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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Richter und Anwalt

je eine" Richter kommen, wobei noch zu bedenken ist, daß fast ein Drittel der
Richter, nämlich die, denen die freiwillige Gerichtsbarkeit obliegt, mit den
Anwälte" "ur wenig zu thun haben. Und das wird noch anwachsen! Nehmen
nur einmal den Zustand von 1885 beim Landgericht und Amtsgericht I.
Damals waren als Richter einschließlich der Präsidenten und Direktoren
164 Richter; als Anwälte waren zugelassen 229 (darunter "9 jüdische). Die
Richter sind in den zehn Jahren vermehrt worden um 12". Die Zahl der
Anwälte hat sich vermehrt um 292, also um mehr als das Doppelte gegen
die Vermehrung der Richter! Der Prozentsatz der jüdischen Anwälte betrug
damals 39 Prozent, er hat sich also vermehrt um 15 Prozent!

Diese Zahlen sprechen für sich selbst, besonders wenn man berücksichtigt,
daß der Prozentsatz der jüdischen Gesamtbevölkerung Berlins ganz "iedrig ist.
Er betrug:

1864 8,46 Prozent
1867 3,93
1871 4,86
1875 4,70
1880 4,30 "
1885 4,89
1890 5,03

für 1895 ist er noch uicht festgestellt, wird aber kaum 5,50 Prozent erreiche",
er ist in dreißig Jahren "ur "in etwa 2 Prozent gewachsen. Daß dem gegen¬
über der Prozentsatz der jüdische" Anwälte sowohl als ihr Anwachsen ganz
unverhältnismäßig und deshalb für das Ganze gefährlich ist, bedarf wohl
keines Beweises. Das kaun jedenfalls nicht geleugnet werden, daß in Berlin
mit der übermäßige" Anzahl der Anwälte überhaupt der Konkurrenzkampf
unter ihnen immer erbitterter werden muß zum Nachteil des Rechts, daß der
Anwalt immer welliger bleibt, was er nach unsrer deutsche" Rechtseutwicklung
sei" und bleiben müßte: ein Anwalt des Rechts, und immer mehr zum Ge¬
schäftsmann wird, dem sein Wissen, seine Gesetzeskenntnis die Ware ist, die
er für Geld und möglichst viel Geld verkauft. Die Einnahmen, die solchen
findigen Geschäftsleuten zufließe", sind so gewaltig, daß dagegen der Gehalt
des Reichsgerichtspräsidenten gering erscheint. Gewiß erreichen nicht viele und
durchaus nicht alle fähigen oder gerade die fähigsten solche Einnahmen, ja
mancher Anwalt in Berlin hat sogar hart ums Dasein zu kämpfen. Bei den
höchst mangelhaften Banlichkeite" der Justizverwaltung in Berlin ist so ein
junger Anwalt, der treppauf treppab laufen muß, an einem Tage vielleicht
vo" der Königsstraße nach Moabit, von Moabit nach der Neuen Friedrichs¬
straße oder nach dem Tempelhofer Ufer gehetzt wird, uicht zu beneiden, zumal
wenn ihm "ur kärglicher Lob" dafür wird; aber auch die in ihren Einnahmen
zurückbleiben, sind immer eine Gefahr für das Recht und das Verhältnis zu
den Richtern, denn je "schneidiger" sich bei öffentlichen Verba"dluuge" ein


Richter und Anwalt

je eine» Richter kommen, wobei noch zu bedenken ist, daß fast ein Drittel der
Richter, nämlich die, denen die freiwillige Gerichtsbarkeit obliegt, mit den
Anwälte» »ur wenig zu thun haben. Und das wird noch anwachsen! Nehmen
nur einmal den Zustand von 1885 beim Landgericht und Amtsgericht I.
Damals waren als Richter einschließlich der Präsidenten und Direktoren
164 Richter; als Anwälte waren zugelassen 229 (darunter »9 jüdische). Die
Richter sind in den zehn Jahren vermehrt worden um 12». Die Zahl der
Anwälte hat sich vermehrt um 292, also um mehr als das Doppelte gegen
die Vermehrung der Richter! Der Prozentsatz der jüdischen Anwälte betrug
damals 39 Prozent, er hat sich also vermehrt um 15 Prozent!

Diese Zahlen sprechen für sich selbst, besonders wenn man berücksichtigt,
daß der Prozentsatz der jüdischen Gesamtbevölkerung Berlins ganz »iedrig ist.
Er betrug:

1864 8,46 Prozent
1867 3,93
1871 4,86
1875 4,70
1880 4,30 „
1885 4,89
1890 5,03

für 1895 ist er noch uicht festgestellt, wird aber kaum 5,50 Prozent erreiche»,
er ist in dreißig Jahren »ur »in etwa 2 Prozent gewachsen. Daß dem gegen¬
über der Prozentsatz der jüdische» Anwälte sowohl als ihr Anwachsen ganz
unverhältnismäßig und deshalb für das Ganze gefährlich ist, bedarf wohl
keines Beweises. Das kaun jedenfalls nicht geleugnet werden, daß in Berlin
mit der übermäßige» Anzahl der Anwälte überhaupt der Konkurrenzkampf
unter ihnen immer erbitterter werden muß zum Nachteil des Rechts, daß der
Anwalt immer welliger bleibt, was er nach unsrer deutsche» Rechtseutwicklung
sei» und bleiben müßte: ein Anwalt des Rechts, und immer mehr zum Ge¬
schäftsmann wird, dem sein Wissen, seine Gesetzeskenntnis die Ware ist, die
er für Geld und möglichst viel Geld verkauft. Die Einnahmen, die solchen
findigen Geschäftsleuten zufließe», sind so gewaltig, daß dagegen der Gehalt
des Reichsgerichtspräsidenten gering erscheint. Gewiß erreichen nicht viele und
durchaus nicht alle fähigen oder gerade die fähigsten solche Einnahmen, ja
mancher Anwalt in Berlin hat sogar hart ums Dasein zu kämpfen. Bei den
höchst mangelhaften Banlichkeite» der Justizverwaltung in Berlin ist so ein
junger Anwalt, der treppauf treppab laufen muß, an einem Tage vielleicht
vo» der Königsstraße nach Moabit, von Moabit nach der Neuen Friedrichs¬
straße oder nach dem Tempelhofer Ufer gehetzt wird, uicht zu beneiden, zumal
wenn ihm »ur kärglicher Lob» dafür wird; aber auch die in ihren Einnahmen
zurückbleiben, sind immer eine Gefahr für das Recht und das Verhältnis zu
den Richtern, denn je „schneidiger" sich bei öffentlichen Verba»dluuge» ein


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[0527] Richter und Anwalt je eine» Richter kommen, wobei noch zu bedenken ist, daß fast ein Drittel der Richter, nämlich die, denen die freiwillige Gerichtsbarkeit obliegt, mit den Anwälte» »ur wenig zu thun haben. Und das wird noch anwachsen! Nehmen nur einmal den Zustand von 1885 beim Landgericht und Amtsgericht I. Damals waren als Richter einschließlich der Präsidenten und Direktoren 164 Richter; als Anwälte waren zugelassen 229 (darunter »9 jüdische). Die Richter sind in den zehn Jahren vermehrt worden um 12». Die Zahl der Anwälte hat sich vermehrt um 292, also um mehr als das Doppelte gegen die Vermehrung der Richter! Der Prozentsatz der jüdischen Anwälte betrug damals 39 Prozent, er hat sich also vermehrt um 15 Prozent! Diese Zahlen sprechen für sich selbst, besonders wenn man berücksichtigt, daß der Prozentsatz der jüdischen Gesamtbevölkerung Berlins ganz »iedrig ist. Er betrug: 1864 8,46 Prozent 1867 3,93 1871 4,86 1875 4,70 1880 4,30 „ 1885 4,89 1890 5,03 für 1895 ist er noch uicht festgestellt, wird aber kaum 5,50 Prozent erreiche», er ist in dreißig Jahren »ur »in etwa 2 Prozent gewachsen. Daß dem gegen¬ über der Prozentsatz der jüdische» Anwälte sowohl als ihr Anwachsen ganz unverhältnismäßig und deshalb für das Ganze gefährlich ist, bedarf wohl keines Beweises. Das kaun jedenfalls nicht geleugnet werden, daß in Berlin mit der übermäßige» Anzahl der Anwälte überhaupt der Konkurrenzkampf unter ihnen immer erbitterter werden muß zum Nachteil des Rechts, daß der Anwalt immer welliger bleibt, was er nach unsrer deutsche» Rechtseutwicklung sei» und bleiben müßte: ein Anwalt des Rechts, und immer mehr zum Ge¬ schäftsmann wird, dem sein Wissen, seine Gesetzeskenntnis die Ware ist, die er für Geld und möglichst viel Geld verkauft. Die Einnahmen, die solchen findigen Geschäftsleuten zufließe», sind so gewaltig, daß dagegen der Gehalt des Reichsgerichtspräsidenten gering erscheint. Gewiß erreichen nicht viele und durchaus nicht alle fähigen oder gerade die fähigsten solche Einnahmen, ja mancher Anwalt in Berlin hat sogar hart ums Dasein zu kämpfen. Bei den höchst mangelhaften Banlichkeite» der Justizverwaltung in Berlin ist so ein junger Anwalt, der treppauf treppab laufen muß, an einem Tage vielleicht vo» der Königsstraße nach Moabit, von Moabit nach der Neuen Friedrichs¬ straße oder nach dem Tempelhofer Ufer gehetzt wird, uicht zu beneiden, zumal wenn ihm »ur kärglicher Lob» dafür wird; aber auch die in ihren Einnahmen zurückbleiben, sind immer eine Gefahr für das Recht und das Verhältnis zu den Richtern, denn je „schneidiger" sich bei öffentlichen Verba»dluuge» ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/527>, abgerufen am 01.09.2024.