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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Handarbeiter in England

Preis zu verschaffen vermag: schlechte Ernte bei völliger Absperrung des
Landes"; niemand aber, meint er, werde die Rückkehr der Zeiten von 1815
bis 1836 wünschen, wo die englische Arbeiterbevölkerung geradezu an Hungers¬
not litt. Zur Erstrebung hoher Reingewinne und dadurch selbstverständlich
zur Herbeiführung von Krisen wird die kapitalistisch betriebne Landwirtschaft
geradeso wie die Industrie noch besonders durch den Umstand gestachelt, daß
ihr bei guten Aussichten theoretisch unbegrenzte Gewinne winken, und das
stachelt zugleich zu einer ebenfalls unbegrenzten Arbeiterausbeutung, da ja Ver¬
minderung der Produktionskosten ein Hauptmittel zur Erzielung hoher Rein¬
gewinne ist. Kampfmeher schreibt in einer Broschüre "Junker und Bauer":
"Die Magenwünde des Grundherrn bildeten früher gewissermaßen die Grenze
der Ausbeutung seiner hörigen Arbeiter, erst die Produktion für den Markt
gestaltete diese verhältnismäßig günstigen Verhältnisse um."*) Darin unter¬
scheidet sich die Lage der englischen Landwirtschaft von der deutschen, daß dort,
seitdem es fast nur noch Pachtwirtschaften giebt, die Pächter, bei uns dagegen
die Grundeigentümer selbst von den Krisen betroffen werden. Dadurch wird
die Wirkung der Krisen verschärft, was sich darin zeigt, daß die englischen
Landwirte den Marktaussichten rascher folgen als die deutschen durch Ver¬
größerung oder Verringerung der Anbaufläche, durch Vermehrung oder Be¬
schränkung des Viehbestandes, und daß in Krisen englische Pächter in verhältnis¬
mäßig größerer Zahl zu Grunde gehen als deutsche Gutsbesitzer. Der englische
Pächter steht zum renteheischenden Landlord in einem ähnlichen Verhältnis
wie der deutsche Gutsbesitzer zum Hypothekengläubiger. Hasbach hätte erklären
sollen, wie es kommt, daß die Landlords verhältnismäßig wenig von den
Krisen betroffen werden und oft lieber eine Pachtwirtschaft eingehen lassen,
als daß sie die Rente entsprechend herabsetzen. Was sie befähigt, ihre Nenten-
ansprüche entweder durchzusetzen oder ganz auf landwirtschaftliche Rente zu
verzichten, dürften besonders zwei Umstände sein: ihr großer Reichtum, der
zum Teil aus industriellen und Handelsunternehmungen und aus dem Aus¬
land und den Kolonien fließt, sodaß sie den Ausfall einiger Gutspachtzinseu
nicht zu beachten brauchen, und der Umstand, daß sie einen Teil ihres Grund
und Bodens als Bauplätze verwerten können. Selbst die Lumpenviertel Londons
bringen den Lords, denen die Grundstücke gehören, mehr ein, als eine hundertmal
so große mit Weizen bebaute Fläche bei hohen Getreidepreisen bringen würde.
Auch stehen ja die Wohnungen der meisten Industriearbeiter, mögen sie in



*) Wir entnehmen dieses Zitat der Schrift: Die Arbeiterfrage auf dem Lande
und Vorschläge zur Reform des ländlichen Arbeiterwesens. Nach praktischen Erfahrungen
und theoretischen Studien bearbeitet von Hermann Ernst Fiedler, praktischem Landwirt.
Leipzig, Reinhold Werther, 189S. Der Verfasser steht auf unserm Standpunkt und faßt seine
eignen Ersahrungen und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen andrer in einer
ansprechenden und leicht verständlichen Darstellung zusammen.
Grundbesitz, Landwirtschaft und Handarbeiter in England

Preis zu verschaffen vermag: schlechte Ernte bei völliger Absperrung des
Landes"; niemand aber, meint er, werde die Rückkehr der Zeiten von 1815
bis 1836 wünschen, wo die englische Arbeiterbevölkerung geradezu an Hungers¬
not litt. Zur Erstrebung hoher Reingewinne und dadurch selbstverständlich
zur Herbeiführung von Krisen wird die kapitalistisch betriebne Landwirtschaft
geradeso wie die Industrie noch besonders durch den Umstand gestachelt, daß
ihr bei guten Aussichten theoretisch unbegrenzte Gewinne winken, und das
stachelt zugleich zu einer ebenfalls unbegrenzten Arbeiterausbeutung, da ja Ver¬
minderung der Produktionskosten ein Hauptmittel zur Erzielung hoher Rein¬
gewinne ist. Kampfmeher schreibt in einer Broschüre „Junker und Bauer":
„Die Magenwünde des Grundherrn bildeten früher gewissermaßen die Grenze
der Ausbeutung seiner hörigen Arbeiter, erst die Produktion für den Markt
gestaltete diese verhältnismäßig günstigen Verhältnisse um."*) Darin unter¬
scheidet sich die Lage der englischen Landwirtschaft von der deutschen, daß dort,
seitdem es fast nur noch Pachtwirtschaften giebt, die Pächter, bei uns dagegen
die Grundeigentümer selbst von den Krisen betroffen werden. Dadurch wird
die Wirkung der Krisen verschärft, was sich darin zeigt, daß die englischen
Landwirte den Marktaussichten rascher folgen als die deutschen durch Ver¬
größerung oder Verringerung der Anbaufläche, durch Vermehrung oder Be¬
schränkung des Viehbestandes, und daß in Krisen englische Pächter in verhältnis¬
mäßig größerer Zahl zu Grunde gehen als deutsche Gutsbesitzer. Der englische
Pächter steht zum renteheischenden Landlord in einem ähnlichen Verhältnis
wie der deutsche Gutsbesitzer zum Hypothekengläubiger. Hasbach hätte erklären
sollen, wie es kommt, daß die Landlords verhältnismäßig wenig von den
Krisen betroffen werden und oft lieber eine Pachtwirtschaft eingehen lassen,
als daß sie die Rente entsprechend herabsetzen. Was sie befähigt, ihre Nenten-
ansprüche entweder durchzusetzen oder ganz auf landwirtschaftliche Rente zu
verzichten, dürften besonders zwei Umstände sein: ihr großer Reichtum, der
zum Teil aus industriellen und Handelsunternehmungen und aus dem Aus¬
land und den Kolonien fließt, sodaß sie den Ausfall einiger Gutspachtzinseu
nicht zu beachten brauchen, und der Umstand, daß sie einen Teil ihres Grund
und Bodens als Bauplätze verwerten können. Selbst die Lumpenviertel Londons
bringen den Lords, denen die Grundstücke gehören, mehr ein, als eine hundertmal
so große mit Weizen bebaute Fläche bei hohen Getreidepreisen bringen würde.
Auch stehen ja die Wohnungen der meisten Industriearbeiter, mögen sie in



*) Wir entnehmen dieses Zitat der Schrift: Die Arbeiterfrage auf dem Lande
und Vorschläge zur Reform des ländlichen Arbeiterwesens. Nach praktischen Erfahrungen
und theoretischen Studien bearbeitet von Hermann Ernst Fiedler, praktischem Landwirt.
Leipzig, Reinhold Werther, 189S. Der Verfasser steht auf unserm Standpunkt und faßt seine
eignen Ersahrungen und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen andrer in einer
ansprechenden und leicht verständlichen Darstellung zusammen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/512>, abgerufen am 01.09.2024.