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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englands Macht

dem er in dem allgemeinen Teil betont hat, daß die Flotte Englands "auf
dem Papier" und nach der Zahl der Schiffe doppelt so stark sei, als die
Preußens und Frankreichs zusammen, geht er zu der damaligen (1887) vor-
handnen Bewaffnung des Landheeres über. Zunächst nennt er, gestützt auf
General Lord Wolscleys Aussage, das Geschütz der reitenden Artillerie
das schlechteste in Europa. Auch das Geschütz der Feldartillerie sei minder¬
wertig, ebenso die Gewehre der Infanterie. Ebenso urteilt er über die
Säbel der Kavallerie, die Hirschfänger der Matrosen und die Bajonette der
Infanterie, also über alle blanken Waffen. Sie hätten sich in dem ägyptischen
Feldzuge gebogen und wären in der Biegung stehen geblieben, entbehrten also
der Federkraft. Das ist ja nun allerdings in den letzten zehn Jahren anders
geworden. Man hat neue Waffen eingeführt und dnrch Solinger Waffen¬
schmiede, die man nach Birmingham berief, die Fabrikation verbessert. Aber
andre Fehler, die Churchill rügt, können nicht in kurzer Zeit verbessert werden.
Dahin gehört der mangelhafte Zustand der Festungen, von denen er sagt, daß
keine einzige richtig und genügend armirt und verproviantirt sei, manche sogar
jeglicher Armirung und Proviautiruug entbehrten. Malta z. B. sei ungenügend
und unrichtig armirt und nicht hinreichend proviantirt, um seine Besatzung
auch mir drei Wochen zu erhalten. Ferner hat England nicht ein einziges
schweres Geschütz in Vorrat, auch durchaus uicht den geringsten Vorrat an
Munition für Geschütze. Als weitern Beweis sür den Leichtsinn Englands
in militärischen Dingen und für die Unzuverlässigkeit der einschlägigen Be¬
hörden erzählt er, daß bei der Expedition nach Khartum die Truppen erst im
Gefecht entdeckt hätten, daß ihre Granaten von stärkeren Kaliber waren als
die Geschütze, also gar nicht in die Geschützrohre geladen werden konnten!
Die Schrapnells waren gar uicht oder nicht vollständig gefüllt und mit
schlechten Zünder versehen, sodaß sie nicht explodirten.

Solche Fehler, nach deutschen Begriffen fast Verbrechen, lassen auf eine
allgemein vorhcindne sträfliche Unzuverlässigkeit der Verwaltung schließen, und
um diese auszurotten, dazu bedarf es jahrelanger durchgreifender Erziehung
zur Ordnung und Pünktlichkeit, wie sie das deutsche Heerwesen seinen Führern
und ganz besonders den Hoheuzollernfürsten verdankt. Churchill schreibt die
riesigen Ausgaben, die England für seiue Wehrfähigkeit trotz aller dieser
Mängel macht, dem Unverstande der leitenden Behörden, der Überzahl von
Beamten, dem steten Wechsel in den höhern Beamtenstellen und den dadurch
veranlaßten hohe" Pensionen der ebenfalls Wechselnden zahlreichen Unter¬
beamten zu. Er behauptet, daß das britische Reich 51 Millionen Pfund
Sterling auf seine See- und Landmacht verwende, 31 Millionen mehr als
das deutsche Reich und 20 Millionen mehr als die französische Republik, und
glonbt nachgewiesen zu haben, daß England trotzdem, verglichen mit diesen
beiden Großmächten, zu Wasser und zu Lande Verteidigungslos sei und ganz-


Englands Macht

dem er in dem allgemeinen Teil betont hat, daß die Flotte Englands „auf
dem Papier" und nach der Zahl der Schiffe doppelt so stark sei, als die
Preußens und Frankreichs zusammen, geht er zu der damaligen (1887) vor-
handnen Bewaffnung des Landheeres über. Zunächst nennt er, gestützt auf
General Lord Wolscleys Aussage, das Geschütz der reitenden Artillerie
das schlechteste in Europa. Auch das Geschütz der Feldartillerie sei minder¬
wertig, ebenso die Gewehre der Infanterie. Ebenso urteilt er über die
Säbel der Kavallerie, die Hirschfänger der Matrosen und die Bajonette der
Infanterie, also über alle blanken Waffen. Sie hätten sich in dem ägyptischen
Feldzuge gebogen und wären in der Biegung stehen geblieben, entbehrten also
der Federkraft. Das ist ja nun allerdings in den letzten zehn Jahren anders
geworden. Man hat neue Waffen eingeführt und dnrch Solinger Waffen¬
schmiede, die man nach Birmingham berief, die Fabrikation verbessert. Aber
andre Fehler, die Churchill rügt, können nicht in kurzer Zeit verbessert werden.
Dahin gehört der mangelhafte Zustand der Festungen, von denen er sagt, daß
keine einzige richtig und genügend armirt und verproviantirt sei, manche sogar
jeglicher Armirung und Proviautiruug entbehrten. Malta z. B. sei ungenügend
und unrichtig armirt und nicht hinreichend proviantirt, um seine Besatzung
auch mir drei Wochen zu erhalten. Ferner hat England nicht ein einziges
schweres Geschütz in Vorrat, auch durchaus uicht den geringsten Vorrat an
Munition für Geschütze. Als weitern Beweis sür den Leichtsinn Englands
in militärischen Dingen und für die Unzuverlässigkeit der einschlägigen Be¬
hörden erzählt er, daß bei der Expedition nach Khartum die Truppen erst im
Gefecht entdeckt hätten, daß ihre Granaten von stärkeren Kaliber waren als
die Geschütze, also gar nicht in die Geschützrohre geladen werden konnten!
Die Schrapnells waren gar uicht oder nicht vollständig gefüllt und mit
schlechten Zünder versehen, sodaß sie nicht explodirten.

Solche Fehler, nach deutschen Begriffen fast Verbrechen, lassen auf eine
allgemein vorhcindne sträfliche Unzuverlässigkeit der Verwaltung schließen, und
um diese auszurotten, dazu bedarf es jahrelanger durchgreifender Erziehung
zur Ordnung und Pünktlichkeit, wie sie das deutsche Heerwesen seinen Führern
und ganz besonders den Hoheuzollernfürsten verdankt. Churchill schreibt die
riesigen Ausgaben, die England für seiue Wehrfähigkeit trotz aller dieser
Mängel macht, dem Unverstande der leitenden Behörden, der Überzahl von
Beamten, dem steten Wechsel in den höhern Beamtenstellen und den dadurch
veranlaßten hohe» Pensionen der ebenfalls Wechselnden zahlreichen Unter¬
beamten zu. Er behauptet, daß das britische Reich 51 Millionen Pfund
Sterling auf seine See- und Landmacht verwende, 31 Millionen mehr als
das deutsche Reich und 20 Millionen mehr als die französische Republik, und
glonbt nachgewiesen zu haben, daß England trotzdem, verglichen mit diesen
beiden Großmächten, zu Wasser und zu Lande Verteidigungslos sei und ganz-


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[0558] Englands Macht dem er in dem allgemeinen Teil betont hat, daß die Flotte Englands „auf dem Papier" und nach der Zahl der Schiffe doppelt so stark sei, als die Preußens und Frankreichs zusammen, geht er zu der damaligen (1887) vor- handnen Bewaffnung des Landheeres über. Zunächst nennt er, gestützt auf General Lord Wolscleys Aussage, das Geschütz der reitenden Artillerie das schlechteste in Europa. Auch das Geschütz der Feldartillerie sei minder¬ wertig, ebenso die Gewehre der Infanterie. Ebenso urteilt er über die Säbel der Kavallerie, die Hirschfänger der Matrosen und die Bajonette der Infanterie, also über alle blanken Waffen. Sie hätten sich in dem ägyptischen Feldzuge gebogen und wären in der Biegung stehen geblieben, entbehrten also der Federkraft. Das ist ja nun allerdings in den letzten zehn Jahren anders geworden. Man hat neue Waffen eingeführt und dnrch Solinger Waffen¬ schmiede, die man nach Birmingham berief, die Fabrikation verbessert. Aber andre Fehler, die Churchill rügt, können nicht in kurzer Zeit verbessert werden. Dahin gehört der mangelhafte Zustand der Festungen, von denen er sagt, daß keine einzige richtig und genügend armirt und verproviantirt sei, manche sogar jeglicher Armirung und Proviautiruug entbehrten. Malta z. B. sei ungenügend und unrichtig armirt und nicht hinreichend proviantirt, um seine Besatzung auch mir drei Wochen zu erhalten. Ferner hat England nicht ein einziges schweres Geschütz in Vorrat, auch durchaus uicht den geringsten Vorrat an Munition für Geschütze. Als weitern Beweis sür den Leichtsinn Englands in militärischen Dingen und für die Unzuverlässigkeit der einschlägigen Be¬ hörden erzählt er, daß bei der Expedition nach Khartum die Truppen erst im Gefecht entdeckt hätten, daß ihre Granaten von stärkeren Kaliber waren als die Geschütze, also gar nicht in die Geschützrohre geladen werden konnten! Die Schrapnells waren gar uicht oder nicht vollständig gefüllt und mit schlechten Zünder versehen, sodaß sie nicht explodirten. Solche Fehler, nach deutschen Begriffen fast Verbrechen, lassen auf eine allgemein vorhcindne sträfliche Unzuverlässigkeit der Verwaltung schließen, und um diese auszurotten, dazu bedarf es jahrelanger durchgreifender Erziehung zur Ordnung und Pünktlichkeit, wie sie das deutsche Heerwesen seinen Führern und ganz besonders den Hoheuzollernfürsten verdankt. Churchill schreibt die riesigen Ausgaben, die England für seiue Wehrfähigkeit trotz aller dieser Mängel macht, dem Unverstande der leitenden Behörden, der Überzahl von Beamten, dem steten Wechsel in den höhern Beamtenstellen und den dadurch veranlaßten hohe» Pensionen der ebenfalls Wechselnden zahlreichen Unter¬ beamten zu. Er behauptet, daß das britische Reich 51 Millionen Pfund Sterling auf seine See- und Landmacht verwende, 31 Millionen mehr als das deutsche Reich und 20 Millionen mehr als die französische Republik, und glonbt nachgewiesen zu haben, daß England trotzdem, verglichen mit diesen beiden Großmächten, zu Wasser und zu Lande Verteidigungslos sei und ganz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/558>, abgerufen am 01.09.2024.