sich daran gewöhnt haben; es ist ja ganz
dasselbe, würden sie sich gesagt haben. Zu diesen Gefährdungen des Katholi¬
zismus kamen die täglichen Beschimpfungen in den großen Zeitungen wie in
den kleinsten Blättchen. Natürlich ließen es die Katholiken am Wicderschimpfen
nicht fehlen, aber da sie anfänglich nur sehr wenig Organe hatten, so ver¬
mochten sie den gewaltigen Chorus der Gegner nicht zu überschreien, und dieser
wurde von den meisten Ohren im deutschen Vnterlande allein gehört. Dadurch
aber sahen sich auch solche indifferente Katholiken der gebildeten Stände, die
nicht sofort der Altkatholikengemeinschaft beigetreten waren, zur energischen
Parteinahme für eine ihnen an sich gleichgiltige und vielleicht sogar wider¬
wärtige Sache gedrängt. Wie das Schimpfen psychologisch wirkt, das war
mir schon vor 1870 an einem an sich ganz unbedeutenden Falle in Liegnitz
klar geworden. Vier Nechtsanwcilte, drei Katholiken und ein Jude, sitzen beim
Wein. Der Jude unterhält seine Kollegen mit schlechten Witzen über Papst,
Pfaffen und katholischen Aberglauben. Von den drei Katholiken weiß keiner
mehr, wie es in einer Kirche aussieht, und der angesehenste unter ihnen,
Justizrat P., ist als erklärter Freigeist bekannt. Trotzdem spricht dieser nach
einer Weile: Meine Herren, wenn ich nicht irre, sind Sie beide ebenfalls katho¬
lisch; ich sehe nicht ein, warum wir von diesem Juden unsre Konfession be¬
schimpfen lasten sollen; wenn Sie einverstanden sind, verbitten wir uns das.
Und sie waren einverstanden. Mit der Konfession ist es wie mit dem Stande;
mag man ihr auch innerlich entfremdet sein, so lange man ihr noch äußerlich
angehört, empfindet man ihre Beschimpfung als eine persönliche Beleidigung.
So schlössen sich denn in den katholischen Gegenden die ultramontanen Mehr¬
heiten der Gemeinden zu energischer Gegenwehr zusammen, und um die halb
protestantischen, halb liberal katholischen Mehrheiten in den städtischen Körper¬
schaften war es überall da geschehen, wo nicht der Zensns für Protestanten,
Altkatholiken oder Juden den Ausschlag gab.

Die Altkatholikengemeinden waren Honoratiorengesellschaften. Eine Dame
fagte mir einmal: Wenn man sich in der Kirche so umsieht — wir sind doch
eine recht gewühlte Gesellschaft. Ich erwiderte ihr, daß mir an dieser gewählten
Gesellschaft gar nichts liege, und daß mir Handwerker, Fabrikarbeiter und Tage¬
löhner lieber sein würden. Bei den paar gewöhnlichen Leuten, die zu so einer


bezeichnet das Kirchenrecht - 1- tioraieiciinm volunt,a.rinn et insustuw, 2. sssasio s-mAuinis
dominis ox xorvnssiollo, 3. soxulwrs, ion dsPti^ti und eine vierte, die hier nicht genannt
werden kann, und zwar müssen diese Handlungen innerhalb des für den Gottesdienst bestimmten
Raumes begangen werden und notorisch sein.
Grenzboten I 1896 78
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[0625] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome was der Augenblick gebot, und dieser gebot ein solches Verfahren, denn da sich die altkatholischen Geistlichen anfänglich nicht die geringste Abweichung vom römischen Ritus gestatteten, so würden, wenn beide Parteien dieselbe Kirche benutzt hätten, viele aus Neugier oder der bequemern Zeit wegen den alt¬ katholischen Gottesdienst besucht und sich daran gewöhnt haben; es ist ja ganz dasselbe, würden sie sich gesagt haben. Zu diesen Gefährdungen des Katholi¬ zismus kamen die täglichen Beschimpfungen in den großen Zeitungen wie in den kleinsten Blättchen. Natürlich ließen es die Katholiken am Wicderschimpfen nicht fehlen, aber da sie anfänglich nur sehr wenig Organe hatten, so ver¬ mochten sie den gewaltigen Chorus der Gegner nicht zu überschreien, und dieser wurde von den meisten Ohren im deutschen Vnterlande allein gehört. Dadurch aber sahen sich auch solche indifferente Katholiken der gebildeten Stände, die nicht sofort der Altkatholikengemeinschaft beigetreten waren, zur energischen Parteinahme für eine ihnen an sich gleichgiltige und vielleicht sogar wider¬ wärtige Sache gedrängt. Wie das Schimpfen psychologisch wirkt, das war mir schon vor 1870 an einem an sich ganz unbedeutenden Falle in Liegnitz klar geworden. Vier Nechtsanwcilte, drei Katholiken und ein Jude, sitzen beim Wein. Der Jude unterhält seine Kollegen mit schlechten Witzen über Papst, Pfaffen und katholischen Aberglauben. Von den drei Katholiken weiß keiner mehr, wie es in einer Kirche aussieht, und der angesehenste unter ihnen, Justizrat P., ist als erklärter Freigeist bekannt. Trotzdem spricht dieser nach einer Weile: Meine Herren, wenn ich nicht irre, sind Sie beide ebenfalls katho¬ lisch; ich sehe nicht ein, warum wir von diesem Juden unsre Konfession be¬ schimpfen lasten sollen; wenn Sie einverstanden sind, verbitten wir uns das. Und sie waren einverstanden. Mit der Konfession ist es wie mit dem Stande; mag man ihr auch innerlich entfremdet sein, so lange man ihr noch äußerlich angehört, empfindet man ihre Beschimpfung als eine persönliche Beleidigung. So schlössen sich denn in den katholischen Gegenden die ultramontanen Mehr¬ heiten der Gemeinden zu energischer Gegenwehr zusammen, und um die halb protestantischen, halb liberal katholischen Mehrheiten in den städtischen Körper¬ schaften war es überall da geschehen, wo nicht der Zensns für Protestanten, Altkatholiken oder Juden den Ausschlag gab. Die Altkatholikengemeinden waren Honoratiorengesellschaften. Eine Dame fagte mir einmal: Wenn man sich in der Kirche so umsieht — wir sind doch eine recht gewühlte Gesellschaft. Ich erwiderte ihr, daß mir an dieser gewählten Gesellschaft gar nichts liege, und daß mir Handwerker, Fabrikarbeiter und Tage¬ löhner lieber sein würden. Bei den paar gewöhnlichen Leuten, die zu so einer bezeichnet das Kirchenrecht - 1- tioraieiciinm volunt,a.rinn et insustuw, 2. sssasio s-mAuinis dominis ox xorvnssiollo, 3. soxulwrs, ion dsPti^ti und eine vierte, die hier nicht genannt werden kann, und zwar müssen diese Handlungen innerhalb des für den Gottesdienst bestimmten Raumes begangen werden und notorisch sein. Grenzboten I 1896 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/625>, abgerufen am 26.11.2024.