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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bürgerlichen Gesetzbuchs rechnen konnte, sich immer schmerer entschloß, eine gründ¬
liche Säuberung unsrer "Landesgesetze" vorzunehmen. Wir mochten aber doch dem
Wunsche Ausdruck geben, daß wenigstens jetzt, wenn das bürgerliche Gesetzbuch
glücklich unter Dach und Fach gebracht ist, sofort die Vorkehrungen sür eine solche
Reinigung der Rumpelkammer unsrer reichsländischen Gesetzgebung getroffen werden.
Mehr noch als vor drei Jahren gilt heute, was damals die gewiß nicht oppositionelle
Straßburger Post mit den Worten ausgesprochen hat: "Wir vertrauen fest darauf,
daß die reichsländische Regierung bald den immer dringender werdenden Wünschen
der Bevölkerung entgegenkommen und Sorge tragen werde, daß mit dem französischen
Gesetzeszeng aufgeräumt werde, das nach zweiundzwanzigjtthrigem Bestände des
deutschen Reichslandes nicht mehr hierher gehört. Wir wissen die Schwierigkeiten
vollkommen zu würdigen, die der großen gesetzgeberischen Umgestaltung entgegen¬
stehen, aber Schwierigkeiten sind da, um überwunden zu werden, und bei diesem
wichtigen Werke müssen alle Kräfte angespannt werden."

Wir sind überzeugt, daß die Regierung mit Aufhebung der Diktatur, mit
einer gründlichen Säuberung unsrer Landesgesetze und mit der Einrichtung einer
ordentlichen Verwaltungsrechtspflege in hohem Maße zur Gesundung unsrer poli¬
tischen Verhältnisse beitragen würde. Daß auch damit noch keine allgemeine Zu¬
friedenheit herbeigeführt wäre, daß auch dann noch tausende von Stimmen für
sozialdemokratische Kandidaten abgegeben werden würden, das wissen wir recht wohl.
Immerhin wären damit gewisse Dinge aus unserm politischen Leben beseitigt, die
in besondern: Maße verbitternd auf weite Volkskreise wirken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Krieg überall.

Wenn wir vor acht Tagen dem preußischen Abgeordneten¬
hause idealistische Anwandlungen nachrühmten, so bezog sich das bloß auf die For¬
derung eines Schulgesetzes, die von der konservativen und von der Zentrumspartei
wieder einmal erhoben wurde; der Parittttsstreit, d. h. der Streit um Geld und
Beamtenstellen, sah schon weniger ideal aus. Die politische Rechenkunst, d. h. die
Kunst, dnrch die Addition gegebner Zahlen jede beliebige Summe herauszubekommen,
die man gerade braucht, glänzte dabei durch Leistungen, die sogar Herrn Miquel
imponirt haben dürften. Zwanzigmal zu viel und auch zwanzigmal zu wenig sollen
die Katholiken bekommen. Auf der katholischen Seite besteht der Hauptkniff darin,
daß das, was der Staat auf Grund rechtlicher Verpflichtungen der katholischen
Kirche auszahlt, gar nicht gerechnet wird; das sei ja nur ein ungenügender Ersatz
für den Ertrag der säkularisirten Kirchengüter; nnr was der Staat freiwillig leiste,
dürfe ans beiden Seiten gerechnet werden. In dieser Zumutung offenbart sich die
Unvernunft des historischen Rechts so handgreiflich, wie es seine Gegner nur
wünschen können. War es doch schon ein unerträglicher und ganz unvernünftiger
Zustand, als in rein katholischen Ländern ein Fünftel bis ein Drittel des Grund
und Bodens uoch immer der Kirche, d. h. dem Klerus gehörte, nachdem dieser Grund
und Boden, der zur Zeit der Schenkung an die Kirche keinen Ertragswert gehabt


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bürgerlichen Gesetzbuchs rechnen konnte, sich immer schmerer entschloß, eine gründ¬
liche Säuberung unsrer „Landesgesetze" vorzunehmen. Wir mochten aber doch dem
Wunsche Ausdruck geben, daß wenigstens jetzt, wenn das bürgerliche Gesetzbuch
glücklich unter Dach und Fach gebracht ist, sofort die Vorkehrungen sür eine solche
Reinigung der Rumpelkammer unsrer reichsländischen Gesetzgebung getroffen werden.
Mehr noch als vor drei Jahren gilt heute, was damals die gewiß nicht oppositionelle
Straßburger Post mit den Worten ausgesprochen hat: „Wir vertrauen fest darauf,
daß die reichsländische Regierung bald den immer dringender werdenden Wünschen
der Bevölkerung entgegenkommen und Sorge tragen werde, daß mit dem französischen
Gesetzeszeng aufgeräumt werde, das nach zweiundzwanzigjtthrigem Bestände des
deutschen Reichslandes nicht mehr hierher gehört. Wir wissen die Schwierigkeiten
vollkommen zu würdigen, die der großen gesetzgeberischen Umgestaltung entgegen¬
stehen, aber Schwierigkeiten sind da, um überwunden zu werden, und bei diesem
wichtigen Werke müssen alle Kräfte angespannt werden."

Wir sind überzeugt, daß die Regierung mit Aufhebung der Diktatur, mit
einer gründlichen Säuberung unsrer Landesgesetze und mit der Einrichtung einer
ordentlichen Verwaltungsrechtspflege in hohem Maße zur Gesundung unsrer poli¬
tischen Verhältnisse beitragen würde. Daß auch damit noch keine allgemeine Zu¬
friedenheit herbeigeführt wäre, daß auch dann noch tausende von Stimmen für
sozialdemokratische Kandidaten abgegeben werden würden, das wissen wir recht wohl.
Immerhin wären damit gewisse Dinge aus unserm politischen Leben beseitigt, die
in besondern: Maße verbitternd auf weite Volkskreise wirken.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Krieg überall.

Wenn wir vor acht Tagen dem preußischen Abgeordneten¬
hause idealistische Anwandlungen nachrühmten, so bezog sich das bloß auf die For¬
derung eines Schulgesetzes, die von der konservativen und von der Zentrumspartei
wieder einmal erhoben wurde; der Parittttsstreit, d. h. der Streit um Geld und
Beamtenstellen, sah schon weniger ideal aus. Die politische Rechenkunst, d. h. die
Kunst, dnrch die Addition gegebner Zahlen jede beliebige Summe herauszubekommen,
die man gerade braucht, glänzte dabei durch Leistungen, die sogar Herrn Miquel
imponirt haben dürften. Zwanzigmal zu viel und auch zwanzigmal zu wenig sollen
die Katholiken bekommen. Auf der katholischen Seite besteht der Hauptkniff darin,
daß das, was der Staat auf Grund rechtlicher Verpflichtungen der katholischen
Kirche auszahlt, gar nicht gerechnet wird; das sei ja nur ein ungenügender Ersatz
für den Ertrag der säkularisirten Kirchengüter; nnr was der Staat freiwillig leiste,
dürfe ans beiden Seiten gerechnet werden. In dieser Zumutung offenbart sich die
Unvernunft des historischen Rechts so handgreiflich, wie es seine Gegner nur
wünschen können. War es doch schon ein unerträglicher und ganz unvernünftiger
Zustand, als in rein katholischen Ländern ein Fünftel bis ein Drittel des Grund
und Bodens uoch immer der Kirche, d. h. dem Klerus gehörte, nachdem dieser Grund
und Boden, der zur Zeit der Schenkung an die Kirche keinen Ertragswert gehabt


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[0547] Maßgebliches und Unmaßgebliches bürgerlichen Gesetzbuchs rechnen konnte, sich immer schmerer entschloß, eine gründ¬ liche Säuberung unsrer „Landesgesetze" vorzunehmen. Wir mochten aber doch dem Wunsche Ausdruck geben, daß wenigstens jetzt, wenn das bürgerliche Gesetzbuch glücklich unter Dach und Fach gebracht ist, sofort die Vorkehrungen sür eine solche Reinigung der Rumpelkammer unsrer reichsländischen Gesetzgebung getroffen werden. Mehr noch als vor drei Jahren gilt heute, was damals die gewiß nicht oppositionelle Straßburger Post mit den Worten ausgesprochen hat: „Wir vertrauen fest darauf, daß die reichsländische Regierung bald den immer dringender werdenden Wünschen der Bevölkerung entgegenkommen und Sorge tragen werde, daß mit dem französischen Gesetzeszeng aufgeräumt werde, das nach zweiundzwanzigjtthrigem Bestände des deutschen Reichslandes nicht mehr hierher gehört. Wir wissen die Schwierigkeiten vollkommen zu würdigen, die der großen gesetzgeberischen Umgestaltung entgegen¬ stehen, aber Schwierigkeiten sind da, um überwunden zu werden, und bei diesem wichtigen Werke müssen alle Kräfte angespannt werden." Wir sind überzeugt, daß die Regierung mit Aufhebung der Diktatur, mit einer gründlichen Säuberung unsrer Landesgesetze und mit der Einrichtung einer ordentlichen Verwaltungsrechtspflege in hohem Maße zur Gesundung unsrer poli¬ tischen Verhältnisse beitragen würde. Daß auch damit noch keine allgemeine Zu¬ friedenheit herbeigeführt wäre, daß auch dann noch tausende von Stimmen für sozialdemokratische Kandidaten abgegeben werden würden, das wissen wir recht wohl. Immerhin wären damit gewisse Dinge aus unserm politischen Leben beseitigt, die in besondern: Maße verbitternd auf weite Volkskreise wirken. Maßgebliches und Unmaßgebliches Krieg überall. Wenn wir vor acht Tagen dem preußischen Abgeordneten¬ hause idealistische Anwandlungen nachrühmten, so bezog sich das bloß auf die For¬ derung eines Schulgesetzes, die von der konservativen und von der Zentrumspartei wieder einmal erhoben wurde; der Parittttsstreit, d. h. der Streit um Geld und Beamtenstellen, sah schon weniger ideal aus. Die politische Rechenkunst, d. h. die Kunst, dnrch die Addition gegebner Zahlen jede beliebige Summe herauszubekommen, die man gerade braucht, glänzte dabei durch Leistungen, die sogar Herrn Miquel imponirt haben dürften. Zwanzigmal zu viel und auch zwanzigmal zu wenig sollen die Katholiken bekommen. Auf der katholischen Seite besteht der Hauptkniff darin, daß das, was der Staat auf Grund rechtlicher Verpflichtungen der katholischen Kirche auszahlt, gar nicht gerechnet wird; das sei ja nur ein ungenügender Ersatz für den Ertrag der säkularisirten Kirchengüter; nnr was der Staat freiwillig leiste, dürfe ans beiden Seiten gerechnet werden. In dieser Zumutung offenbart sich die Unvernunft des historischen Rechts so handgreiflich, wie es seine Gegner nur wünschen können. War es doch schon ein unerträglicher und ganz unvernünftiger Zustand, als in rein katholischen Ländern ein Fünftel bis ein Drittel des Grund und Bodens uoch immer der Kirche, d. h. dem Klerus gehörte, nachdem dieser Grund und Boden, der zur Zeit der Schenkung an die Kirche keinen Ertragswert gehabt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/547>, abgerufen am 01.09.2024.