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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

15 Pfund Sterling." Hier vermutet man zwar, daß die Wertangabe das bezeichnen
soll, was man in Preußen den Grundsteuerreinertrag nennt, aber warum wird
dann nicht deutlich gesagt: 1 bis 50 Acres oder 1 bis 50 Pfund Sterling
Grundsteuerreinertrag?

Läßt die Form manches zu wünschen übrig, so entschädigt dafür der
reiche Inhalt; das Buch bietet außer einer wertvollen Materialsammlung sehr
beachtenswerte Ansichten und Urteile des Verfassers. Es giebt, über den Titel
hinausgreifend, eine Übersicht der ganzen englischen Agrcirgeschichte der letzten
vierhundert Jahre. Diese Übersicht und die darin enthaltnen Belege aus den
Quellen bestätigen durchaus, was wir selbst gelegentlich und in der Kürze über
englische Agrarverhältnisse vorgebracht haben, namentlich in folgenden Punkten.
Erstens sind die gegenwärtigen englischen Grundbesitzverhältnisse das Ergebnis
eines großartigen Landraubs, der sich beinahe durch vier Jahrhunderte hin¬
durchzieht, und der gewöhnlich mit dem Worte me-Iosui-öL bezeichnet wird, ob¬
wohl nicht alle Einhegungen einen Raub bedeuteten, und obwohl dieser Raub
auch ans andre Weise: durch Pachtkündigungen und Pächteraustreibungen be¬
wirkt worden ist. Die Bezeichnung kam dadurch in Mode, daß sich schon im
Mittelalter der Brauch festsetzte, der bis auf den heutigen Tag beibehalten
worden ist und dem Bilde der englischen Landschaft ihren eigentümlichen Cha¬
rakter aufprägt, jede für den Privatgebrauch von der Gemeindeflur abgesonderte
Acker- oder Wiesenfläche mit einer Hecke zu umziehen; dadurch wurde das,
was die Gemeinde an den Gutsherrn verloren hatte, den Augen sichtbar, und
an diese sichtbaren und fühlbaren Hecken heftete sich die Erbitterung, mit der
die große englische Vauerntragödie die Gemüter des gemeinen Volks in Eng¬
land erfüllt hat. Hasbachs Darstellung weist sehr verschiedne Arten von Ein-
hegungen nach. Der Pächter oder Freibauer hegte den seinem Hofe zunächst
gelegnen Wiesenfleck zur Aufzucht der Kälber ein; bei der Gemeinheitsteilung
wurde die Gesamtheit der dem Bauer zugeschriebnen und sür ihn zusammen¬
gelegten Ackerstücke eingehegt. Der Gutsbesitzer hegte seinen Löwenanteil ein,
den er bei der Separation ergattert, oder die Schafweide, die er nach der Ver¬
treibung seiner Pächter geschaffen hatte. Es wurden zu allen Zeiten ver¬
einzelte Einhegungen lediglich auf Wunsch der Berechtigten vorgenommen, in
mehreren Perioden aber wurden die Einhegungen als eine allgemeine Maßregel
grafschaftenweise durchgeführt. Von den beiden Hauptperioden fällt die eine
ins fünfzehnte und sechzehnte, die andre ins achtzehnte Jahrhundert; in der
ersten diente die Maßregel vorzugsweise der Schafzucht, in der zweiten wurden
mehr Gemeinweiden für den Körnerbau abgesondert, der damals durch ratio¬
nellere Kultur ertragreicher ward. In die erste Periode fiel die Vertreibung
der Klosterpächter, die man sich nicht gewaltsam zu denken hat, sondern nur
als Nichterneuerung des Pachtvertrags, der mit dem Aufhören der klösterlichen
Grundherrschaft als erloschen angesehen wurde. Das war ja juristisch korrekt


Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

15 Pfund Sterling." Hier vermutet man zwar, daß die Wertangabe das bezeichnen
soll, was man in Preußen den Grundsteuerreinertrag nennt, aber warum wird
dann nicht deutlich gesagt: 1 bis 50 Acres oder 1 bis 50 Pfund Sterling
Grundsteuerreinertrag?

Läßt die Form manches zu wünschen übrig, so entschädigt dafür der
reiche Inhalt; das Buch bietet außer einer wertvollen Materialsammlung sehr
beachtenswerte Ansichten und Urteile des Verfassers. Es giebt, über den Titel
hinausgreifend, eine Übersicht der ganzen englischen Agrcirgeschichte der letzten
vierhundert Jahre. Diese Übersicht und die darin enthaltnen Belege aus den
Quellen bestätigen durchaus, was wir selbst gelegentlich und in der Kürze über
englische Agrarverhältnisse vorgebracht haben, namentlich in folgenden Punkten.
Erstens sind die gegenwärtigen englischen Grundbesitzverhältnisse das Ergebnis
eines großartigen Landraubs, der sich beinahe durch vier Jahrhunderte hin¬
durchzieht, und der gewöhnlich mit dem Worte me-Iosui-öL bezeichnet wird, ob¬
wohl nicht alle Einhegungen einen Raub bedeuteten, und obwohl dieser Raub
auch ans andre Weise: durch Pachtkündigungen und Pächteraustreibungen be¬
wirkt worden ist. Die Bezeichnung kam dadurch in Mode, daß sich schon im
Mittelalter der Brauch festsetzte, der bis auf den heutigen Tag beibehalten
worden ist und dem Bilde der englischen Landschaft ihren eigentümlichen Cha¬
rakter aufprägt, jede für den Privatgebrauch von der Gemeindeflur abgesonderte
Acker- oder Wiesenfläche mit einer Hecke zu umziehen; dadurch wurde das,
was die Gemeinde an den Gutsherrn verloren hatte, den Augen sichtbar, und
an diese sichtbaren und fühlbaren Hecken heftete sich die Erbitterung, mit der
die große englische Vauerntragödie die Gemüter des gemeinen Volks in Eng¬
land erfüllt hat. Hasbachs Darstellung weist sehr verschiedne Arten von Ein-
hegungen nach. Der Pächter oder Freibauer hegte den seinem Hofe zunächst
gelegnen Wiesenfleck zur Aufzucht der Kälber ein; bei der Gemeinheitsteilung
wurde die Gesamtheit der dem Bauer zugeschriebnen und sür ihn zusammen¬
gelegten Ackerstücke eingehegt. Der Gutsbesitzer hegte seinen Löwenanteil ein,
den er bei der Separation ergattert, oder die Schafweide, die er nach der Ver¬
treibung seiner Pächter geschaffen hatte. Es wurden zu allen Zeiten ver¬
einzelte Einhegungen lediglich auf Wunsch der Berechtigten vorgenommen, in
mehreren Perioden aber wurden die Einhegungen als eine allgemeine Maßregel
grafschaftenweise durchgeführt. Von den beiden Hauptperioden fällt die eine
ins fünfzehnte und sechzehnte, die andre ins achtzehnte Jahrhundert; in der
ersten diente die Maßregel vorzugsweise der Schafzucht, in der zweiten wurden
mehr Gemeinweiden für den Körnerbau abgesondert, der damals durch ratio¬
nellere Kultur ertragreicher ward. In die erste Periode fiel die Vertreibung
der Klosterpächter, die man sich nicht gewaltsam zu denken hat, sondern nur
als Nichterneuerung des Pachtvertrags, der mit dem Aufhören der klösterlichen
Grundherrschaft als erloschen angesehen wurde. Das war ja juristisch korrekt


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[0506] Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England 15 Pfund Sterling." Hier vermutet man zwar, daß die Wertangabe das bezeichnen soll, was man in Preußen den Grundsteuerreinertrag nennt, aber warum wird dann nicht deutlich gesagt: 1 bis 50 Acres oder 1 bis 50 Pfund Sterling Grundsteuerreinertrag? Läßt die Form manches zu wünschen übrig, so entschädigt dafür der reiche Inhalt; das Buch bietet außer einer wertvollen Materialsammlung sehr beachtenswerte Ansichten und Urteile des Verfassers. Es giebt, über den Titel hinausgreifend, eine Übersicht der ganzen englischen Agrcirgeschichte der letzten vierhundert Jahre. Diese Übersicht und die darin enthaltnen Belege aus den Quellen bestätigen durchaus, was wir selbst gelegentlich und in der Kürze über englische Agrarverhältnisse vorgebracht haben, namentlich in folgenden Punkten. Erstens sind die gegenwärtigen englischen Grundbesitzverhältnisse das Ergebnis eines großartigen Landraubs, der sich beinahe durch vier Jahrhunderte hin¬ durchzieht, und der gewöhnlich mit dem Worte me-Iosui-öL bezeichnet wird, ob¬ wohl nicht alle Einhegungen einen Raub bedeuteten, und obwohl dieser Raub auch ans andre Weise: durch Pachtkündigungen und Pächteraustreibungen be¬ wirkt worden ist. Die Bezeichnung kam dadurch in Mode, daß sich schon im Mittelalter der Brauch festsetzte, der bis auf den heutigen Tag beibehalten worden ist und dem Bilde der englischen Landschaft ihren eigentümlichen Cha¬ rakter aufprägt, jede für den Privatgebrauch von der Gemeindeflur abgesonderte Acker- oder Wiesenfläche mit einer Hecke zu umziehen; dadurch wurde das, was die Gemeinde an den Gutsherrn verloren hatte, den Augen sichtbar, und an diese sichtbaren und fühlbaren Hecken heftete sich die Erbitterung, mit der die große englische Vauerntragödie die Gemüter des gemeinen Volks in Eng¬ land erfüllt hat. Hasbachs Darstellung weist sehr verschiedne Arten von Ein- hegungen nach. Der Pächter oder Freibauer hegte den seinem Hofe zunächst gelegnen Wiesenfleck zur Aufzucht der Kälber ein; bei der Gemeinheitsteilung wurde die Gesamtheit der dem Bauer zugeschriebnen und sür ihn zusammen¬ gelegten Ackerstücke eingehegt. Der Gutsbesitzer hegte seinen Löwenanteil ein, den er bei der Separation ergattert, oder die Schafweide, die er nach der Ver¬ treibung seiner Pächter geschaffen hatte. Es wurden zu allen Zeiten ver¬ einzelte Einhegungen lediglich auf Wunsch der Berechtigten vorgenommen, in mehreren Perioden aber wurden die Einhegungen als eine allgemeine Maßregel grafschaftenweise durchgeführt. Von den beiden Hauptperioden fällt die eine ins fünfzehnte und sechzehnte, die andre ins achtzehnte Jahrhundert; in der ersten diente die Maßregel vorzugsweise der Schafzucht, in der zweiten wurden mehr Gemeinweiden für den Körnerbau abgesondert, der damals durch ratio¬ nellere Kultur ertragreicher ward. In die erste Periode fiel die Vertreibung der Klosterpächter, die man sich nicht gewaltsam zu denken hat, sondern nur als Nichterneuerung des Pachtvertrags, der mit dem Aufhören der klösterlichen Grundherrschaft als erloschen angesehen wurde. Das war ja juristisch korrekt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/506>, abgerufen am 01.09.2024.