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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Lin Buchdruckerstreik?

um sich,") und auf ihrer Seite entspringt das Verlangen nach den Lohn¬
erhöhungen nicht durchaus selbstischen Zwecken, sondern dem Wunsch, den be¬
schäftigungslosen Genossen Arbeit zu verschaffen. Das will man durch die
Herabsetzung der Arbeitszeit erreichen, die zur Einstellung von mehr Arbeitern
zwingen würde. Aber man sieht eben zweierlei nicht: daß die mögliche Lohn¬
grenze, d. h. für die Druckereien und ihre Auftraggeber die Kosteugrenze, sehr
bald erreicht ist, und daneben, daß dem beschäftigungslosen Teil der Arbeiter¬
schaft nicht geholfen werden kann. Von vornherein ist als selbstverständlich
anzunehmen, daß er in der Hauptsache der unfähige und untüchtige ist. Ihn
können sich die Unternehmer nicht nufzwingen lassen. Es ist schlimm für diese
Leute, aber sie sind eben überflüssige Menschen, überflüssig und unbrauchbar
für das Gewerbe. Haben wir aber nicht trotzdem die Pflicht, für sie zu sorgen?
Nein, für sie als Buchdrucker nicht; wie weit für sie als Mitmenschen, ist eine
andre Frage, aber die große Frage ist eben: wie! Hätten wir Boden, uns
auszubreiten, so gäbe es auch die Not nicht, unter der ein Teil der Druck-
arbciter leidet. Die überflüssigen und minderwertigen Kräfte könnten ab¬
gedrängt und auf Gebiete geführt werden, wo sie doch ihren Unterhalt fanden.
Dann wäre auch die goldne und vernünftige Zeit für die Streike gekommen,
die wir im Prinzip gar nicht verwerfen. Dann könnte der tüchtige Arbeiter
leichter als jetzt seinen Preis nach seinem Werte stellen; wir wären nicht senti¬
mental wegen der Unternehmungen, die unausführbar würden -- es wird un¬
endlich viel gedruckt, was nicht wert ist, gedruckt zu werden --, oder wegen der
Betriebe, die zusammenbrechen müßten, weil sie nicht imstande wären, anständige
Löhne zu gewähren -- ihre Arbeiter hätten andre Unterkunft. Jetzt muß
jeder Betrieb gehütet und geschützt werden, der überhaupt Lohn giebt, und
die Produktion muß geschützt werden, die die Betriebe unterhält. Gott gebe,
daß einmal leichtere und gesündere Verhältnisse eintrete,,, und daß es in nicht
zu serner Zeit geschieht. Was wir für nötig halten, um sie herbeizuführen,
wissen unsre Leser. Unter den jetzigen Verhältnissen einen Gewaltstreich ver¬
suchen, hieße mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen, es wäre ein Be¬
ginnen, das sich an denen rächen würde, denen man helfen will oder helfen
zu wollen vorgiebt.





*) Insbesondre sollen zeitweise in Berlin viel Beschäftigungslose herumlaufen. Dies
hängt aber auch damit zusammen, daß in den dortigen großen Zeitungsdruckercien die Arbeit
nicht gleichmäßig ist. In den Zeiten, wo die Zeitungen anschwellen, während der Parlaments¬
sitzungen, wird größeres Personal gebraucht; dann drängen sich die Setzer von auswärts
dorthin, aber oft in übergroßer Zahl, sodaß sie zum Teil sofort, zum Teil jedenfalls nach
einiger Zeit wieder brotlos sind.
Lin Buchdruckerstreik?

um sich,") und auf ihrer Seite entspringt das Verlangen nach den Lohn¬
erhöhungen nicht durchaus selbstischen Zwecken, sondern dem Wunsch, den be¬
schäftigungslosen Genossen Arbeit zu verschaffen. Das will man durch die
Herabsetzung der Arbeitszeit erreichen, die zur Einstellung von mehr Arbeitern
zwingen würde. Aber man sieht eben zweierlei nicht: daß die mögliche Lohn¬
grenze, d. h. für die Druckereien und ihre Auftraggeber die Kosteugrenze, sehr
bald erreicht ist, und daneben, daß dem beschäftigungslosen Teil der Arbeiter¬
schaft nicht geholfen werden kann. Von vornherein ist als selbstverständlich
anzunehmen, daß er in der Hauptsache der unfähige und untüchtige ist. Ihn
können sich die Unternehmer nicht nufzwingen lassen. Es ist schlimm für diese
Leute, aber sie sind eben überflüssige Menschen, überflüssig und unbrauchbar
für das Gewerbe. Haben wir aber nicht trotzdem die Pflicht, für sie zu sorgen?
Nein, für sie als Buchdrucker nicht; wie weit für sie als Mitmenschen, ist eine
andre Frage, aber die große Frage ist eben: wie! Hätten wir Boden, uns
auszubreiten, so gäbe es auch die Not nicht, unter der ein Teil der Druck-
arbciter leidet. Die überflüssigen und minderwertigen Kräfte könnten ab¬
gedrängt und auf Gebiete geführt werden, wo sie doch ihren Unterhalt fanden.
Dann wäre auch die goldne und vernünftige Zeit für die Streike gekommen,
die wir im Prinzip gar nicht verwerfen. Dann könnte der tüchtige Arbeiter
leichter als jetzt seinen Preis nach seinem Werte stellen; wir wären nicht senti¬
mental wegen der Unternehmungen, die unausführbar würden — es wird un¬
endlich viel gedruckt, was nicht wert ist, gedruckt zu werden —, oder wegen der
Betriebe, die zusammenbrechen müßten, weil sie nicht imstande wären, anständige
Löhne zu gewähren — ihre Arbeiter hätten andre Unterkunft. Jetzt muß
jeder Betrieb gehütet und geschützt werden, der überhaupt Lohn giebt, und
die Produktion muß geschützt werden, die die Betriebe unterhält. Gott gebe,
daß einmal leichtere und gesündere Verhältnisse eintrete,,, und daß es in nicht
zu serner Zeit geschieht. Was wir für nötig halten, um sie herbeizuführen,
wissen unsre Leser. Unter den jetzigen Verhältnissen einen Gewaltstreich ver¬
suchen, hieße mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen, es wäre ein Be¬
ginnen, das sich an denen rächen würde, denen man helfen will oder helfen
zu wollen vorgiebt.





*) Insbesondre sollen zeitweise in Berlin viel Beschäftigungslose herumlaufen. Dies
hängt aber auch damit zusammen, daß in den dortigen großen Zeitungsdruckercien die Arbeit
nicht gleichmäßig ist. In den Zeiten, wo die Zeitungen anschwellen, während der Parlaments¬
sitzungen, wird größeres Personal gebraucht; dann drängen sich die Setzer von auswärts
dorthin, aber oft in übergroßer Zahl, sodaß sie zum Teil sofort, zum Teil jedenfalls nach
einiger Zeit wieder brotlos sind.
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[0568] Lin Buchdruckerstreik? um sich,") und auf ihrer Seite entspringt das Verlangen nach den Lohn¬ erhöhungen nicht durchaus selbstischen Zwecken, sondern dem Wunsch, den be¬ schäftigungslosen Genossen Arbeit zu verschaffen. Das will man durch die Herabsetzung der Arbeitszeit erreichen, die zur Einstellung von mehr Arbeitern zwingen würde. Aber man sieht eben zweierlei nicht: daß die mögliche Lohn¬ grenze, d. h. für die Druckereien und ihre Auftraggeber die Kosteugrenze, sehr bald erreicht ist, und daneben, daß dem beschäftigungslosen Teil der Arbeiter¬ schaft nicht geholfen werden kann. Von vornherein ist als selbstverständlich anzunehmen, daß er in der Hauptsache der unfähige und untüchtige ist. Ihn können sich die Unternehmer nicht nufzwingen lassen. Es ist schlimm für diese Leute, aber sie sind eben überflüssige Menschen, überflüssig und unbrauchbar für das Gewerbe. Haben wir aber nicht trotzdem die Pflicht, für sie zu sorgen? Nein, für sie als Buchdrucker nicht; wie weit für sie als Mitmenschen, ist eine andre Frage, aber die große Frage ist eben: wie! Hätten wir Boden, uns auszubreiten, so gäbe es auch die Not nicht, unter der ein Teil der Druck- arbciter leidet. Die überflüssigen und minderwertigen Kräfte könnten ab¬ gedrängt und auf Gebiete geführt werden, wo sie doch ihren Unterhalt fanden. Dann wäre auch die goldne und vernünftige Zeit für die Streike gekommen, die wir im Prinzip gar nicht verwerfen. Dann könnte der tüchtige Arbeiter leichter als jetzt seinen Preis nach seinem Werte stellen; wir wären nicht senti¬ mental wegen der Unternehmungen, die unausführbar würden — es wird un¬ endlich viel gedruckt, was nicht wert ist, gedruckt zu werden —, oder wegen der Betriebe, die zusammenbrechen müßten, weil sie nicht imstande wären, anständige Löhne zu gewähren — ihre Arbeiter hätten andre Unterkunft. Jetzt muß jeder Betrieb gehütet und geschützt werden, der überhaupt Lohn giebt, und die Produktion muß geschützt werden, die die Betriebe unterhält. Gott gebe, daß einmal leichtere und gesündere Verhältnisse eintrete,,, und daß es in nicht zu serner Zeit geschieht. Was wir für nötig halten, um sie herbeizuführen, wissen unsre Leser. Unter den jetzigen Verhältnissen einen Gewaltstreich ver¬ suchen, hieße mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen, es wäre ein Be¬ ginnen, das sich an denen rächen würde, denen man helfen will oder helfen zu wollen vorgiebt. *) Insbesondre sollen zeitweise in Berlin viel Beschäftigungslose herumlaufen. Dies hängt aber auch damit zusammen, daß in den dortigen großen Zeitungsdruckercien die Arbeit nicht gleichmäßig ist. In den Zeiten, wo die Zeitungen anschwellen, während der Parlaments¬ sitzungen, wird größeres Personal gebraucht; dann drängen sich die Setzer von auswärts dorthin, aber oft in übergroßer Zahl, sodaß sie zum Teil sofort, zum Teil jedenfalls nach einiger Zeit wieder brotlos sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/568>, abgerufen am 01.09.2024.