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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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lungen der Litteraten, der Künstler, der Lebemänner, auf den Rennplätzen trifft
man den laut schwadronirenden, nach der neuesten Mode gekleideten, "Herr
Doktor" genannten jungen Rechtsanwalt. Man wird in seinem immer "geist¬
reichen" Slang unangenehm eine sich und alle Welt ironisirende Lebens-
anschauung bemerken. Wein das philisterhaft erscheint, dem wäre zu wünschen,
daß er einmal ein Stündchen in dem Anwaltszimmer eines große" Berliner
Gerichtshofs zuhören und beobachten könnte. Je höher man den Stand des
Rechtsanwalts stellt -- und wir gehören zu denen, die ihn dem Nichter-
stcmde gleichstellen --, je mehr wird man wünschen, daß in ihm der Ge¬
schäftssinn nicht überwuchre und daß ihm alle Frivolität der Lebensauffassung
fernbleibe.

Wie aber soll, wie kann geholfen werden? In einer Zeit, die jeder Auf¬
sicht, jeder Autorität, jeder Beschränkung abhold ist, wird eine Beaufsichtigung
etwa durch die Gerichtspräsidenten, selbst eine Beschränkung der Zahl gar nicht
oder uur sehr schwer durchzuführen sein. Gegen den Minister, der das auch
nur ernstlich versuchte, würde der größte Teil der hauptstädtischen Presse ein
entsetzliches Halloh anstimmen. Und doch wird man nach den angegebnen
Zahlen nicht umhin können, dem Gedanken einer Beschränkung der Anzahl
(immöruL vlimsus) näherzutreten, denn die Zeiten des Imssvr ksiro, laissW "Uhr
scheinen vorüber zu sein.

Wirklich helfen kann allerdings nur das, was aus dem Anwaltstande,
von seiner gesetzlichen Vertretung selbst geschieht, um die unsaubern Elemente
abzustoßen. Sollte es auch dazu schon zu spät sein? Was würde wohl ein
richterlicher Disziplinarhof gegen einen Richter erkennen, der in der dreistesten
Weise fast öffentlich Ehebruch treibt, der wahnsinnig an der Börse spielt, der,
ein-, zweimal finanziell niedergebrochen nud von seinen Freunden gerettet,
immer von neuem unter Bruch des Ehrenworts sein wüstes Treiben beginnt
und seine Pflichten vernachlässigt? Würde der wohl mit einem Verweis oder
einer Geldstrafe wegkommen, und wenn er die herrlichsten Erkenntnisse auf¬
setzen könnte? Ist da die Anwaltkammer auf der Höhe ihrer Aufgabe, oder
wird vom Richter von vornherein ein höherer sittlicher Ernst und eine ehr¬
barere Lebensführung verlangt oder vorausgesetzt, als von einem, der Anwalt
und Schützer des Rechts sein soll? Gewiß würden sämtliche Anwälte gegen
eine solche Annahme protestiren, und sie wäre ja auch verderblich für unser
Rechtsleben. Soll das Rechtsleben unsers Staates sich auf der Höhe erhalten,
die früher unser Stolz gewesen ist, so ist es neben anderm unbedingt erforderlich,
daß die beide" Faktoren der Rechtsfindnng und Rechtsprechung einander gleich¬
wertig sind und bleiben, und daß sie sich nicht grundsätzlich feindlich gegenüber¬
stehen.




Gvenzboten I 1896"!"!

lungen der Litteraten, der Künstler, der Lebemänner, auf den Rennplätzen trifft
man den laut schwadronirenden, nach der neuesten Mode gekleideten, „Herr
Doktor" genannten jungen Rechtsanwalt. Man wird in seinem immer „geist¬
reichen" Slang unangenehm eine sich und alle Welt ironisirende Lebens-
anschauung bemerken. Wein das philisterhaft erscheint, dem wäre zu wünschen,
daß er einmal ein Stündchen in dem Anwaltszimmer eines große» Berliner
Gerichtshofs zuhören und beobachten könnte. Je höher man den Stand des
Rechtsanwalts stellt — und wir gehören zu denen, die ihn dem Nichter-
stcmde gleichstellen —, je mehr wird man wünschen, daß in ihm der Ge¬
schäftssinn nicht überwuchre und daß ihm alle Frivolität der Lebensauffassung
fernbleibe.

Wie aber soll, wie kann geholfen werden? In einer Zeit, die jeder Auf¬
sicht, jeder Autorität, jeder Beschränkung abhold ist, wird eine Beaufsichtigung
etwa durch die Gerichtspräsidenten, selbst eine Beschränkung der Zahl gar nicht
oder uur sehr schwer durchzuführen sein. Gegen den Minister, der das auch
nur ernstlich versuchte, würde der größte Teil der hauptstädtischen Presse ein
entsetzliches Halloh anstimmen. Und doch wird man nach den angegebnen
Zahlen nicht umhin können, dem Gedanken einer Beschränkung der Anzahl
(immöruL vlimsus) näherzutreten, denn die Zeiten des Imssvr ksiro, laissW »Uhr
scheinen vorüber zu sein.

Wirklich helfen kann allerdings nur das, was aus dem Anwaltstande,
von seiner gesetzlichen Vertretung selbst geschieht, um die unsaubern Elemente
abzustoßen. Sollte es auch dazu schon zu spät sein? Was würde wohl ein
richterlicher Disziplinarhof gegen einen Richter erkennen, der in der dreistesten
Weise fast öffentlich Ehebruch treibt, der wahnsinnig an der Börse spielt, der,
ein-, zweimal finanziell niedergebrochen nud von seinen Freunden gerettet,
immer von neuem unter Bruch des Ehrenworts sein wüstes Treiben beginnt
und seine Pflichten vernachlässigt? Würde der wohl mit einem Verweis oder
einer Geldstrafe wegkommen, und wenn er die herrlichsten Erkenntnisse auf¬
setzen könnte? Ist da die Anwaltkammer auf der Höhe ihrer Aufgabe, oder
wird vom Richter von vornherein ein höherer sittlicher Ernst und eine ehr¬
barere Lebensführung verlangt oder vorausgesetzt, als von einem, der Anwalt
und Schützer des Rechts sein soll? Gewiß würden sämtliche Anwälte gegen
eine solche Annahme protestiren, und sie wäre ja auch verderblich für unser
Rechtsleben. Soll das Rechtsleben unsers Staates sich auf der Höhe erhalten,
die früher unser Stolz gewesen ist, so ist es neben anderm unbedingt erforderlich,
daß die beide» Faktoren der Rechtsfindnng und Rechtsprechung einander gleich¬
wertig sind und bleiben, und daß sie sich nicht grundsätzlich feindlich gegenüber¬
stehen.




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[0529] lungen der Litteraten, der Künstler, der Lebemänner, auf den Rennplätzen trifft man den laut schwadronirenden, nach der neuesten Mode gekleideten, „Herr Doktor" genannten jungen Rechtsanwalt. Man wird in seinem immer „geist¬ reichen" Slang unangenehm eine sich und alle Welt ironisirende Lebens- anschauung bemerken. Wein das philisterhaft erscheint, dem wäre zu wünschen, daß er einmal ein Stündchen in dem Anwaltszimmer eines große» Berliner Gerichtshofs zuhören und beobachten könnte. Je höher man den Stand des Rechtsanwalts stellt — und wir gehören zu denen, die ihn dem Nichter- stcmde gleichstellen —, je mehr wird man wünschen, daß in ihm der Ge¬ schäftssinn nicht überwuchre und daß ihm alle Frivolität der Lebensauffassung fernbleibe. Wie aber soll, wie kann geholfen werden? In einer Zeit, die jeder Auf¬ sicht, jeder Autorität, jeder Beschränkung abhold ist, wird eine Beaufsichtigung etwa durch die Gerichtspräsidenten, selbst eine Beschränkung der Zahl gar nicht oder uur sehr schwer durchzuführen sein. Gegen den Minister, der das auch nur ernstlich versuchte, würde der größte Teil der hauptstädtischen Presse ein entsetzliches Halloh anstimmen. Und doch wird man nach den angegebnen Zahlen nicht umhin können, dem Gedanken einer Beschränkung der Anzahl (immöruL vlimsus) näherzutreten, denn die Zeiten des Imssvr ksiro, laissW »Uhr scheinen vorüber zu sein. Wirklich helfen kann allerdings nur das, was aus dem Anwaltstande, von seiner gesetzlichen Vertretung selbst geschieht, um die unsaubern Elemente abzustoßen. Sollte es auch dazu schon zu spät sein? Was würde wohl ein richterlicher Disziplinarhof gegen einen Richter erkennen, der in der dreistesten Weise fast öffentlich Ehebruch treibt, der wahnsinnig an der Börse spielt, der, ein-, zweimal finanziell niedergebrochen nud von seinen Freunden gerettet, immer von neuem unter Bruch des Ehrenworts sein wüstes Treiben beginnt und seine Pflichten vernachlässigt? Würde der wohl mit einem Verweis oder einer Geldstrafe wegkommen, und wenn er die herrlichsten Erkenntnisse auf¬ setzen könnte? Ist da die Anwaltkammer auf der Höhe ihrer Aufgabe, oder wird vom Richter von vornherein ein höherer sittlicher Ernst und eine ehr¬ barere Lebensführung verlangt oder vorausgesetzt, als von einem, der Anwalt und Schützer des Rechts sein soll? Gewiß würden sämtliche Anwälte gegen eine solche Annahme protestiren, und sie wäre ja auch verderblich für unser Rechtsleben. Soll das Rechtsleben unsers Staates sich auf der Höhe erhalten, die früher unser Stolz gewesen ist, so ist es neben anderm unbedingt erforderlich, daß die beide» Faktoren der Rechtsfindnng und Rechtsprechung einander gleich¬ wertig sind und bleiben, und daß sie sich nicht grundsätzlich feindlich gegenüber¬ stehen. Gvenzboten I 1896«!«!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/529>, abgerufen am 01.09.2024.