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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Tandarbeiter in England

Städten oder in sogenannten Dörfern liegen, auf den Grundstücken großer
Landlords. Hasbach teilt mit, daß in der Zeit der hohen Armensteuer viele
Landlords ihre ganze Steuerleistung von den Armen selbst in Gestalt von
Hausrente wiedererhalten haben.

Fünftens sehen wir auch bei Hasbach, wie auf der Loslösung der kleinen
Besitzer und Pächter vom Boden der ganze heutige Gesellschaftszustand Eng¬
lands ruht. Die Scharen der proletarisirten Nachkommen der ländlichen Be¬
völkerung mußten in die Städte zusammenströmen, und sie machten die Aus¬
dehnung der Industrie sowohl notwendig als auch -- durch das reichliche
Angebot billiger Arbeit -- lohnend. Lohnend aber, und sogar schon möglich,
nur unter der Voraussetzung des Exports, da die ländliche Bevölkerung die
Erzeugnisse der heimischen Industrie desto weniger zu verdauen vermochte, je
spärlicher und je proletarischer sie wurde. Und nachdem sich die englische
Exportindustrie ins Maßlose ausgedehnt hat, kann der Getreideimport nicht
mehr entbehrt werden, nicht bloß weil die englische Landwirtschaft den Bedarf
der Jndustriebevölkerung selbst bei intensivster Ausbeutung aller landwirt¬
schaftlich verwertbaren Flächen nicht mehr zu decken vermöchte, was von Theo¬
retikern angefochten wird, sondern noch aus einem andern Grunde, den unsers
Wissens vor Hasbach noch niemand hervorgehoben hat: wenn England nicht
ungeheure Massen Nahrungsmittel einführte, womit sollten denn da seine
Zndustrieartikel bezahlt werden? Die Agrarstaaten, nach denen es vorzugsweise
exportirt, können doch uur mit Lebensmitteln und Rohstoffen zahlen; die Roh¬
stoffe aber reichen zur Bezahlung nicht hin. Also England würde einen Teil
seines Exports und ein Teil seiner Arbeiterbevölkerung würde sein Einkommen
verlieren, wenn seine Exportwaren nicht zu einem großen Teil mit Lebens¬
mitteln bezahlt werden könnten. Die Einsicht in diese Verhältnisse ist i" Eng¬
land zu allgemein verbreitet, als daß dort noch einmal eine Agrarierbewegung
nach dem Muster unsrer deutschen Einfluß gewinnen könnte. Die englischen
Pächter und Landlords seufzen und klagen gleich den unsern und spinnen
wie diese schutzzöllnerische und bimetallistische Hirngespinste, aber sie wissen,
daß das Hirngespinste sind, und denken nicht daran, damit ernsthaft Politik
zu treiben. Selbst sieben bimetallistische Minister bilden noch kein bimctal-
listisches Ministerium.

Sechstens findet auch Hasbach, und zwar durch genaue Berechnungen,
daß die Landwirtschaft beim Großbetrieb nicht mehr, sondern weniger Erzeug¬
nisse liefert als beim Kleinbetrieb. Der Großbetrieb liefert einen größern
Überschuß, das heißt: wenn er auf derselben Fläche dieselbe Lebensmittelmenge
erzeugt wie eine Anzahl von Kleinbetrieben, so geschieht es mit einer geringern
Arbeiterzahl, sodaß also für den Verkauf mehr übrig bleibt. Und deswegen
fördern landwirtschaftlicher Großbetrieb und Großstadt einander gegenseitig; in
demselben Maße wie der eine, muß auch die andre wachsen. Die durch Zu-


Grenzboten I 1396 64
Grundbesitz, Landwirtschaft und Tandarbeiter in England

Städten oder in sogenannten Dörfern liegen, auf den Grundstücken großer
Landlords. Hasbach teilt mit, daß in der Zeit der hohen Armensteuer viele
Landlords ihre ganze Steuerleistung von den Armen selbst in Gestalt von
Hausrente wiedererhalten haben.

Fünftens sehen wir auch bei Hasbach, wie auf der Loslösung der kleinen
Besitzer und Pächter vom Boden der ganze heutige Gesellschaftszustand Eng¬
lands ruht. Die Scharen der proletarisirten Nachkommen der ländlichen Be¬
völkerung mußten in die Städte zusammenströmen, und sie machten die Aus¬
dehnung der Industrie sowohl notwendig als auch — durch das reichliche
Angebot billiger Arbeit — lohnend. Lohnend aber, und sogar schon möglich,
nur unter der Voraussetzung des Exports, da die ländliche Bevölkerung die
Erzeugnisse der heimischen Industrie desto weniger zu verdauen vermochte, je
spärlicher und je proletarischer sie wurde. Und nachdem sich die englische
Exportindustrie ins Maßlose ausgedehnt hat, kann der Getreideimport nicht
mehr entbehrt werden, nicht bloß weil die englische Landwirtschaft den Bedarf
der Jndustriebevölkerung selbst bei intensivster Ausbeutung aller landwirt¬
schaftlich verwertbaren Flächen nicht mehr zu decken vermöchte, was von Theo¬
retikern angefochten wird, sondern noch aus einem andern Grunde, den unsers
Wissens vor Hasbach noch niemand hervorgehoben hat: wenn England nicht
ungeheure Massen Nahrungsmittel einführte, womit sollten denn da seine
Zndustrieartikel bezahlt werden? Die Agrarstaaten, nach denen es vorzugsweise
exportirt, können doch uur mit Lebensmitteln und Rohstoffen zahlen; die Roh¬
stoffe aber reichen zur Bezahlung nicht hin. Also England würde einen Teil
seines Exports und ein Teil seiner Arbeiterbevölkerung würde sein Einkommen
verlieren, wenn seine Exportwaren nicht zu einem großen Teil mit Lebens¬
mitteln bezahlt werden könnten. Die Einsicht in diese Verhältnisse ist i« Eng¬
land zu allgemein verbreitet, als daß dort noch einmal eine Agrarierbewegung
nach dem Muster unsrer deutschen Einfluß gewinnen könnte. Die englischen
Pächter und Landlords seufzen und klagen gleich den unsern und spinnen
wie diese schutzzöllnerische und bimetallistische Hirngespinste, aber sie wissen,
daß das Hirngespinste sind, und denken nicht daran, damit ernsthaft Politik
zu treiben. Selbst sieben bimetallistische Minister bilden noch kein bimctal-
listisches Ministerium.

Sechstens findet auch Hasbach, und zwar durch genaue Berechnungen,
daß die Landwirtschaft beim Großbetrieb nicht mehr, sondern weniger Erzeug¬
nisse liefert als beim Kleinbetrieb. Der Großbetrieb liefert einen größern
Überschuß, das heißt: wenn er auf derselben Fläche dieselbe Lebensmittelmenge
erzeugt wie eine Anzahl von Kleinbetrieben, so geschieht es mit einer geringern
Arbeiterzahl, sodaß also für den Verkauf mehr übrig bleibt. Und deswegen
fördern landwirtschaftlicher Großbetrieb und Großstadt einander gegenseitig; in
demselben Maße wie der eine, muß auch die andre wachsen. Die durch Zu-


Grenzboten I 1396 64
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[0513] Grundbesitz, Landwirtschaft und Tandarbeiter in England Städten oder in sogenannten Dörfern liegen, auf den Grundstücken großer Landlords. Hasbach teilt mit, daß in der Zeit der hohen Armensteuer viele Landlords ihre ganze Steuerleistung von den Armen selbst in Gestalt von Hausrente wiedererhalten haben. Fünftens sehen wir auch bei Hasbach, wie auf der Loslösung der kleinen Besitzer und Pächter vom Boden der ganze heutige Gesellschaftszustand Eng¬ lands ruht. Die Scharen der proletarisirten Nachkommen der ländlichen Be¬ völkerung mußten in die Städte zusammenströmen, und sie machten die Aus¬ dehnung der Industrie sowohl notwendig als auch — durch das reichliche Angebot billiger Arbeit — lohnend. Lohnend aber, und sogar schon möglich, nur unter der Voraussetzung des Exports, da die ländliche Bevölkerung die Erzeugnisse der heimischen Industrie desto weniger zu verdauen vermochte, je spärlicher und je proletarischer sie wurde. Und nachdem sich die englische Exportindustrie ins Maßlose ausgedehnt hat, kann der Getreideimport nicht mehr entbehrt werden, nicht bloß weil die englische Landwirtschaft den Bedarf der Jndustriebevölkerung selbst bei intensivster Ausbeutung aller landwirt¬ schaftlich verwertbaren Flächen nicht mehr zu decken vermöchte, was von Theo¬ retikern angefochten wird, sondern noch aus einem andern Grunde, den unsers Wissens vor Hasbach noch niemand hervorgehoben hat: wenn England nicht ungeheure Massen Nahrungsmittel einführte, womit sollten denn da seine Zndustrieartikel bezahlt werden? Die Agrarstaaten, nach denen es vorzugsweise exportirt, können doch uur mit Lebensmitteln und Rohstoffen zahlen; die Roh¬ stoffe aber reichen zur Bezahlung nicht hin. Also England würde einen Teil seines Exports und ein Teil seiner Arbeiterbevölkerung würde sein Einkommen verlieren, wenn seine Exportwaren nicht zu einem großen Teil mit Lebens¬ mitteln bezahlt werden könnten. Die Einsicht in diese Verhältnisse ist i« Eng¬ land zu allgemein verbreitet, als daß dort noch einmal eine Agrarierbewegung nach dem Muster unsrer deutschen Einfluß gewinnen könnte. Die englischen Pächter und Landlords seufzen und klagen gleich den unsern und spinnen wie diese schutzzöllnerische und bimetallistische Hirngespinste, aber sie wissen, daß das Hirngespinste sind, und denken nicht daran, damit ernsthaft Politik zu treiben. Selbst sieben bimetallistische Minister bilden noch kein bimctal- listisches Ministerium. Sechstens findet auch Hasbach, und zwar durch genaue Berechnungen, daß die Landwirtschaft beim Großbetrieb nicht mehr, sondern weniger Erzeug¬ nisse liefert als beim Kleinbetrieb. Der Großbetrieb liefert einen größern Überschuß, das heißt: wenn er auf derselben Fläche dieselbe Lebensmittelmenge erzeugt wie eine Anzahl von Kleinbetrieben, so geschieht es mit einer geringern Arbeiterzahl, sodaß also für den Verkauf mehr übrig bleibt. Und deswegen fördern landwirtschaftlicher Großbetrieb und Großstadt einander gegenseitig; in demselben Maße wie der eine, muß auch die andre wachsen. Die durch Zu- Grenzboten I 1396 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/513>, abgerufen am 01.09.2024.