Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Richter und Anwalt

Gegensatz, in den der Anwalt immer mehr zum Richter tritt, und der schon
jetzt zu sörmlicher Feindschaft ausartet. Die Ausbrüche dieser Feindschaft
kommen in Berichten hauptstädtischer Zeitungen ab und zu zur Kenntnis des
großen Publikums; viel häufiger verhallen sie in den Räumen der Gerichts¬
zimmer, aber immer hinterlassen sie eine steigende gegenseitige Verbitterung.

Wie sich das Wesen der Anwaltschaft in Preußen seit fünfzig Jahren
geändert hat, wird sofort klar, wenn mau sich das Bild eiues preußischen
Justizkommissarius der vierziger Jahre vergegenwärtigt und ihm das eines
modernen Rechtsauwalts von -- um sagen wir von dem Typus des Fritz
Friedmann gegenüberstellt. Jener ein etwas steifer, trockner, grober Herr,
selten von größerer allgemeiner Bildung, aber sehr ehrenwert, dieser ein geist-
uud kenntnisreicher, über alles absprechend urteilender Herr, aber seiner Klientel
gegenüber ein höchst geschmeidiger Lebemann, richtiger vivzur, da das deutsche
Wort das Gemeinte nicht völlig deckt; jener sestsitzend in einer ihm vom Staate
zugewiesenen, aber fast immer örtlich beschränkten Praxis, dieser darauf an¬
gewiesen, sein Leben, an das er große Ansprüche macht, durch erbitterten Kampf
gegen die Konkurrenz zu gewinnen, und seine Thätigkeit auf alles Erreichbare
ausdehnend.

Dem Justizkommissar folgte in den fünfziger Jahren der Rechtsanwalt
und Notar. Auch dieser war vom Staate angestellt, meist schon in reifern
Jahren, es war ihm ein bestimmter Bezirk, ein bestimmter Gerichtshof zuge¬
wiesen, und auch jetzt noch ging die Praxis selten über diesen Bezirk hinaus.
Schärfer schon wurde der Kampf gegen die Konkurrenz der andern Kollegen.
Immerhin war die Zahl der bei einem Gericht angestellten Anwälte nur niedrig,
und so war die Gegenpartei in der Auswahl ihres Vertreters auf eine oder
doch nur wenige Personen beschränkt, die Praxis also auch hier noch immer
ohne großen Kampf gesichert. Auch dieser Rechtsanwalt und Notar fühlte
sich als Beamter der Rechtspflege, und so entspann sich durch langjähriges
Zusammenwirken an einem Gerichtshofe zwischen den Richtern und deu An¬
wälten, soweit uicht persönliche Differenzen vorkamen, die aber im amtlichen
Verkehr streng unterdrückt wurden, häusig, ja meistens ein gutes Verhältnis
von Kollegialität.

Diese auch heute noch zahlreich vorhandnen Anwälte zeigen in der Führung
ihres Amts und ihres Lebens durchschnittlich ein andres Wesen, als das ihnen
jetzt nach Freigebung der Advokatur nachrückende junge Geschlecht, das ihnen
die Praxis bedrängt und ihre früher gesicherten Einnahmen bedroht. Ein Teil
dieser ältern Anwälte giebt den Kampf gegen die Jüngern auf und zehrt von
den Resten der frühern Praxis, die immer mehr abbröckelt, ein andrer Teil
kämpft weiter, indem er sich den Geschäftsbetrieb der Jüngern anzueignen sucht,
sich auch wohl mit einem von ihnen verbindet, wobei er uicht ohne bitteres
Gefühl sieht, daß er es doch nicht so recht versteht, ein kleiner Teil endlich


Richter und Anwalt

Gegensatz, in den der Anwalt immer mehr zum Richter tritt, und der schon
jetzt zu sörmlicher Feindschaft ausartet. Die Ausbrüche dieser Feindschaft
kommen in Berichten hauptstädtischer Zeitungen ab und zu zur Kenntnis des
großen Publikums; viel häufiger verhallen sie in den Räumen der Gerichts¬
zimmer, aber immer hinterlassen sie eine steigende gegenseitige Verbitterung.

Wie sich das Wesen der Anwaltschaft in Preußen seit fünfzig Jahren
geändert hat, wird sofort klar, wenn mau sich das Bild eiues preußischen
Justizkommissarius der vierziger Jahre vergegenwärtigt und ihm das eines
modernen Rechtsauwalts von — um sagen wir von dem Typus des Fritz
Friedmann gegenüberstellt. Jener ein etwas steifer, trockner, grober Herr,
selten von größerer allgemeiner Bildung, aber sehr ehrenwert, dieser ein geist-
uud kenntnisreicher, über alles absprechend urteilender Herr, aber seiner Klientel
gegenüber ein höchst geschmeidiger Lebemann, richtiger vivzur, da das deutsche
Wort das Gemeinte nicht völlig deckt; jener sestsitzend in einer ihm vom Staate
zugewiesenen, aber fast immer örtlich beschränkten Praxis, dieser darauf an¬
gewiesen, sein Leben, an das er große Ansprüche macht, durch erbitterten Kampf
gegen die Konkurrenz zu gewinnen, und seine Thätigkeit auf alles Erreichbare
ausdehnend.

Dem Justizkommissar folgte in den fünfziger Jahren der Rechtsanwalt
und Notar. Auch dieser war vom Staate angestellt, meist schon in reifern
Jahren, es war ihm ein bestimmter Bezirk, ein bestimmter Gerichtshof zuge¬
wiesen, und auch jetzt noch ging die Praxis selten über diesen Bezirk hinaus.
Schärfer schon wurde der Kampf gegen die Konkurrenz der andern Kollegen.
Immerhin war die Zahl der bei einem Gericht angestellten Anwälte nur niedrig,
und so war die Gegenpartei in der Auswahl ihres Vertreters auf eine oder
doch nur wenige Personen beschränkt, die Praxis also auch hier noch immer
ohne großen Kampf gesichert. Auch dieser Rechtsanwalt und Notar fühlte
sich als Beamter der Rechtspflege, und so entspann sich durch langjähriges
Zusammenwirken an einem Gerichtshofe zwischen den Richtern und deu An¬
wälten, soweit uicht persönliche Differenzen vorkamen, die aber im amtlichen
Verkehr streng unterdrückt wurden, häusig, ja meistens ein gutes Verhältnis
von Kollegialität.

Diese auch heute noch zahlreich vorhandnen Anwälte zeigen in der Führung
ihres Amts und ihres Lebens durchschnittlich ein andres Wesen, als das ihnen
jetzt nach Freigebung der Advokatur nachrückende junge Geschlecht, das ihnen
die Praxis bedrängt und ihre früher gesicherten Einnahmen bedroht. Ein Teil
dieser ältern Anwälte giebt den Kampf gegen die Jüngern auf und zehrt von
den Resten der frühern Praxis, die immer mehr abbröckelt, ein andrer Teil
kämpft weiter, indem er sich den Geschäftsbetrieb der Jüngern anzueignen sucht,
sich auch wohl mit einem von ihnen verbindet, wobei er uicht ohne bitteres
Gefühl sieht, daß er es doch nicht so recht versteht, ein kleiner Teil endlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222166"/>
          <fw type="header" place="top"> Richter und Anwalt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1724" prev="#ID_1723"> Gegensatz, in den der Anwalt immer mehr zum Richter tritt, und der schon<lb/>
jetzt zu sörmlicher Feindschaft ausartet. Die Ausbrüche dieser Feindschaft<lb/>
kommen in Berichten hauptstädtischer Zeitungen ab und zu zur Kenntnis des<lb/>
großen Publikums; viel häufiger verhallen sie in den Räumen der Gerichts¬<lb/>
zimmer, aber immer hinterlassen sie eine steigende gegenseitige Verbitterung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1725"> Wie sich das Wesen der Anwaltschaft in Preußen seit fünfzig Jahren<lb/>
geändert hat, wird sofort klar, wenn mau sich das Bild eiues preußischen<lb/>
Justizkommissarius der vierziger Jahre vergegenwärtigt und ihm das eines<lb/>
modernen Rechtsauwalts von &#x2014; um sagen wir von dem Typus des Fritz<lb/>
Friedmann gegenüberstellt. Jener ein etwas steifer, trockner, grober Herr,<lb/>
selten von größerer allgemeiner Bildung, aber sehr ehrenwert, dieser ein geist-<lb/>
uud kenntnisreicher, über alles absprechend urteilender Herr, aber seiner Klientel<lb/>
gegenüber ein höchst geschmeidiger Lebemann, richtiger vivzur, da das deutsche<lb/>
Wort das Gemeinte nicht völlig deckt; jener sestsitzend in einer ihm vom Staate<lb/>
zugewiesenen, aber fast immer örtlich beschränkten Praxis, dieser darauf an¬<lb/>
gewiesen, sein Leben, an das er große Ansprüche macht, durch erbitterten Kampf<lb/>
gegen die Konkurrenz zu gewinnen, und seine Thätigkeit auf alles Erreichbare<lb/>
ausdehnend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1726"> Dem Justizkommissar folgte in den fünfziger Jahren der Rechtsanwalt<lb/>
und Notar. Auch dieser war vom Staate angestellt, meist schon in reifern<lb/>
Jahren, es war ihm ein bestimmter Bezirk, ein bestimmter Gerichtshof zuge¬<lb/>
wiesen, und auch jetzt noch ging die Praxis selten über diesen Bezirk hinaus.<lb/>
Schärfer schon wurde der Kampf gegen die Konkurrenz der andern Kollegen.<lb/>
Immerhin war die Zahl der bei einem Gericht angestellten Anwälte nur niedrig,<lb/>
und so war die Gegenpartei in der Auswahl ihres Vertreters auf eine oder<lb/>
doch nur wenige Personen beschränkt, die Praxis also auch hier noch immer<lb/>
ohne großen Kampf gesichert. Auch dieser Rechtsanwalt und Notar fühlte<lb/>
sich als Beamter der Rechtspflege, und so entspann sich durch langjähriges<lb/>
Zusammenwirken an einem Gerichtshofe zwischen den Richtern und deu An¬<lb/>
wälten, soweit uicht persönliche Differenzen vorkamen, die aber im amtlichen<lb/>
Verkehr streng unterdrückt wurden, häusig, ja meistens ein gutes Verhältnis<lb/>
von Kollegialität.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1727" next="#ID_1728"> Diese auch heute noch zahlreich vorhandnen Anwälte zeigen in der Führung<lb/>
ihres Amts und ihres Lebens durchschnittlich ein andres Wesen, als das ihnen<lb/>
jetzt nach Freigebung der Advokatur nachrückende junge Geschlecht, das ihnen<lb/>
die Praxis bedrängt und ihre früher gesicherten Einnahmen bedroht. Ein Teil<lb/>
dieser ältern Anwälte giebt den Kampf gegen die Jüngern auf und zehrt von<lb/>
den Resten der frühern Praxis, die immer mehr abbröckelt, ein andrer Teil<lb/>
kämpft weiter, indem er sich den Geschäftsbetrieb der Jüngern anzueignen sucht,<lb/>
sich auch wohl mit einem von ihnen verbindet, wobei er uicht ohne bitteres<lb/>
Gefühl sieht, daß er es doch nicht so recht versteht, ein kleiner Teil endlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Richter und Anwalt Gegensatz, in den der Anwalt immer mehr zum Richter tritt, und der schon jetzt zu sörmlicher Feindschaft ausartet. Die Ausbrüche dieser Feindschaft kommen in Berichten hauptstädtischer Zeitungen ab und zu zur Kenntnis des großen Publikums; viel häufiger verhallen sie in den Räumen der Gerichts¬ zimmer, aber immer hinterlassen sie eine steigende gegenseitige Verbitterung. Wie sich das Wesen der Anwaltschaft in Preußen seit fünfzig Jahren geändert hat, wird sofort klar, wenn mau sich das Bild eiues preußischen Justizkommissarius der vierziger Jahre vergegenwärtigt und ihm das eines modernen Rechtsauwalts von — um sagen wir von dem Typus des Fritz Friedmann gegenüberstellt. Jener ein etwas steifer, trockner, grober Herr, selten von größerer allgemeiner Bildung, aber sehr ehrenwert, dieser ein geist- uud kenntnisreicher, über alles absprechend urteilender Herr, aber seiner Klientel gegenüber ein höchst geschmeidiger Lebemann, richtiger vivzur, da das deutsche Wort das Gemeinte nicht völlig deckt; jener sestsitzend in einer ihm vom Staate zugewiesenen, aber fast immer örtlich beschränkten Praxis, dieser darauf an¬ gewiesen, sein Leben, an das er große Ansprüche macht, durch erbitterten Kampf gegen die Konkurrenz zu gewinnen, und seine Thätigkeit auf alles Erreichbare ausdehnend. Dem Justizkommissar folgte in den fünfziger Jahren der Rechtsanwalt und Notar. Auch dieser war vom Staate angestellt, meist schon in reifern Jahren, es war ihm ein bestimmter Bezirk, ein bestimmter Gerichtshof zuge¬ wiesen, und auch jetzt noch ging die Praxis selten über diesen Bezirk hinaus. Schärfer schon wurde der Kampf gegen die Konkurrenz der andern Kollegen. Immerhin war die Zahl der bei einem Gericht angestellten Anwälte nur niedrig, und so war die Gegenpartei in der Auswahl ihres Vertreters auf eine oder doch nur wenige Personen beschränkt, die Praxis also auch hier noch immer ohne großen Kampf gesichert. Auch dieser Rechtsanwalt und Notar fühlte sich als Beamter der Rechtspflege, und so entspann sich durch langjähriges Zusammenwirken an einem Gerichtshofe zwischen den Richtern und deu An¬ wälten, soweit uicht persönliche Differenzen vorkamen, die aber im amtlichen Verkehr streng unterdrückt wurden, häusig, ja meistens ein gutes Verhältnis von Kollegialität. Diese auch heute noch zahlreich vorhandnen Anwälte zeigen in der Führung ihres Amts und ihres Lebens durchschnittlich ein andres Wesen, als das ihnen jetzt nach Freigebung der Advokatur nachrückende junge Geschlecht, das ihnen die Praxis bedrängt und ihre früher gesicherten Einnahmen bedroht. Ein Teil dieser ältern Anwälte giebt den Kampf gegen die Jüngern auf und zehrt von den Resten der frühern Praxis, die immer mehr abbröckelt, ein andrer Teil kämpft weiter, indem er sich den Geschäftsbetrieb der Jüngern anzueignen sucht, sich auch wohl mit einem von ihnen verbindet, wobei er uicht ohne bitteres Gefühl sieht, daß er es doch nicht so recht versteht, ein kleiner Teil endlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/520>, abgerufen am 01.09.2024.