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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Richter und Anwalt

andre Laufbahn verschlossen ist. In den staatlichen Verwaltungen wird man
aber nie ans einen höhern Beamten jüdischer Religion, auch verhältnismäßig
selten auf getaufte Juden treffen, ebenso wenig in den untern Stellungen.
Dort freilich wohl wegen der mangelhaften Bezahlung und des geringen Ein¬
flusses. Zu billigen ist unsers Erachtens diese thatsächliche Ausschließung der
Juden aus dem größten Teil der Verwaltung vom rechtlichen Standpunkte
nicht. Solange der Staat von seinen jüdischen Bürgern gleiche Pflichten ver¬
langt, muß er ihnen auch gleiche Rechte gewähren. Theoretisch thut er es
anch, kein Gesetz schließt aus, daß sich ein Jude zur Verwaltnngskarriere oder
zur Forstkarriere melde. Aber wenn überhaupt Meldungen junger jüdischer
Juristen für Verwaltuugslaufbahneu eingehen, so werden es doch nur sehr
wenig sein. Warum? Weil wohl mit Recht vorausgesetzt wird, daß die
Meldenden doch nicht angenommen werden, dann aber auch, weil die gesell¬
schaftliche und kollegiale Stellung den jüngern Kollegen gegenüber eine uner¬
trägliche werden würde. Die Präsidenten der Oberlandcsgerichte aber nehmen
jeden jüdischen Rechtskandidaten um, sobald er den gesetzlichen Erfordernissen
genügt, und mit Recht, denn ihre Richtschnur ist das Gesetz und nur das
Gesetz, vor dem persönliche Zu- oder Abneigung schweigen muß. Und die
kollegiale Stellung der jüdischen Referendare, Assessoren, Richter, ist sie besser,
als sie bei der Verwaltung sein würde? Bis vor etwa zehn Jahren war sie
es gewiß. Die vorhandnen jüdischen Richter gehören jedenfalls nicht zu den
untüchtigen, man darf behaupten, daß sie sich fast ohne Ausnahme selbst in
der Stellung als Amtsrichter, die ihnen mannichfache Schwierigkeiten bietet,
Geltung und Achtung zu erringen wissen, und daß sie bei den Landgerichten usw.
geschätzte Mitglieder sind. Im letzten Jahrzehnt hat aber infolge der deutsch-
nntivnalen Bewegung auf den Hochschulen der Antisemitismus auch Eingang
in die ihm lange verschlossenen Nichterkrcise gefunden. Unter deu Referendaren
und Assessoren begegnet der jüdische Kollege jetzt immer mehr im besten Fall
kalter Höflichkeit, wird aber sonst gesellschaftlich bohkottirt. Dem ältern Ge¬
schlecht, das der Ansicht ist, daß gleichen Pflichten auch gleiche Rechte gebühren,
will solch uukvllegialisches Treiben nicht recht erscheinen; aber gegen den Zug
der Zeit ist auch hier schwer cmzukämpse". So kommt es, daß sich die jüdischen
Referendare und Assessoren nach den großen Städten ziehen, wo ihre gesell¬
schaftliche Isolirung weniger fühlbar wird, daß immer weniger von ihnen auf
eine Anstellung als Richter warten, und daß sie schließlich, soweit sie nicht bei
Banken und größern Jndustrieunternehmuugcn ankommen, vorzugsweise zur
Rechtsanwaltschaft gehe", zu der sie ihr tüchtiges Wisse,? und ihr scharfer Ver¬
stand hervorragend befähigt, in der sich aber auch die Schattenseiten ihrer
Natur in hohem Grade geltend machen können, und in die sie von Anfang an
und ganz natürlich die Absicht mitbringen, den Richtern die mannichfach er¬
littenen gesellschaftlichen Zurücksetzungen bei jeder passenden Gelegenheit nach


Richter und Anwalt

andre Laufbahn verschlossen ist. In den staatlichen Verwaltungen wird man
aber nie ans einen höhern Beamten jüdischer Religion, auch verhältnismäßig
selten auf getaufte Juden treffen, ebenso wenig in den untern Stellungen.
Dort freilich wohl wegen der mangelhaften Bezahlung und des geringen Ein¬
flusses. Zu billigen ist unsers Erachtens diese thatsächliche Ausschließung der
Juden aus dem größten Teil der Verwaltung vom rechtlichen Standpunkte
nicht. Solange der Staat von seinen jüdischen Bürgern gleiche Pflichten ver¬
langt, muß er ihnen auch gleiche Rechte gewähren. Theoretisch thut er es
anch, kein Gesetz schließt aus, daß sich ein Jude zur Verwaltnngskarriere oder
zur Forstkarriere melde. Aber wenn überhaupt Meldungen junger jüdischer
Juristen für Verwaltuugslaufbahneu eingehen, so werden es doch nur sehr
wenig sein. Warum? Weil wohl mit Recht vorausgesetzt wird, daß die
Meldenden doch nicht angenommen werden, dann aber auch, weil die gesell¬
schaftliche und kollegiale Stellung den jüngern Kollegen gegenüber eine uner¬
trägliche werden würde. Die Präsidenten der Oberlandcsgerichte aber nehmen
jeden jüdischen Rechtskandidaten um, sobald er den gesetzlichen Erfordernissen
genügt, und mit Recht, denn ihre Richtschnur ist das Gesetz und nur das
Gesetz, vor dem persönliche Zu- oder Abneigung schweigen muß. Und die
kollegiale Stellung der jüdischen Referendare, Assessoren, Richter, ist sie besser,
als sie bei der Verwaltung sein würde? Bis vor etwa zehn Jahren war sie
es gewiß. Die vorhandnen jüdischen Richter gehören jedenfalls nicht zu den
untüchtigen, man darf behaupten, daß sie sich fast ohne Ausnahme selbst in
der Stellung als Amtsrichter, die ihnen mannichfache Schwierigkeiten bietet,
Geltung und Achtung zu erringen wissen, und daß sie bei den Landgerichten usw.
geschätzte Mitglieder sind. Im letzten Jahrzehnt hat aber infolge der deutsch-
nntivnalen Bewegung auf den Hochschulen der Antisemitismus auch Eingang
in die ihm lange verschlossenen Nichterkrcise gefunden. Unter deu Referendaren
und Assessoren begegnet der jüdische Kollege jetzt immer mehr im besten Fall
kalter Höflichkeit, wird aber sonst gesellschaftlich bohkottirt. Dem ältern Ge¬
schlecht, das der Ansicht ist, daß gleichen Pflichten auch gleiche Rechte gebühren,
will solch uukvllegialisches Treiben nicht recht erscheinen; aber gegen den Zug
der Zeit ist auch hier schwer cmzukämpse». So kommt es, daß sich die jüdischen
Referendare und Assessoren nach den großen Städten ziehen, wo ihre gesell¬
schaftliche Isolirung weniger fühlbar wird, daß immer weniger von ihnen auf
eine Anstellung als Richter warten, und daß sie schließlich, soweit sie nicht bei
Banken und größern Jndustrieunternehmuugcn ankommen, vorzugsweise zur
Rechtsanwaltschaft gehe», zu der sie ihr tüchtiges Wisse,? und ihr scharfer Ver¬
stand hervorragend befähigt, in der sich aber auch die Schattenseiten ihrer
Natur in hohem Grade geltend machen können, und in die sie von Anfang an
und ganz natürlich die Absicht mitbringen, den Richtern die mannichfach er¬
littenen gesellschaftlichen Zurücksetzungen bei jeder passenden Gelegenheit nach


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[0524] Richter und Anwalt andre Laufbahn verschlossen ist. In den staatlichen Verwaltungen wird man aber nie ans einen höhern Beamten jüdischer Religion, auch verhältnismäßig selten auf getaufte Juden treffen, ebenso wenig in den untern Stellungen. Dort freilich wohl wegen der mangelhaften Bezahlung und des geringen Ein¬ flusses. Zu billigen ist unsers Erachtens diese thatsächliche Ausschließung der Juden aus dem größten Teil der Verwaltung vom rechtlichen Standpunkte nicht. Solange der Staat von seinen jüdischen Bürgern gleiche Pflichten ver¬ langt, muß er ihnen auch gleiche Rechte gewähren. Theoretisch thut er es anch, kein Gesetz schließt aus, daß sich ein Jude zur Verwaltnngskarriere oder zur Forstkarriere melde. Aber wenn überhaupt Meldungen junger jüdischer Juristen für Verwaltuugslaufbahneu eingehen, so werden es doch nur sehr wenig sein. Warum? Weil wohl mit Recht vorausgesetzt wird, daß die Meldenden doch nicht angenommen werden, dann aber auch, weil die gesell¬ schaftliche und kollegiale Stellung den jüngern Kollegen gegenüber eine uner¬ trägliche werden würde. Die Präsidenten der Oberlandcsgerichte aber nehmen jeden jüdischen Rechtskandidaten um, sobald er den gesetzlichen Erfordernissen genügt, und mit Recht, denn ihre Richtschnur ist das Gesetz und nur das Gesetz, vor dem persönliche Zu- oder Abneigung schweigen muß. Und die kollegiale Stellung der jüdischen Referendare, Assessoren, Richter, ist sie besser, als sie bei der Verwaltung sein würde? Bis vor etwa zehn Jahren war sie es gewiß. Die vorhandnen jüdischen Richter gehören jedenfalls nicht zu den untüchtigen, man darf behaupten, daß sie sich fast ohne Ausnahme selbst in der Stellung als Amtsrichter, die ihnen mannichfache Schwierigkeiten bietet, Geltung und Achtung zu erringen wissen, und daß sie bei den Landgerichten usw. geschätzte Mitglieder sind. Im letzten Jahrzehnt hat aber infolge der deutsch- nntivnalen Bewegung auf den Hochschulen der Antisemitismus auch Eingang in die ihm lange verschlossenen Nichterkrcise gefunden. Unter deu Referendaren und Assessoren begegnet der jüdische Kollege jetzt immer mehr im besten Fall kalter Höflichkeit, wird aber sonst gesellschaftlich bohkottirt. Dem ältern Ge¬ schlecht, das der Ansicht ist, daß gleichen Pflichten auch gleiche Rechte gebühren, will solch uukvllegialisches Treiben nicht recht erscheinen; aber gegen den Zug der Zeit ist auch hier schwer cmzukämpse». So kommt es, daß sich die jüdischen Referendare und Assessoren nach den großen Städten ziehen, wo ihre gesell¬ schaftliche Isolirung weniger fühlbar wird, daß immer weniger von ihnen auf eine Anstellung als Richter warten, und daß sie schließlich, soweit sie nicht bei Banken und größern Jndustrieunternehmuugcn ankommen, vorzugsweise zur Rechtsanwaltschaft gehe», zu der sie ihr tüchtiges Wisse,? und ihr scharfer Ver¬ stand hervorragend befähigt, in der sich aber auch die Schattenseiten ihrer Natur in hohem Grade geltend machen können, und in die sie von Anfang an und ganz natürlich die Absicht mitbringen, den Richtern die mannichfach er¬ littenen gesellschaftlichen Zurücksetzungen bei jeder passenden Gelegenheit nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/524>, abgerufen am 01.09.2024.