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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Textbearbeitungen musikalischer Meisterwerke

Positionen über Dichtungen fremder Zunge auf. Wir müssen auch bei großen
Deutschen, wie Händel, Gluck, Mozart, manche Übersetzungsthätigkeit vornehmen,
ehe ihre Werke dem nationalen Kunstleben ganz zu gute kommen können. Dieses
Übersetzen hat seine eignen Schwierigkeiten. Als Wieland einst das Ltadat niÄtsr
mit Beibehaltung des Rhythmus in deutsche Reime brachte, nannte er das
"eine Ruderknechtsarbeit."*) Vollends mühsam wird aber die Aufgabe, wenn
mau dabei Schritt für Schritt auf die Wendungen einer gegebnen Musik Rück¬
sicht zu nehmen hat. Nachdem man lange Zeit mit Schlechtem oder Mittel¬
mäßigem vorlieb genommen hatte, treten seit ein paar Jahrzehnten, allerdings
vereinzelt, auf diesem Gebiete höchst verdienstliche und interessante Leistungen
zu Tage. Es sei nur an die äußerst umsichtige und ansprechende Don Juan-
übertragnng Bernhard von Guglers erinnert, die der im Leuckartschen Ver¬
lage herausgegebnen Prachtausgabe des Mozartschen Meisterwerks zu Grunde
gelegt ist. Derselbe Gelehrte hat auch Liosi lÄn wees vortrefflich bearbeitet,
eine Oper, die freilich nicht viel Liebesmühe verdient. Ähnliche Treue zeigen
die Verdeutschungen von Peter Cornelius. Die Rücksicht auf die Musik kauu
aber auch übertrieben werden. Der poetische Rhythmus braucht nicht ge¬
opfert zu werden, wenn man doppelte Lesarten zuläßt, nämlich solche für die
Säuger ^ die sich natürlich nur um die musikalische Ausführung und nicht
um die Versfüße zu kümmern haben -- und solche für die Leser der Text-
dichtuug, die sich den Eindruck einer glatten Versifilation nicht fortwährend
verderben lassen möchten. Überhaupt müßte man bei Opernbüchern und Konzert-
progmmmen mehr auf äußere Gefälligkeit und Lesbarkeit sehen, dagegen in den
Partituren, Stimmen usw. Treue gegen das Original und Rücksicht auf die
Eigenheiten der Komposition zum Ausdruck bringen.**)

Zum Glück können manche Meisterwerke mit lateinischen Text, wie Messen,
Hymnen u. dergl., sowie auch italienische Arien, wie die von Händel, mit Bei¬
behaltung der ursprünglichen Sprache vorgeführt werden, ohne daß man zu
fürchten braucht, damit unpatrivtisch zu handeln. Denn es ist doch wohl auch
einem größern Publikum nicht zuviel zugemutet, wenn es sich in solchen Fällen
mit einer dem eigentlichen Text nur beigedrucktem, ungesungnen Verdeutschung
begnügt, die dann freier gehalten sein kann. Das Lateinische und Italienische
hat seine Vorzüge, die in solchen Stücken mit zur Geltung kommen.




*) "Wenns ein Mensch thun müßte, fügt er hinzu. Ich kam aber van ungestthr aus
den Einfall, und da ichs unsäglich schwer fand, so piquirte ich mich, und es mußte also biegen
oder brechen." (Buche an Merck 1, 1S3.)
**) In dem Liede "Der Spielmann" von Hildach heißt es am Schluß der ersten Strophe:
"Und dann sehen immer alle einen gleich so an." So die Sängerin. Beim Drucke des
Programms sollte man sich nicht darnach richten, sondern den Bau der Dichtung betrachten
und darnach herstellen:
Textbearbeitungen musikalischer Meisterwerke

Positionen über Dichtungen fremder Zunge auf. Wir müssen auch bei großen
Deutschen, wie Händel, Gluck, Mozart, manche Übersetzungsthätigkeit vornehmen,
ehe ihre Werke dem nationalen Kunstleben ganz zu gute kommen können. Dieses
Übersetzen hat seine eignen Schwierigkeiten. Als Wieland einst das Ltadat niÄtsr
mit Beibehaltung des Rhythmus in deutsche Reime brachte, nannte er das
„eine Ruderknechtsarbeit."*) Vollends mühsam wird aber die Aufgabe, wenn
mau dabei Schritt für Schritt auf die Wendungen einer gegebnen Musik Rück¬
sicht zu nehmen hat. Nachdem man lange Zeit mit Schlechtem oder Mittel¬
mäßigem vorlieb genommen hatte, treten seit ein paar Jahrzehnten, allerdings
vereinzelt, auf diesem Gebiete höchst verdienstliche und interessante Leistungen
zu Tage. Es sei nur an die äußerst umsichtige und ansprechende Don Juan-
übertragnng Bernhard von Guglers erinnert, die der im Leuckartschen Ver¬
lage herausgegebnen Prachtausgabe des Mozartschen Meisterwerks zu Grunde
gelegt ist. Derselbe Gelehrte hat auch Liosi lÄn wees vortrefflich bearbeitet,
eine Oper, die freilich nicht viel Liebesmühe verdient. Ähnliche Treue zeigen
die Verdeutschungen von Peter Cornelius. Die Rücksicht auf die Musik kauu
aber auch übertrieben werden. Der poetische Rhythmus braucht nicht ge¬
opfert zu werden, wenn man doppelte Lesarten zuläßt, nämlich solche für die
Säuger ^ die sich natürlich nur um die musikalische Ausführung und nicht
um die Versfüße zu kümmern haben — und solche für die Leser der Text-
dichtuug, die sich den Eindruck einer glatten Versifilation nicht fortwährend
verderben lassen möchten. Überhaupt müßte man bei Opernbüchern und Konzert-
progmmmen mehr auf äußere Gefälligkeit und Lesbarkeit sehen, dagegen in den
Partituren, Stimmen usw. Treue gegen das Original und Rücksicht auf die
Eigenheiten der Komposition zum Ausdruck bringen.**)

Zum Glück können manche Meisterwerke mit lateinischen Text, wie Messen,
Hymnen u. dergl., sowie auch italienische Arien, wie die von Händel, mit Bei¬
behaltung der ursprünglichen Sprache vorgeführt werden, ohne daß man zu
fürchten braucht, damit unpatrivtisch zu handeln. Denn es ist doch wohl auch
einem größern Publikum nicht zuviel zugemutet, wenn es sich in solchen Fällen
mit einer dem eigentlichen Text nur beigedrucktem, ungesungnen Verdeutschung
begnügt, die dann freier gehalten sein kann. Das Lateinische und Italienische
hat seine Vorzüge, die in solchen Stücken mit zur Geltung kommen.




*) „Wenns ein Mensch thun müßte, fügt er hinzu. Ich kam aber van ungestthr aus
den Einfall, und da ichs unsäglich schwer fand, so piquirte ich mich, und es mußte also biegen
oder brechen." (Buche an Merck 1, 1S3.)
**) In dem Liede „Der Spielmann" von Hildach heißt es am Schluß der ersten Strophe:
„Und dann sehen immer alle einen gleich so an." So die Sängerin. Beim Drucke des
Programms sollte man sich nicht darnach richten, sondern den Bau der Dichtung betrachten
und darnach herstellen:
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[0571] Textbearbeitungen musikalischer Meisterwerke Positionen über Dichtungen fremder Zunge auf. Wir müssen auch bei großen Deutschen, wie Händel, Gluck, Mozart, manche Übersetzungsthätigkeit vornehmen, ehe ihre Werke dem nationalen Kunstleben ganz zu gute kommen können. Dieses Übersetzen hat seine eignen Schwierigkeiten. Als Wieland einst das Ltadat niÄtsr mit Beibehaltung des Rhythmus in deutsche Reime brachte, nannte er das „eine Ruderknechtsarbeit."*) Vollends mühsam wird aber die Aufgabe, wenn mau dabei Schritt für Schritt auf die Wendungen einer gegebnen Musik Rück¬ sicht zu nehmen hat. Nachdem man lange Zeit mit Schlechtem oder Mittel¬ mäßigem vorlieb genommen hatte, treten seit ein paar Jahrzehnten, allerdings vereinzelt, auf diesem Gebiete höchst verdienstliche und interessante Leistungen zu Tage. Es sei nur an die äußerst umsichtige und ansprechende Don Juan- übertragnng Bernhard von Guglers erinnert, die der im Leuckartschen Ver¬ lage herausgegebnen Prachtausgabe des Mozartschen Meisterwerks zu Grunde gelegt ist. Derselbe Gelehrte hat auch Liosi lÄn wees vortrefflich bearbeitet, eine Oper, die freilich nicht viel Liebesmühe verdient. Ähnliche Treue zeigen die Verdeutschungen von Peter Cornelius. Die Rücksicht auf die Musik kauu aber auch übertrieben werden. Der poetische Rhythmus braucht nicht ge¬ opfert zu werden, wenn man doppelte Lesarten zuläßt, nämlich solche für die Säuger ^ die sich natürlich nur um die musikalische Ausführung und nicht um die Versfüße zu kümmern haben — und solche für die Leser der Text- dichtuug, die sich den Eindruck einer glatten Versifilation nicht fortwährend verderben lassen möchten. Überhaupt müßte man bei Opernbüchern und Konzert- progmmmen mehr auf äußere Gefälligkeit und Lesbarkeit sehen, dagegen in den Partituren, Stimmen usw. Treue gegen das Original und Rücksicht auf die Eigenheiten der Komposition zum Ausdruck bringen.**) Zum Glück können manche Meisterwerke mit lateinischen Text, wie Messen, Hymnen u. dergl., sowie auch italienische Arien, wie die von Händel, mit Bei¬ behaltung der ursprünglichen Sprache vorgeführt werden, ohne daß man zu fürchten braucht, damit unpatrivtisch zu handeln. Denn es ist doch wohl auch einem größern Publikum nicht zuviel zugemutet, wenn es sich in solchen Fällen mit einer dem eigentlichen Text nur beigedrucktem, ungesungnen Verdeutschung begnügt, die dann freier gehalten sein kann. Das Lateinische und Italienische hat seine Vorzüge, die in solchen Stücken mit zur Geltung kommen. *) „Wenns ein Mensch thun müßte, fügt er hinzu. Ich kam aber van ungestthr aus den Einfall, und da ichs unsäglich schwer fand, so piquirte ich mich, und es mußte also biegen oder brechen." (Buche an Merck 1, 1S3.) **) In dem Liede „Der Spielmann" von Hildach heißt es am Schluß der ersten Strophe: „Und dann sehen immer alle einen gleich so an." So die Sängerin. Beim Drucke des Programms sollte man sich nicht darnach richten, sondern den Bau der Dichtung betrachten und darnach herstellen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/571>, abgerufen am 01.09.2024.