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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Richter und Anwalt

Allwalt gegen den Richter benimmt, umsvlmhr glaubt er sich der Klientel zu
empfehlen und zu höher" Einnahmen zu kommen. In früherer Zeit flogen
mich manchmal scharfe Worte zwischen den Vorsitzenden und den Verteidigern
hin und her, die seiner Zeit berühmten Verteidiger Deycks, Holthvsf u. a.,
von den neuern Mnnclel, Sello u. a. waren teiuesivegs geneigt, sich ein Blatt
vor den Mund zu nehmen, aber die Entgegnungen blieben doch immer sachlich
und ohne den Beigeschmack, den z. B. die Nedegcfechte im Prozeß Heintze
hatten. An den Gerichtshöfen der Provinz geht es ja im allgemeinen ruhiger
zu, und wenn sich einmal eine größere Meinungsverschiedenheit zeigt, hat sie
selten ärgerliche Folge". Aber ein Vorsitzender einer Berliner Strafkammer, der
wöchentlich mindestens zweimal sechs bis sieben, auch neun und zehn Stunden
anstrengende Verhandlungen zu leiten hat, der auch ab und zu in einer ciiusv
völcidiv eine ganze Reihe von Tagen ununterbrochen verhandeln muß, der
dabei jetzt genötigt ist, womöglich auf jedes Wort zu achten, und der den
offnen und -- was noch schlimmer -- den versteckten Angriffen rücksichtsloser
Verteidiger ausgesetzt ist, hat für seinen wirklich nicht bedeutenden Gehalt dein
Staat eine unverhältnismäßig große Arbeit zu leisten. Wer solche Arbeit
länger als drei Jahre aushalten soll, muß eine beneidenswerte Ruhe, ein
Riesengedächtnis und Nerven wie Schiffstane haben. Und das gilt nicht bloß
von den Vorsitzenden, sondern überhaupt von einem große" Teil der Berliner
Richter, sie sind so überbürdet, daß sie schließlich, nur um ihr Pensum ab¬
zuarbeiten, zu einer handwerksmäßigen Erledigung der Geschäfte geradezu ge¬
zwungen sind, oder sich so abarbeiten müssen, daß sie, was jetzt immer öfter
geschieht, eine Versetzung in die Provinz anstrebe". Das traurige Ende des
Laudgerichtsdirektvrs Brausewetter bestätigt diese Behauptung. Dieser ""glück¬
liche Richter war ehe" Wege" seines lebhafte" Temperaments nicht imstande,
in seinem schwere" Amt die Ruhe zu bewahren, die nun einmal nötig ist an
einer Stelle, die so der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist. Nun lese man aber
die Nachrufe in einem Teil der hauptstädtischen Presse! Welcher Groll macht
sich darin noch einmal gegen den unglücklichen Toten Luft! Da findet man
bestätigt, was oben von der latenten Feindschaft gesagt ist.

Aber selbst der überHand nehmende Geschäftssinn der Anwälte möchte noch
ohne Schaden überwunden werden. Es kommt aber "och eins hinzu, was
namentlich in Berlin und andern großen Städten unangenehm ausfällt: ehr¬
liche Arbeit und tüchtiges Streben "lachen immer bescheiden; wer sich in seinem
Berufe anält, tritt zurück gegen den, der, von Hause aus wohlhabend oder
vom Glück begünstigt, bei reichen Einnahmen auch ein reiches Leben führen
kann, oder der skrupellos durch auffälliges Auftreten, selbst bei nicht aus-
reichenden Mitteln, sein Ziel zu erreichen sucht. Und da zeigt sich jetzt
unleugbar in großen Städten el" neuer gesellschaftlicher Thpns in dem "jungen
Anwalt." I" den Salons der June,L llnaiuzs, ans den Festen und Verstimm-


Richter und Anwalt

Allwalt gegen den Richter benimmt, umsvlmhr glaubt er sich der Klientel zu
empfehlen und zu höher» Einnahmen zu kommen. In früherer Zeit flogen
mich manchmal scharfe Worte zwischen den Vorsitzenden und den Verteidigern
hin und her, die seiner Zeit berühmten Verteidiger Deycks, Holthvsf u. a.,
von den neuern Mnnclel, Sello u. a. waren teiuesivegs geneigt, sich ein Blatt
vor den Mund zu nehmen, aber die Entgegnungen blieben doch immer sachlich
und ohne den Beigeschmack, den z. B. die Nedegcfechte im Prozeß Heintze
hatten. An den Gerichtshöfen der Provinz geht es ja im allgemeinen ruhiger
zu, und wenn sich einmal eine größere Meinungsverschiedenheit zeigt, hat sie
selten ärgerliche Folge». Aber ein Vorsitzender einer Berliner Strafkammer, der
wöchentlich mindestens zweimal sechs bis sieben, auch neun und zehn Stunden
anstrengende Verhandlungen zu leiten hat, der auch ab und zu in einer ciiusv
völcidiv eine ganze Reihe von Tagen ununterbrochen verhandeln muß, der
dabei jetzt genötigt ist, womöglich auf jedes Wort zu achten, und der den
offnen und — was noch schlimmer — den versteckten Angriffen rücksichtsloser
Verteidiger ausgesetzt ist, hat für seinen wirklich nicht bedeutenden Gehalt dein
Staat eine unverhältnismäßig große Arbeit zu leisten. Wer solche Arbeit
länger als drei Jahre aushalten soll, muß eine beneidenswerte Ruhe, ein
Riesengedächtnis und Nerven wie Schiffstane haben. Und das gilt nicht bloß
von den Vorsitzenden, sondern überhaupt von einem große» Teil der Berliner
Richter, sie sind so überbürdet, daß sie schließlich, nur um ihr Pensum ab¬
zuarbeiten, zu einer handwerksmäßigen Erledigung der Geschäfte geradezu ge¬
zwungen sind, oder sich so abarbeiten müssen, daß sie, was jetzt immer öfter
geschieht, eine Versetzung in die Provinz anstrebe». Das traurige Ende des
Laudgerichtsdirektvrs Brausewetter bestätigt diese Behauptung. Dieser »»glück¬
liche Richter war ehe» Wege» seines lebhafte» Temperaments nicht imstande,
in seinem schwere» Amt die Ruhe zu bewahren, die nun einmal nötig ist an
einer Stelle, die so der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist. Nun lese man aber
die Nachrufe in einem Teil der hauptstädtischen Presse! Welcher Groll macht
sich darin noch einmal gegen den unglücklichen Toten Luft! Da findet man
bestätigt, was oben von der latenten Feindschaft gesagt ist.

Aber selbst der überHand nehmende Geschäftssinn der Anwälte möchte noch
ohne Schaden überwunden werden. Es kommt aber »och eins hinzu, was
namentlich in Berlin und andern großen Städten unangenehm ausfällt: ehr¬
liche Arbeit und tüchtiges Streben »lachen immer bescheiden; wer sich in seinem
Berufe anält, tritt zurück gegen den, der, von Hause aus wohlhabend oder
vom Glück begünstigt, bei reichen Einnahmen auch ein reiches Leben führen
kann, oder der skrupellos durch auffälliges Auftreten, selbst bei nicht aus-
reichenden Mitteln, sein Ziel zu erreichen sucht. Und da zeigt sich jetzt
unleugbar in großen Städten el» neuer gesellschaftlicher Thpns in dem „jungen
Anwalt." I» den Salons der June,L llnaiuzs, ans den Festen und Verstimm-


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[0528] Richter und Anwalt Allwalt gegen den Richter benimmt, umsvlmhr glaubt er sich der Klientel zu empfehlen und zu höher» Einnahmen zu kommen. In früherer Zeit flogen mich manchmal scharfe Worte zwischen den Vorsitzenden und den Verteidigern hin und her, die seiner Zeit berühmten Verteidiger Deycks, Holthvsf u. a., von den neuern Mnnclel, Sello u. a. waren teiuesivegs geneigt, sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, aber die Entgegnungen blieben doch immer sachlich und ohne den Beigeschmack, den z. B. die Nedegcfechte im Prozeß Heintze hatten. An den Gerichtshöfen der Provinz geht es ja im allgemeinen ruhiger zu, und wenn sich einmal eine größere Meinungsverschiedenheit zeigt, hat sie selten ärgerliche Folge». Aber ein Vorsitzender einer Berliner Strafkammer, der wöchentlich mindestens zweimal sechs bis sieben, auch neun und zehn Stunden anstrengende Verhandlungen zu leiten hat, der auch ab und zu in einer ciiusv völcidiv eine ganze Reihe von Tagen ununterbrochen verhandeln muß, der dabei jetzt genötigt ist, womöglich auf jedes Wort zu achten, und der den offnen und — was noch schlimmer — den versteckten Angriffen rücksichtsloser Verteidiger ausgesetzt ist, hat für seinen wirklich nicht bedeutenden Gehalt dein Staat eine unverhältnismäßig große Arbeit zu leisten. Wer solche Arbeit länger als drei Jahre aushalten soll, muß eine beneidenswerte Ruhe, ein Riesengedächtnis und Nerven wie Schiffstane haben. Und das gilt nicht bloß von den Vorsitzenden, sondern überhaupt von einem große» Teil der Berliner Richter, sie sind so überbürdet, daß sie schließlich, nur um ihr Pensum ab¬ zuarbeiten, zu einer handwerksmäßigen Erledigung der Geschäfte geradezu ge¬ zwungen sind, oder sich so abarbeiten müssen, daß sie, was jetzt immer öfter geschieht, eine Versetzung in die Provinz anstrebe». Das traurige Ende des Laudgerichtsdirektvrs Brausewetter bestätigt diese Behauptung. Dieser »»glück¬ liche Richter war ehe» Wege» seines lebhafte» Temperaments nicht imstande, in seinem schwere» Amt die Ruhe zu bewahren, die nun einmal nötig ist an einer Stelle, die so der öffentlichen Kritik ausgesetzt ist. Nun lese man aber die Nachrufe in einem Teil der hauptstädtischen Presse! Welcher Groll macht sich darin noch einmal gegen den unglücklichen Toten Luft! Da findet man bestätigt, was oben von der latenten Feindschaft gesagt ist. Aber selbst der überHand nehmende Geschäftssinn der Anwälte möchte noch ohne Schaden überwunden werden. Es kommt aber »och eins hinzu, was namentlich in Berlin und andern großen Städten unangenehm ausfällt: ehr¬ liche Arbeit und tüchtiges Streben »lachen immer bescheiden; wer sich in seinem Berufe anält, tritt zurück gegen den, der, von Hause aus wohlhabend oder vom Glück begünstigt, bei reichen Einnahmen auch ein reiches Leben führen kann, oder der skrupellos durch auffälliges Auftreten, selbst bei nicht aus- reichenden Mitteln, sein Ziel zu erreichen sucht. Und da zeigt sich jetzt unleugbar in großen Städten el» neuer gesellschaftlicher Thpns in dem „jungen Anwalt." I» den Salons der June,L llnaiuzs, ans den Festen und Verstimm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/528>, abgerufen am 01.09.2024.