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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die erste Liebe

nicht zu seinem Behagen bei. In Iran von Zehleneck fiihlte er mit richtigem In¬
stinkt etwas verwandtes; er und sie verstanden sich schnell.

Du solltest mich bald einmal "nieder besuchen! sagte Ada, als Neumann fort war
und nun mich Frau von Zehleneck sich anschickte, Abschied zu nehmen.

Ich komme morgen wieder! rief Amelie und umarmte die Freundin gerührt.
-- Sie wurde immer gerührt und zärtlich, wenn sie einen Mann zu erobern hoffte.--
Dieser Neumann ist wirklich sehr nett! fuhr sie fort. Wie hübsch von ihm, das; er
dich oft zu besuchen scheint! Natürlich thut er es, weil dein guter Mann bei
ihm gestorben ist. Wirklich sehr rücksichtsvoll! So etwas findet man nicht leicht bei
der heutigen Männerwelt!

Als Frau von Ravenstein allein war, versuchte sie gleichfalls, günstiges über
Neumann zu denken. Aber es wurde ihr schwer. Besonders, weil sie ungern an
ihn dachte. Manchmal nahm sie sich fest vor, wenigstens zehn Minuten an ihn zu
denken, aber länger , als eine Minute hatte sie es noch nie fertig gebracht. Sie
wußte es nach der Uhr. Die Gedanken zerflatterten ihr immer, und wenn sie sich
besann, woran sie eigentlich gedacht hätte, war es immer ihr Mann gewesen. Sie
sah ihn beständig vor sich! wie er mir seinen Pistolen geschossen, wie er so
glücklich an seinem Buche geschrieben hatte, wie er immer zufrieden und immer gut
mit ihr gewesen war. In den ersten Jahren ihrer Ehe war sie oft ungeduldig, launisch,
verdrießlich gewesen. Das war damals, als sie noch Ansprüche ans Leben gemacht
hatte, als dieses ihr viel geben sollte und ihr nach ihrer Meinung nichts gab als
einen alten Mann. Aber dieser Mann war immer gut, immer geduldig gewesen.
Er hatte sie nicht ausgelacht, wenn sie mit ihren kindischen Einfällen zu ihm kam,
er war immer derselbe geblieben -- immer -- immer. Würde Neumann auch so
gut, so geduldig sein? Würde er Verständnis haben für ihre veränderlichen Stim¬
mungen und Allsichten, die von heute auf morgen wechseln konnten? Jetzt war er
sehr höflich, sehr ruhig und gemessen; aber würde er so bleiben? War nicht manchmal
ein sonderbar unruhiger Blick in seinen Augen, ein Zucker um seinen Mund, das ihr
mißfiel? Wenn die Baronin bei diesem Punkte angelangt war, dann schob sie plötzlich
alle Gedanken zurück, zündete sich eine Cignrette an und vertiefte sich in einen fran¬
zösischen Roman. Oder sie suchte den sonderbarsten alten Kram aus ihren Koffern
hervor und breitete alles um sich ans. Es kam ja auch die Weihnachtszeit, wo sie
billige Geschenke für die Armen haben wollte.
'

Frau von Zehleneck und Herr Neumann sahen sich nun öfter bei der Baronin.
Zuerst wurde er sichtlich lebhafter; dann aber kam eine Zeit, wo er nachdenklich
und still in seiner Sofaecke saß und ans das Gespräch der beiden Damen hörte,
die sich hin und wieder mit einander unterhielten. Frau von Zehleneck war die
interessantere. Sie wußte sehr viel gute Geschichten, sie war oft boshaft, und dann
hatte sie eine sehr geschickte Art, die Unterhaltung auf ihre vornehmen Verwandten
zu bringe", was Neumann sehr imponirte. Außerdem wurde sie täglich jünger und
hübscher; wenigstens fand das Neumann. Die Baronin dagegen sah sehr an¬
gegriffen aus und war blaß geworden. Sie dachte auch augenblicklich nicht daran,
über andre Menschen zu sprechen, und ihre vornehme Verwandtschaft war ihr immer
gleichgiltig gewesen. Aber sie dachte viel an Weihnachten und daran, wie sie
den armen Kindern eine Freude machen könnte, und wenn Frau von Zehleneck
eine Geschichte beeudet hatte, in der mindestens ein Graf vorkam, dann zog Ada
Ravenstein ein Stück Wollenzeug ans einander und sagte zufrieden: Daraus kann
noch eine kleine Unterjacke werden!

Um Weihnachten war sie immer so, etwas zerstrent und nachdenklich und in


Die erste Liebe

nicht zu seinem Behagen bei. In Iran von Zehleneck fiihlte er mit richtigem In¬
stinkt etwas verwandtes; er und sie verstanden sich schnell.

Du solltest mich bald einmal »nieder besuchen! sagte Ada, als Neumann fort war
und nun mich Frau von Zehleneck sich anschickte, Abschied zu nehmen.

Ich komme morgen wieder! rief Amelie und umarmte die Freundin gerührt.
— Sie wurde immer gerührt und zärtlich, wenn sie einen Mann zu erobern hoffte.—
Dieser Neumann ist wirklich sehr nett! fuhr sie fort. Wie hübsch von ihm, das; er
dich oft zu besuchen scheint! Natürlich thut er es, weil dein guter Mann bei
ihm gestorben ist. Wirklich sehr rücksichtsvoll! So etwas findet man nicht leicht bei
der heutigen Männerwelt!

Als Frau von Ravenstein allein war, versuchte sie gleichfalls, günstiges über
Neumann zu denken. Aber es wurde ihr schwer. Besonders, weil sie ungern an
ihn dachte. Manchmal nahm sie sich fest vor, wenigstens zehn Minuten an ihn zu
denken, aber länger , als eine Minute hatte sie es noch nie fertig gebracht. Sie
wußte es nach der Uhr. Die Gedanken zerflatterten ihr immer, und wenn sie sich
besann, woran sie eigentlich gedacht hätte, war es immer ihr Mann gewesen. Sie
sah ihn beständig vor sich! wie er mir seinen Pistolen geschossen, wie er so
glücklich an seinem Buche geschrieben hatte, wie er immer zufrieden und immer gut
mit ihr gewesen war. In den ersten Jahren ihrer Ehe war sie oft ungeduldig, launisch,
verdrießlich gewesen. Das war damals, als sie noch Ansprüche ans Leben gemacht
hatte, als dieses ihr viel geben sollte und ihr nach ihrer Meinung nichts gab als
einen alten Mann. Aber dieser Mann war immer gut, immer geduldig gewesen.
Er hatte sie nicht ausgelacht, wenn sie mit ihren kindischen Einfällen zu ihm kam,
er war immer derselbe geblieben — immer — immer. Würde Neumann auch so
gut, so geduldig sein? Würde er Verständnis haben für ihre veränderlichen Stim¬
mungen und Allsichten, die von heute auf morgen wechseln konnten? Jetzt war er
sehr höflich, sehr ruhig und gemessen; aber würde er so bleiben? War nicht manchmal
ein sonderbar unruhiger Blick in seinen Augen, ein Zucker um seinen Mund, das ihr
mißfiel? Wenn die Baronin bei diesem Punkte angelangt war, dann schob sie plötzlich
alle Gedanken zurück, zündete sich eine Cignrette an und vertiefte sich in einen fran¬
zösischen Roman. Oder sie suchte den sonderbarsten alten Kram aus ihren Koffern
hervor und breitete alles um sich ans. Es kam ja auch die Weihnachtszeit, wo sie
billige Geschenke für die Armen haben wollte.
'

Frau von Zehleneck und Herr Neumann sahen sich nun öfter bei der Baronin.
Zuerst wurde er sichtlich lebhafter; dann aber kam eine Zeit, wo er nachdenklich
und still in seiner Sofaecke saß und ans das Gespräch der beiden Damen hörte,
die sich hin und wieder mit einander unterhielten. Frau von Zehleneck war die
interessantere. Sie wußte sehr viel gute Geschichten, sie war oft boshaft, und dann
hatte sie eine sehr geschickte Art, die Unterhaltung auf ihre vornehmen Verwandten
zu bringe», was Neumann sehr imponirte. Außerdem wurde sie täglich jünger und
hübscher; wenigstens fand das Neumann. Die Baronin dagegen sah sehr an¬
gegriffen aus und war blaß geworden. Sie dachte auch augenblicklich nicht daran,
über andre Menschen zu sprechen, und ihre vornehme Verwandtschaft war ihr immer
gleichgiltig gewesen. Aber sie dachte viel an Weihnachten und daran, wie sie
den armen Kindern eine Freude machen könnte, und wenn Frau von Zehleneck
eine Geschichte beeudet hatte, in der mindestens ein Graf vorkam, dann zog Ada
Ravenstein ein Stück Wollenzeug ans einander und sagte zufrieden: Daraus kann
noch eine kleine Unterjacke werden!

Um Weihnachten war sie immer so, etwas zerstrent und nachdenklich und in


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[0587] Die erste Liebe nicht zu seinem Behagen bei. In Iran von Zehleneck fiihlte er mit richtigem In¬ stinkt etwas verwandtes; er und sie verstanden sich schnell. Du solltest mich bald einmal »nieder besuchen! sagte Ada, als Neumann fort war und nun mich Frau von Zehleneck sich anschickte, Abschied zu nehmen. Ich komme morgen wieder! rief Amelie und umarmte die Freundin gerührt. — Sie wurde immer gerührt und zärtlich, wenn sie einen Mann zu erobern hoffte.— Dieser Neumann ist wirklich sehr nett! fuhr sie fort. Wie hübsch von ihm, das; er dich oft zu besuchen scheint! Natürlich thut er es, weil dein guter Mann bei ihm gestorben ist. Wirklich sehr rücksichtsvoll! So etwas findet man nicht leicht bei der heutigen Männerwelt! Als Frau von Ravenstein allein war, versuchte sie gleichfalls, günstiges über Neumann zu denken. Aber es wurde ihr schwer. Besonders, weil sie ungern an ihn dachte. Manchmal nahm sie sich fest vor, wenigstens zehn Minuten an ihn zu denken, aber länger , als eine Minute hatte sie es noch nie fertig gebracht. Sie wußte es nach der Uhr. Die Gedanken zerflatterten ihr immer, und wenn sie sich besann, woran sie eigentlich gedacht hätte, war es immer ihr Mann gewesen. Sie sah ihn beständig vor sich! wie er mir seinen Pistolen geschossen, wie er so glücklich an seinem Buche geschrieben hatte, wie er immer zufrieden und immer gut mit ihr gewesen war. In den ersten Jahren ihrer Ehe war sie oft ungeduldig, launisch, verdrießlich gewesen. Das war damals, als sie noch Ansprüche ans Leben gemacht hatte, als dieses ihr viel geben sollte und ihr nach ihrer Meinung nichts gab als einen alten Mann. Aber dieser Mann war immer gut, immer geduldig gewesen. Er hatte sie nicht ausgelacht, wenn sie mit ihren kindischen Einfällen zu ihm kam, er war immer derselbe geblieben — immer — immer. Würde Neumann auch so gut, so geduldig sein? Würde er Verständnis haben für ihre veränderlichen Stim¬ mungen und Allsichten, die von heute auf morgen wechseln konnten? Jetzt war er sehr höflich, sehr ruhig und gemessen; aber würde er so bleiben? War nicht manchmal ein sonderbar unruhiger Blick in seinen Augen, ein Zucker um seinen Mund, das ihr mißfiel? Wenn die Baronin bei diesem Punkte angelangt war, dann schob sie plötzlich alle Gedanken zurück, zündete sich eine Cignrette an und vertiefte sich in einen fran¬ zösischen Roman. Oder sie suchte den sonderbarsten alten Kram aus ihren Koffern hervor und breitete alles um sich ans. Es kam ja auch die Weihnachtszeit, wo sie billige Geschenke für die Armen haben wollte. ' Frau von Zehleneck und Herr Neumann sahen sich nun öfter bei der Baronin. Zuerst wurde er sichtlich lebhafter; dann aber kam eine Zeit, wo er nachdenklich und still in seiner Sofaecke saß und ans das Gespräch der beiden Damen hörte, die sich hin und wieder mit einander unterhielten. Frau von Zehleneck war die interessantere. Sie wußte sehr viel gute Geschichten, sie war oft boshaft, und dann hatte sie eine sehr geschickte Art, die Unterhaltung auf ihre vornehmen Verwandten zu bringe», was Neumann sehr imponirte. Außerdem wurde sie täglich jünger und hübscher; wenigstens fand das Neumann. Die Baronin dagegen sah sehr an¬ gegriffen aus und war blaß geworden. Sie dachte auch augenblicklich nicht daran, über andre Menschen zu sprechen, und ihre vornehme Verwandtschaft war ihr immer gleichgiltig gewesen. Aber sie dachte viel an Weihnachten und daran, wie sie den armen Kindern eine Freude machen könnte, und wenn Frau von Zehleneck eine Geschichte beeudet hatte, in der mindestens ein Graf vorkam, dann zog Ada Ravenstein ein Stück Wollenzeug ans einander und sagte zufrieden: Daraus kann noch eine kleine Unterjacke werden! Um Weihnachten war sie immer so, etwas zerstrent und nachdenklich und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/587>, abgerufen am 28.11.2024.