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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Ein Kapitel von der Narrheit

erhebt neuerdings Zetergeschrei gegen die Anwendung dieses Wortes, aber es giebt
kein andres Wort, das den Nagel so auf den Kopf träfe.

Da Lies Roman sowohl seiner Erfindung als der sorgfältigen, im einzelnen
höchst lebendigen, anschaulichen und stimmungsvollen Ausführung nach zu den besten
Büchern seiner Art zählt, und da der Verfasser durch frühere Produktionen berech¬
tigte Anerkennung erworben hat, so giebt das Buch auch Anlaß genug zu allge¬
meinem Betrachtungen. Es ist leicht wahrzunehmen, daß Lies Talent im Einfachen,
wir möchten beinahe sagen im Idyllische", jedenfalls im menschlich sympathischen
und Rührender seine stärksten Wurzeln hat. Sieht man nun, wie ein solches
Talent Schritt für Schritt in die Schilderung des Dämonischen, in die mcmierirte
und pessimistische Wiedergabe der Nachtseiten des Lebens hineingedrängt wird, so
ermißt man erst die volle Stärke der Zeitstimmung und der herrschenden littera¬
rischen Mode, die man vergeblich mit dem vornehmer" Name" eines Stils be¬
zeichnet. Lie gehört nicht zu den Naturen, die i" aller Zeit und unter allen Um¬
ständen ihren freien und eigne" Wuchs behaupten. Der Odem der Zeit berührt
solche Talente stark und giebt schon ihren ersten Schößlingen Richtung nud Rinde,
auch wenn die Wurzel" echt sind. Vor el"em Menschenalter würde der Norweger
von Dickens beeinflußt worden sein, heute ist ers von Turgenjew und Daudet und
natürlich von seinem Landsmann Ibsen. Es ist aber wichtig, daß trotzdem ein
Stück eignen Lebens ""d eig"er Empfindung mit zu Tage kommt, und das läßt
hoffen, daß die seltsame Mischung äußerlicher u"d innerlicher Meisterschaft, die uns
in dem Roman "Großvater" entgegentritt, nicht immer dieselbe bleibe", sonder"
vielleicht einmal die innere zum Siege gelangen wird. Denn eine gewisse Vir¬
tuosität erzählender Technik, die natürlich auch den Romanen Lies eigen ist, scheint
doch so sehr Gemal"g"t geworden zu sein, daß man auf sie keinen Wert mehr
legen kann. Um so höher" lege" wir auf die Regungen eines tiefern Lebens
und einer reinern Erkenntnis, die in dem Dniikel dieses Romans die Silberblicke
abgeben.




Ein Kapitel von der Narrheit
(Schluß)

le Eitelkeit, die wir in der Kleidermode am Werke sehen, ist über¬
haupt der Stamm, c>" dem die meisten närrische" Früchte wachse".
Deal einmal ist das Jage" "ud Hasche" "ach vergänglichen Gegen¬
ständen, das ihr Wesen ausmacht, so allgemein verbreitet, daß sich
fast kein Mensch völlig frei davon weiß, und da ferner gerade des¬
halb jeder darauf rechnen kann, daß, wen" er eine oder die andre
der schimmernden Seifenblasen erhascht, er auf seine Mitmenschen Eindruck macht
und wohl gar ihren Neid erweckt, so giebt das feinern Egoismus eine um so
kräftigere Anregung, nach jene" Glücksgüter" z" trachte", zumal da es im all¬
gemeinen nicht so schwer ist, sie zu erlangen, wie die echten und wahren, wenn


Ein Kapitel von der Narrheit

erhebt neuerdings Zetergeschrei gegen die Anwendung dieses Wortes, aber es giebt
kein andres Wort, das den Nagel so auf den Kopf träfe.

Da Lies Roman sowohl seiner Erfindung als der sorgfältigen, im einzelnen
höchst lebendigen, anschaulichen und stimmungsvollen Ausführung nach zu den besten
Büchern seiner Art zählt, und da der Verfasser durch frühere Produktionen berech¬
tigte Anerkennung erworben hat, so giebt das Buch auch Anlaß genug zu allge¬
meinem Betrachtungen. Es ist leicht wahrzunehmen, daß Lies Talent im Einfachen,
wir möchten beinahe sagen im Idyllische», jedenfalls im menschlich sympathischen
und Rührender seine stärksten Wurzeln hat. Sieht man nun, wie ein solches
Talent Schritt für Schritt in die Schilderung des Dämonischen, in die mcmierirte
und pessimistische Wiedergabe der Nachtseiten des Lebens hineingedrängt wird, so
ermißt man erst die volle Stärke der Zeitstimmung und der herrschenden littera¬
rischen Mode, die man vergeblich mit dem vornehmer» Name» eines Stils be¬
zeichnet. Lie gehört nicht zu den Naturen, die i» aller Zeit und unter allen Um¬
ständen ihren freien und eigne» Wuchs behaupten. Der Odem der Zeit berührt
solche Talente stark und giebt schon ihren ersten Schößlingen Richtung nud Rinde,
auch wenn die Wurzel» echt sind. Vor el»em Menschenalter würde der Norweger
von Dickens beeinflußt worden sein, heute ist ers von Turgenjew und Daudet und
natürlich von seinem Landsmann Ibsen. Es ist aber wichtig, daß trotzdem ein
Stück eignen Lebens »»d eig»er Empfindung mit zu Tage kommt, und das läßt
hoffen, daß die seltsame Mischung äußerlicher u»d innerlicher Meisterschaft, die uns
in dem Roman „Großvater" entgegentritt, nicht immer dieselbe bleibe», sonder»
vielleicht einmal die innere zum Siege gelangen wird. Denn eine gewisse Vir¬
tuosität erzählender Technik, die natürlich auch den Romanen Lies eigen ist, scheint
doch so sehr Gemal»g»t geworden zu sein, daß man auf sie keinen Wert mehr
legen kann. Um so höher» lege» wir auf die Regungen eines tiefern Lebens
und einer reinern Erkenntnis, die in dem Dniikel dieses Romans die Silberblicke
abgeben.




Ein Kapitel von der Narrheit
(Schluß)

le Eitelkeit, die wir in der Kleidermode am Werke sehen, ist über¬
haupt der Stamm, c>» dem die meisten närrische» Früchte wachse».
Deal einmal ist das Jage» »ud Hasche» »ach vergänglichen Gegen¬
ständen, das ihr Wesen ausmacht, so allgemein verbreitet, daß sich
fast kein Mensch völlig frei davon weiß, und da ferner gerade des¬
halb jeder darauf rechnen kann, daß, wen» er eine oder die andre
der schimmernden Seifenblasen erhascht, er auf seine Mitmenschen Eindruck macht
und wohl gar ihren Neid erweckt, so giebt das feinern Egoismus eine um so
kräftigere Anregung, nach jene» Glücksgüter» z» trachte», zumal da es im all¬
gemeinen nicht so schwer ist, sie zu erlangen, wie die echten und wahren, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/576>, abgerufen am 28.11.2024.