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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gegangen war, um Bekanntschaften zu machen, und der mit dem Baron gleich
Freundschaft geschlossen hatte. Der Baron hatte sehr viel Interesse für Landwirt¬
schaft. Er war vor seiner Verheiratung schon auf zwei Höfen bankrott geworden
und konnte deswegen sehr gut Ratschläge erteilen, und Herr Neumann verstand fast
gar nichts von der Bewirtschaftung eines Gutes, und noch viel weniger von der
Behandlung seines Wildstandes. Da war es denn gut, daß er sich gleich an den
Baron wandte, der ihm mit Wonne alles sagte, was er wußte, und ihn mit sich
nach Hause nahm, um ihm ein Buch über die Jagd zu leihen.

Iran von Ravenstein war im Zimmer ihres Mannes, als dieser mit dem
Besuch eintrat. Sie war bei der Vorstellung sehr überrascht, faßte sich aber schnell
und betrachtete nicht ohne Interesse die magre, etwas vornübergebeugte Gestalt des
Jugendfreundes, den die Jahre nicht verschönt hatten. Er war noch gerade so
blaß wie damals, und seine hellen Augen blickten etwas verschwommen. Seine
Stimme aber klang gleichmäßig ruhig, und der starke englische Accent, den er
sich angewöhnt hatte, verlieh ihr etwas angenehm fremdartiges.

Neumann regte sich ebenso wenig bei dem Wiedersehen ans. Er sprach voll¬
ständig harmlos Von den alten, vergnügten Zeiten, erwähnte häufig seiue zarte
Gesundheit, die ihn nötige, auf dem Lande zu leben, und legte einigen Nachdruck
darauf, daß seine frühere Verwundung ihm noch immer zu schaffen mache. Diese letzte
Bemerkung rührte den Baron. Er war auch Schleswig-holsteinischer Freiheitskämpfer
gewesen, das lustige Soldatenleben hatte ihm gut gefallen, und an seiue Kameraden
dachte er mit großer Freundlichkeit. Neumann war also, von Achtundvierzig her,
sein Kamerad, und daß sein Kamerad vom Kriege her noch Schmerzen hatte, that
ihm sehr leid. Obgleich er sonst eigentlich niemand einlud, ihn zu besuchen, so
forderte er doch Neumann dringend dazu auf, und der neue Gutsbesitzer, der sich
in seinem alten Herrenhause und unter den vielen neuen Menschen ungemütlich
fühlte, kam nur zu gern.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Etwas von Inhalt und Form unsers politischen Lebens.

Margarine,
Zucker, Getreidehandel, das wäre so ungefähr der gegenwärtige Inhalt unsers poli¬
tischen Lebens; kaum daß die Handwerker und Krämer noch manchmal am Schluß
einer Versammlung des Bundes der Landwirte ihre Stimmchen erheben und piepen:
Wir sind auch uoch da! Den Herrn Minister Preßt jener Inhalt Angstschweiß aus.
Am 24. Februar stand der Eisenbahnministcr im Kreuzfeuer zwischen Ost und
West; die Herren vom Rhein wollten die Staffeltarife beseitigt haben, die den
Absatz von Vieh des Ostens bei ihnen erleichtern, wogegen sich natürlich die Herren
aus Ostelbien tapfer wehrten. Ganz ähnliche Gefechte werden bei den österreichisch-
nngarischen Ausgleichsverhandlunge" geliefert; die Agrarier von Eis und die In¬
dustriellen von Trans wünschen eine Zollschranke zwischen den beiden Reichshälften
zu errichten, während die Agrarier von Trans und die Industriellen von Eis für


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gegangen war, um Bekanntschaften zu machen, und der mit dem Baron gleich
Freundschaft geschlossen hatte. Der Baron hatte sehr viel Interesse für Landwirt¬
schaft. Er war vor seiner Verheiratung schon auf zwei Höfen bankrott geworden
und konnte deswegen sehr gut Ratschläge erteilen, und Herr Neumann verstand fast
gar nichts von der Bewirtschaftung eines Gutes, und noch viel weniger von der
Behandlung seines Wildstandes. Da war es denn gut, daß er sich gleich an den
Baron wandte, der ihm mit Wonne alles sagte, was er wußte, und ihn mit sich
nach Hause nahm, um ihm ein Buch über die Jagd zu leihen.

Iran von Ravenstein war im Zimmer ihres Mannes, als dieser mit dem
Besuch eintrat. Sie war bei der Vorstellung sehr überrascht, faßte sich aber schnell
und betrachtete nicht ohne Interesse die magre, etwas vornübergebeugte Gestalt des
Jugendfreundes, den die Jahre nicht verschönt hatten. Er war noch gerade so
blaß wie damals, und seine hellen Augen blickten etwas verschwommen. Seine
Stimme aber klang gleichmäßig ruhig, und der starke englische Accent, den er
sich angewöhnt hatte, verlieh ihr etwas angenehm fremdartiges.

Neumann regte sich ebenso wenig bei dem Wiedersehen ans. Er sprach voll¬
ständig harmlos Von den alten, vergnügten Zeiten, erwähnte häufig seiue zarte
Gesundheit, die ihn nötige, auf dem Lande zu leben, und legte einigen Nachdruck
darauf, daß seine frühere Verwundung ihm noch immer zu schaffen mache. Diese letzte
Bemerkung rührte den Baron. Er war auch Schleswig-holsteinischer Freiheitskämpfer
gewesen, das lustige Soldatenleben hatte ihm gut gefallen, und an seiue Kameraden
dachte er mit großer Freundlichkeit. Neumann war also, von Achtundvierzig her,
sein Kamerad, und daß sein Kamerad vom Kriege her noch Schmerzen hatte, that
ihm sehr leid. Obgleich er sonst eigentlich niemand einlud, ihn zu besuchen, so
forderte er doch Neumann dringend dazu auf, und der neue Gutsbesitzer, der sich
in seinem alten Herrenhause und unter den vielen neuen Menschen ungemütlich
fühlte, kam nur zu gern.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Etwas von Inhalt und Form unsers politischen Lebens.

Margarine,
Zucker, Getreidehandel, das wäre so ungefähr der gegenwärtige Inhalt unsers poli¬
tischen Lebens; kaum daß die Handwerker und Krämer noch manchmal am Schluß
einer Versammlung des Bundes der Landwirte ihre Stimmchen erheben und piepen:
Wir sind auch uoch da! Den Herrn Minister Preßt jener Inhalt Angstschweiß aus.
Am 24. Februar stand der Eisenbahnministcr im Kreuzfeuer zwischen Ost und
West; die Herren vom Rhein wollten die Staffeltarife beseitigt haben, die den
Absatz von Vieh des Ostens bei ihnen erleichtern, wogegen sich natürlich die Herren
aus Ostelbien tapfer wehrten. Ganz ähnliche Gefechte werden bei den österreichisch-
nngarischen Ausgleichsverhandlunge» geliefert; die Agrarier von Eis und die In¬
dustriellen von Trans wünschen eine Zollschranke zwischen den beiden Reichshälften
zu errichten, während die Agrarier von Trans und die Industriellen von Eis für


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[0498] Maßgebliches und Unmaßgebliches gegangen war, um Bekanntschaften zu machen, und der mit dem Baron gleich Freundschaft geschlossen hatte. Der Baron hatte sehr viel Interesse für Landwirt¬ schaft. Er war vor seiner Verheiratung schon auf zwei Höfen bankrott geworden und konnte deswegen sehr gut Ratschläge erteilen, und Herr Neumann verstand fast gar nichts von der Bewirtschaftung eines Gutes, und noch viel weniger von der Behandlung seines Wildstandes. Da war es denn gut, daß er sich gleich an den Baron wandte, der ihm mit Wonne alles sagte, was er wußte, und ihn mit sich nach Hause nahm, um ihm ein Buch über die Jagd zu leihen. Iran von Ravenstein war im Zimmer ihres Mannes, als dieser mit dem Besuch eintrat. Sie war bei der Vorstellung sehr überrascht, faßte sich aber schnell und betrachtete nicht ohne Interesse die magre, etwas vornübergebeugte Gestalt des Jugendfreundes, den die Jahre nicht verschönt hatten. Er war noch gerade so blaß wie damals, und seine hellen Augen blickten etwas verschwommen. Seine Stimme aber klang gleichmäßig ruhig, und der starke englische Accent, den er sich angewöhnt hatte, verlieh ihr etwas angenehm fremdartiges. Neumann regte sich ebenso wenig bei dem Wiedersehen ans. Er sprach voll¬ ständig harmlos Von den alten, vergnügten Zeiten, erwähnte häufig seiue zarte Gesundheit, die ihn nötige, auf dem Lande zu leben, und legte einigen Nachdruck darauf, daß seine frühere Verwundung ihm noch immer zu schaffen mache. Diese letzte Bemerkung rührte den Baron. Er war auch Schleswig-holsteinischer Freiheitskämpfer gewesen, das lustige Soldatenleben hatte ihm gut gefallen, und an seiue Kameraden dachte er mit großer Freundlichkeit. Neumann war also, von Achtundvierzig her, sein Kamerad, und daß sein Kamerad vom Kriege her noch Schmerzen hatte, that ihm sehr leid. Obgleich er sonst eigentlich niemand einlud, ihn zu besuchen, so forderte er doch Neumann dringend dazu auf, und der neue Gutsbesitzer, der sich in seinem alten Herrenhause und unter den vielen neuen Menschen ungemütlich fühlte, kam nur zu gern. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Etwas von Inhalt und Form unsers politischen Lebens. Margarine, Zucker, Getreidehandel, das wäre so ungefähr der gegenwärtige Inhalt unsers poli¬ tischen Lebens; kaum daß die Handwerker und Krämer noch manchmal am Schluß einer Versammlung des Bundes der Landwirte ihre Stimmchen erheben und piepen: Wir sind auch uoch da! Den Herrn Minister Preßt jener Inhalt Angstschweiß aus. Am 24. Februar stand der Eisenbahnministcr im Kreuzfeuer zwischen Ost und West; die Herren vom Rhein wollten die Staffeltarife beseitigt haben, die den Absatz von Vieh des Ostens bei ihnen erleichtern, wogegen sich natürlich die Herren aus Ostelbien tapfer wehrten. Ganz ähnliche Gefechte werden bei den österreichisch- nngarischen Ausgleichsverhandlunge» geliefert; die Agrarier von Eis und die In¬ dustriellen von Trans wünschen eine Zollschranke zwischen den beiden Reichshälften zu errichten, während die Agrarier von Trans und die Industriellen von Eis für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/498>, abgerufen am 25.11.2024.