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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die erste Liebe

Aus dieser Erde "willen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag, was will und mun, geschehn.

In dieser Gesinnung zu leben und zu sterben -- das ist die größte Ncirrheit.




Die erste Liebe
Charlotte Niese von (Fortsetzung)

s war ein kleines, dürftig moblirtes Zimmer, in das man Raven-
stein getragen Halle. In die Wände waren ebenfalls Spiegel ein¬
gelassen, die mit halb blinden Augen auf den stillen Gast herabblickten.

Rvssing hatte eine ganze Weile "eben seinem toten Freunde ge¬
sessen, obgleich ihm der Tod immer entsetzlich gewesen war. Er Halle
lauge mit dem alten Smütätsrat gesprochen, der sich, trotz aller
Trauer über diesen Unglücksfall, nicht einer gewissen Befriedigung darüber erwehren
konnte, daß seine Prophezeiung, der Baron würde sich noch einmal selbst erschießen,
in Erfüllung gegangen war. Nun, wo er doch nichts mehr machen konnte, nuißte
er endlich weiter zu einem Schwerkranken fahren, und Rössing ging langsam in das
anstoßende Zimmer.

Hier saß Neumann, den Kopf in die Hand gestützt, und blickte finster in den
Park. Die Schatten des Abends begannen über den Nasen zu fallen, und durch
die Bäume ging das leise Rauschen des Windes. Der Besitzer von Freseuhageu
war so blas/und verstört, daß ihn der Graf mit Teilnahme betrachtete/ Er selbst
hatte sein Gleichgewicht noch nicht wieder erlangt, und es berührte ihn augenehm,
daß mich der Fremde so erschüttert war.

Ich muß in die Stadt fahren, um die Baronin vorzubereiten, sagte er.

Ein entsetzliches Unglück! murmelte Nenmnnn. Und daß es gerade bei mir
geschehen mußte! Meine Pistolen! Was werden die Leute sage"! Ich werde gewiß
Unannehmlichkeiten habe"!

Unannehmlichkeiten? Der Graf, der sich neben Nenmnnn gesetzt hatte und
manchmal leise aufstöhnte, sah ihn fragend an.

Nun ja, hier in Deutschland kommt bei allen solchen Fallen doch sofort das
Gericht und steckt seine Nase hinein. Mit diesen Leuten mag ich nichts zu thun
haben.

Neumann hatte heftiger gesprochen, als es sonst seine Gewohnheit war; nun
stand er auf und ging im Zimmer hiu und her. Der Graf sah ihn mit seinen
scharfen Augen an und vergaß für einen Augenblick seine Trauer.

Das Gericht wird Ihnen nichts anhaben können, bemerkte er ruhig. Die
Herren werden wohl herkommen und sich die traurige Geschichte von uns erzählen
lassen; weiter kann aber doch gar nichts geschehen.

Sehr unangenehm! sagte Neumann stehen bleibend, indem er die Angen starr
auf einen Punkt heftete.


Die erste Liebe

Aus dieser Erde «willen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag, was will und mun, geschehn.

In dieser Gesinnung zu leben und zu sterben — das ist die größte Ncirrheit.




Die erste Liebe
Charlotte Niese von (Fortsetzung)

s war ein kleines, dürftig moblirtes Zimmer, in das man Raven-
stein getragen Halle. In die Wände waren ebenfalls Spiegel ein¬
gelassen, die mit halb blinden Augen auf den stillen Gast herabblickten.

Rvssing hatte eine ganze Weile »eben seinem toten Freunde ge¬
sessen, obgleich ihm der Tod immer entsetzlich gewesen war. Er Halle
lauge mit dem alten Smütätsrat gesprochen, der sich, trotz aller
Trauer über diesen Unglücksfall, nicht einer gewissen Befriedigung darüber erwehren
konnte, daß seine Prophezeiung, der Baron würde sich noch einmal selbst erschießen,
in Erfüllung gegangen war. Nun, wo er doch nichts mehr machen konnte, nuißte
er endlich weiter zu einem Schwerkranken fahren, und Rössing ging langsam in das
anstoßende Zimmer.

Hier saß Neumann, den Kopf in die Hand gestützt, und blickte finster in den
Park. Die Schatten des Abends begannen über den Nasen zu fallen, und durch
die Bäume ging das leise Rauschen des Windes. Der Besitzer von Freseuhageu
war so blas/und verstört, daß ihn der Graf mit Teilnahme betrachtete/ Er selbst
hatte sein Gleichgewicht noch nicht wieder erlangt, und es berührte ihn augenehm,
daß mich der Fremde so erschüttert war.

Ich muß in die Stadt fahren, um die Baronin vorzubereiten, sagte er.

Ein entsetzliches Unglück! murmelte Nenmnnn. Und daß es gerade bei mir
geschehen mußte! Meine Pistolen! Was werden die Leute sage«! Ich werde gewiß
Unannehmlichkeiten habe»!

Unannehmlichkeiten? Der Graf, der sich neben Nenmnnn gesetzt hatte und
manchmal leise aufstöhnte, sah ihn fragend an.

Nun ja, hier in Deutschland kommt bei allen solchen Fallen doch sofort das
Gericht und steckt seine Nase hinein. Mit diesen Leuten mag ich nichts zu thun
haben.

Neumann hatte heftiger gesprochen, als es sonst seine Gewohnheit war; nun
stand er auf und ging im Zimmer hiu und her. Der Graf sah ihn mit seinen
scharfen Augen an und vergaß für einen Augenblick seine Trauer.

Das Gericht wird Ihnen nichts anhaben können, bemerkte er ruhig. Die
Herren werden wohl herkommen und sich die traurige Geschichte von uns erzählen
lassen; weiter kann aber doch gar nichts geschehen.

Sehr unangenehm! sagte Neumann stehen bleibend, indem er die Angen starr
auf einen Punkt heftete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/583>, abgerufen am 28.11.2024.