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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Liu Buchdruckerstreik?

1800 Mark jährlich, bei einer Arbeitszeit von angeblich zehn, in der That etwa
neun Stunden") und dem Überverdienst, den die höher bezahlten Überstunden
der geschäftlich lebhaften Zeiten eintragen, die alljährlich periodisch wiederkehren.
Dieses Einkommen bildet aber nicht die höchste Grenze des Erreichbaren, es
kommen vielfach erheblich höhere Löhne vor, auch abgesehen von den Einkommen
der leitenden und Aufsichtsbeamten, die aber auch dem Arbeiterstand angehören,
also in Wochen- oder Monatslohn stehen und sich fortwährend aus den ein¬
fachen Arbeitern rekrutiren. Kann man einem solchen Einkommen gegenüber von
einer wirtschaftlichen Notlage der Buchdruckerciarbciter sprechen, etwa wie bei
den Konfektionsarbeitern? Die Antwort wird natürlich Nein! lauten. Die Ar¬
beit, die allerdings Geschicklichkeit und Übung verlangt, aber in der Hauptsache
doch mechanisch betrieben wird, ist gut bezahlt, auch wenn viele Leute nicht die
genannte Einnahme erreichen, durch Unfähigkeit oder Lässigkeit. Wir haben
nichts dagegen, wenn jemand so viel wie möglich ans seiner Arbeit zu machen
sucht, wenn er sie so teuer verkauft, als ihm erreichbar ist, und wenn er bei
den Gelegenheiten, wo dem Unternehmer besondrer Gewinn erwächst, auch seiner¬
seits Vorteil zu haben wünscht. Aber wir meinen, es sei ein frevelhaftes
Beginnen, wenn man ohne alle wirkliche Not und ohne triftigen Grund - denn
die Führer der Gehilfenschaft müssen uns erlauben, die Bewahrung ihrer Macht¬
stellung, zu der der Krieg geführt wird, nicht als einen triftigen Grund an¬
zusehen -- einen Streik vom Znune bricht und die Existenz von tausenden
von Familien aufs Spiel setzt, wie es in diesem Augenblick wieder bei den
Buchdruckern geschehen soll.

Es ist ganz ausgeschlossen, daß die, die den Streik herbeiführen wollen,
die politische Leitung der Sozialdemokratie, im Unklaren darüber sein könnten,
daß sie hier eine Truppe in den sichern Tod schicken. Die Arbeiter selbst wissen
vielleicht nicht, zum Teil jedenfalls nicht, was sie thun. Sie glaube" sich
einem selbstsüchtigen Unternehmertum gegenüber, das ihnen die Thore eines
Paradieses verschlossen hält; ihr enger Gesichtskreis verhindert sie, die Gesamt¬
lage zu übersehen. Es ist ganz ehrlich, wenn sie in ihren Blättern die Frage
an ihre Prinzipale richten, ob es nicht recht wäre, daß diese, statt mit den
Verlegern und andern Auftraggebern, mit ihren Arbeitern gemeinsame Sache
machten. Das wäre freilich das Natürliche, wenn es eben die Verleger wären,
die einen märchenhaften Unternehmergewinn einsteckten, von dem sie egoistisch
ihren Druckern nichts zukommen lassen wollten. Wir wollen hier nicht auf
die Verhältnisse des deutschen Verlagsbuchhandels eingehen. Es giebt gewiß
Verleger, die großen Gewinn haben, und nicht jeder Verleger, der warm sitzt,
denkt daran, auch denen etwas zu gute kommen zu lassen, die für ihn arbeiten.



*) Es gehe" die Frühstücks- und Vesperpause, das "akademische Viertel," das auch hier
morgens zu stände kommt, und die Toilettenzeil nach der Arbeit ab; mit dem Schlage der
Feierstunde strömt das Personal gestiefelt und gespornt aus den Geschäften.
Liu Buchdruckerstreik?

1800 Mark jährlich, bei einer Arbeitszeit von angeblich zehn, in der That etwa
neun Stunden") und dem Überverdienst, den die höher bezahlten Überstunden
der geschäftlich lebhaften Zeiten eintragen, die alljährlich periodisch wiederkehren.
Dieses Einkommen bildet aber nicht die höchste Grenze des Erreichbaren, es
kommen vielfach erheblich höhere Löhne vor, auch abgesehen von den Einkommen
der leitenden und Aufsichtsbeamten, die aber auch dem Arbeiterstand angehören,
also in Wochen- oder Monatslohn stehen und sich fortwährend aus den ein¬
fachen Arbeitern rekrutiren. Kann man einem solchen Einkommen gegenüber von
einer wirtschaftlichen Notlage der Buchdruckerciarbciter sprechen, etwa wie bei
den Konfektionsarbeitern? Die Antwort wird natürlich Nein! lauten. Die Ar¬
beit, die allerdings Geschicklichkeit und Übung verlangt, aber in der Hauptsache
doch mechanisch betrieben wird, ist gut bezahlt, auch wenn viele Leute nicht die
genannte Einnahme erreichen, durch Unfähigkeit oder Lässigkeit. Wir haben
nichts dagegen, wenn jemand so viel wie möglich ans seiner Arbeit zu machen
sucht, wenn er sie so teuer verkauft, als ihm erreichbar ist, und wenn er bei
den Gelegenheiten, wo dem Unternehmer besondrer Gewinn erwächst, auch seiner¬
seits Vorteil zu haben wünscht. Aber wir meinen, es sei ein frevelhaftes
Beginnen, wenn man ohne alle wirkliche Not und ohne triftigen Grund - denn
die Führer der Gehilfenschaft müssen uns erlauben, die Bewahrung ihrer Macht¬
stellung, zu der der Krieg geführt wird, nicht als einen triftigen Grund an¬
zusehen — einen Streik vom Znune bricht und die Existenz von tausenden
von Familien aufs Spiel setzt, wie es in diesem Augenblick wieder bei den
Buchdruckern geschehen soll.

Es ist ganz ausgeschlossen, daß die, die den Streik herbeiführen wollen,
die politische Leitung der Sozialdemokratie, im Unklaren darüber sein könnten,
daß sie hier eine Truppe in den sichern Tod schicken. Die Arbeiter selbst wissen
vielleicht nicht, zum Teil jedenfalls nicht, was sie thun. Sie glaube» sich
einem selbstsüchtigen Unternehmertum gegenüber, das ihnen die Thore eines
Paradieses verschlossen hält; ihr enger Gesichtskreis verhindert sie, die Gesamt¬
lage zu übersehen. Es ist ganz ehrlich, wenn sie in ihren Blättern die Frage
an ihre Prinzipale richten, ob es nicht recht wäre, daß diese, statt mit den
Verlegern und andern Auftraggebern, mit ihren Arbeitern gemeinsame Sache
machten. Das wäre freilich das Natürliche, wenn es eben die Verleger wären,
die einen märchenhaften Unternehmergewinn einsteckten, von dem sie egoistisch
ihren Druckern nichts zukommen lassen wollten. Wir wollen hier nicht auf
die Verhältnisse des deutschen Verlagsbuchhandels eingehen. Es giebt gewiß
Verleger, die großen Gewinn haben, und nicht jeder Verleger, der warm sitzt,
denkt daran, auch denen etwas zu gute kommen zu lassen, die für ihn arbeiten.



*) Es gehe» die Frühstücks- und Vesperpause, das „akademische Viertel," das auch hier
morgens zu stände kommt, und die Toilettenzeil nach der Arbeit ab; mit dem Schlage der
Feierstunde strömt das Personal gestiefelt und gespornt aus den Geschäften.
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[0563] Liu Buchdruckerstreik? 1800 Mark jährlich, bei einer Arbeitszeit von angeblich zehn, in der That etwa neun Stunden") und dem Überverdienst, den die höher bezahlten Überstunden der geschäftlich lebhaften Zeiten eintragen, die alljährlich periodisch wiederkehren. Dieses Einkommen bildet aber nicht die höchste Grenze des Erreichbaren, es kommen vielfach erheblich höhere Löhne vor, auch abgesehen von den Einkommen der leitenden und Aufsichtsbeamten, die aber auch dem Arbeiterstand angehören, also in Wochen- oder Monatslohn stehen und sich fortwährend aus den ein¬ fachen Arbeitern rekrutiren. Kann man einem solchen Einkommen gegenüber von einer wirtschaftlichen Notlage der Buchdruckerciarbciter sprechen, etwa wie bei den Konfektionsarbeitern? Die Antwort wird natürlich Nein! lauten. Die Ar¬ beit, die allerdings Geschicklichkeit und Übung verlangt, aber in der Hauptsache doch mechanisch betrieben wird, ist gut bezahlt, auch wenn viele Leute nicht die genannte Einnahme erreichen, durch Unfähigkeit oder Lässigkeit. Wir haben nichts dagegen, wenn jemand so viel wie möglich ans seiner Arbeit zu machen sucht, wenn er sie so teuer verkauft, als ihm erreichbar ist, und wenn er bei den Gelegenheiten, wo dem Unternehmer besondrer Gewinn erwächst, auch seiner¬ seits Vorteil zu haben wünscht. Aber wir meinen, es sei ein frevelhaftes Beginnen, wenn man ohne alle wirkliche Not und ohne triftigen Grund - denn die Führer der Gehilfenschaft müssen uns erlauben, die Bewahrung ihrer Macht¬ stellung, zu der der Krieg geführt wird, nicht als einen triftigen Grund an¬ zusehen — einen Streik vom Znune bricht und die Existenz von tausenden von Familien aufs Spiel setzt, wie es in diesem Augenblick wieder bei den Buchdruckern geschehen soll. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die, die den Streik herbeiführen wollen, die politische Leitung der Sozialdemokratie, im Unklaren darüber sein könnten, daß sie hier eine Truppe in den sichern Tod schicken. Die Arbeiter selbst wissen vielleicht nicht, zum Teil jedenfalls nicht, was sie thun. Sie glaube» sich einem selbstsüchtigen Unternehmertum gegenüber, das ihnen die Thore eines Paradieses verschlossen hält; ihr enger Gesichtskreis verhindert sie, die Gesamt¬ lage zu übersehen. Es ist ganz ehrlich, wenn sie in ihren Blättern die Frage an ihre Prinzipale richten, ob es nicht recht wäre, daß diese, statt mit den Verlegern und andern Auftraggebern, mit ihren Arbeitern gemeinsame Sache machten. Das wäre freilich das Natürliche, wenn es eben die Verleger wären, die einen märchenhaften Unternehmergewinn einsteckten, von dem sie egoistisch ihren Druckern nichts zukommen lassen wollten. Wir wollen hier nicht auf die Verhältnisse des deutschen Verlagsbuchhandels eingehen. Es giebt gewiß Verleger, die großen Gewinn haben, und nicht jeder Verleger, der warm sitzt, denkt daran, auch denen etwas zu gute kommen zu lassen, die für ihn arbeiten. *) Es gehe» die Frühstücks- und Vesperpause, das „akademische Viertel," das auch hier morgens zu stände kommt, und die Toilettenzeil nach der Arbeit ab; mit dem Schlage der Feierstunde strömt das Personal gestiefelt und gespornt aus den Geschäften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/563>, abgerufen am 01.09.2024.