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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die erste Liebe

Seine Frau sah ihn mit einem nachsichtigen Lächeln an. Nun, wunderten
sich auch die Herren aus Hamburg über dich?

Gewiß! Sie sagten, ich würde sofort eine Anstellung bei Nerz bekommen.
Auch die andern Bekannten lobten mich; mir der Sanitätsrat War in seiner Unken-
stimmung nud sagte, ich würde mich noch einmal totschießen. Aber er war schlechter
Laune. Denn der alte Etatsrat, der vor einiger Zeit hierhergezogen ist, und den
wir alle nicht leiden können, hat eine" Podngraanfall gehabt und unsern Doktor zu
seinem Leibarzt gemacht. Diese Ehre hat ihn riesig verstimmt, der Etatsrat ist eben
zu langweilig.

Was wollten denn die Herren ans Hamburg hier? fragte die Baronin, die
gern etwas neues hörte.

Es waren zwei Unterhändler, die das Gut Freseühageu an einen reichen Herrn
verkauft haben. An irgend jemand aus Amerika oder Australien, ich habe nicht
drauf geachtet.

Er wird vielleicht mir aus Bremen oder Lübeck sein, meinte Ada gleichgiltig.

Ihr Mann stand auf. Auch möglich, sagte er. Ich habe nicht darnach ge¬
fragt. Aber es ist irgend ein Fremder mit einem sehr gewöhnlichen Namen. Und
nun darf ich mich wohl zurückziehen, liebe Ada? Denke dir, mir sind heute alle
Kapitelüberschriften meines Buches eingefallen! Wenn ich die einmal habe, wird das
Werk bald fertig sein, ich muß mich an die Arbeit setze".

Rolf Ravenstein ging, und seine Fran legte ihr Strickzeug zur Seite und ver¬
tiefte sich in einen französischen Roman. Es war ihr so selbstverständlich, daß ihr
Mann sich mit nichts anderm als Pistolenschießen, am Stammtisch sitzen und ge¬
legentlich etwas Schreiben beschäftigte, daß sie niemals über sein thatenloses Da¬
sein nachdachte. --

Diese Unterhaltung hatte im Frühling stattgefunden. Nun hatte sich ein
warmer Sommer mit den milden, sonnenlosen Tagen eingestellt, wie sie im Norden
so häufig sind, und die Bnrvuin saß viel in ihrem Garten. Der war wenig ge¬
pflegt und bestand nur aus einigen zerzausten Blumenbeeten, aber er hatte eine sehr
geräumige grüne Laube und einen wundervollen Blick auf deu blauen Landsee und
seine sauft ansteigenden Ufer. Auch der Baron war oft im Garten. Entweder schoß er
hier nach Glaskugeln, die er in die Luft warf, oder er saß bei seiner Frau und sah ihr
bei ihren Beschäftigungen zu. Früher hatte er das nicht gethan, aber in diesem
Jahre war er so allmählich in die Gewohnheit gekommen, hin und wieder mit Ada
zusammen zu sein, und es gefiel ihm ganz gut. Obgleich er vor bald zwanzig
Jahren nicht ans Liebe, sondern auf den Wunsch seines ältern Bruders, des
Mnjoratsherrn, geheiratet hatte, war ihm doch das Zusammenleben mit seiner Frau
immer ganz bequem gewesen. Bon Liebe hatten beide niemals gesprochen. Von
solchen Dingen wisse Ada noch gnr nichts, hatte ihre Großmutter damals gesagt,
die die Heirat zu stände brachte. Ada war ein vermögensloses adliches Mädchen
und mußte sich freuen, eine standesgemäße Partie machen zu können.

Der Baron mußte in diesem Sommer manchmal an die alte hochmütige Dame
denken, vor der er immer Angst gehabt hatte. Wie gut, daß ihr Ada gar nicht
ähnlich sah! Er blickte zufrieden ' in ihr schmales, etwas farbloses Gesicht, das
sich gerade eifrig über ein Buch vou David Strauß beugte. Der Pastor hatte neu¬
lich von der Kanzel davor gewarnt; nun hatte die Baronin ein Armband verkauft,
um die verbotue Frucht kennen zu lernen. Aber sie war nicht immer auf das
Lesen versessen. Oft saß sie müßig und unterhielt sich mit Graf Waldemar Rössing,
der seit einigen Wochen seinen Wohnsitz in der kleine,: Stadt aufgeschlagen hatte


Die erste Liebe

Seine Frau sah ihn mit einem nachsichtigen Lächeln an. Nun, wunderten
sich auch die Herren aus Hamburg über dich?

Gewiß! Sie sagten, ich würde sofort eine Anstellung bei Nerz bekommen.
Auch die andern Bekannten lobten mich; mir der Sanitätsrat War in seiner Unken-
stimmung nud sagte, ich würde mich noch einmal totschießen. Aber er war schlechter
Laune. Denn der alte Etatsrat, der vor einiger Zeit hierhergezogen ist, und den
wir alle nicht leiden können, hat eine» Podngraanfall gehabt und unsern Doktor zu
seinem Leibarzt gemacht. Diese Ehre hat ihn riesig verstimmt, der Etatsrat ist eben
zu langweilig.

Was wollten denn die Herren ans Hamburg hier? fragte die Baronin, die
gern etwas neues hörte.

Es waren zwei Unterhändler, die das Gut Freseühageu an einen reichen Herrn
verkauft haben. An irgend jemand aus Amerika oder Australien, ich habe nicht
drauf geachtet.

Er wird vielleicht mir aus Bremen oder Lübeck sein, meinte Ada gleichgiltig.

Ihr Mann stand auf. Auch möglich, sagte er. Ich habe nicht darnach ge¬
fragt. Aber es ist irgend ein Fremder mit einem sehr gewöhnlichen Namen. Und
nun darf ich mich wohl zurückziehen, liebe Ada? Denke dir, mir sind heute alle
Kapitelüberschriften meines Buches eingefallen! Wenn ich die einmal habe, wird das
Werk bald fertig sein, ich muß mich an die Arbeit setze».

Rolf Ravenstein ging, und seine Fran legte ihr Strickzeug zur Seite und ver¬
tiefte sich in einen französischen Roman. Es war ihr so selbstverständlich, daß ihr
Mann sich mit nichts anderm als Pistolenschießen, am Stammtisch sitzen und ge¬
legentlich etwas Schreiben beschäftigte, daß sie niemals über sein thatenloses Da¬
sein nachdachte. —

Diese Unterhaltung hatte im Frühling stattgefunden. Nun hatte sich ein
warmer Sommer mit den milden, sonnenlosen Tagen eingestellt, wie sie im Norden
so häufig sind, und die Bnrvuin saß viel in ihrem Garten. Der war wenig ge¬
pflegt und bestand nur aus einigen zerzausten Blumenbeeten, aber er hatte eine sehr
geräumige grüne Laube und einen wundervollen Blick auf deu blauen Landsee und
seine sauft ansteigenden Ufer. Auch der Baron war oft im Garten. Entweder schoß er
hier nach Glaskugeln, die er in die Luft warf, oder er saß bei seiner Frau und sah ihr
bei ihren Beschäftigungen zu. Früher hatte er das nicht gethan, aber in diesem
Jahre war er so allmählich in die Gewohnheit gekommen, hin und wieder mit Ada
zusammen zu sein, und es gefiel ihm ganz gut. Obgleich er vor bald zwanzig
Jahren nicht ans Liebe, sondern auf den Wunsch seines ältern Bruders, des
Mnjoratsherrn, geheiratet hatte, war ihm doch das Zusammenleben mit seiner Frau
immer ganz bequem gewesen. Bon Liebe hatten beide niemals gesprochen. Von
solchen Dingen wisse Ada noch gnr nichts, hatte ihre Großmutter damals gesagt,
die die Heirat zu stände brachte. Ada war ein vermögensloses adliches Mädchen
und mußte sich freuen, eine standesgemäße Partie machen zu können.

Der Baron mußte in diesem Sommer manchmal an die alte hochmütige Dame
denken, vor der er immer Angst gehabt hatte. Wie gut, daß ihr Ada gar nicht
ähnlich sah! Er blickte zufrieden ' in ihr schmales, etwas farbloses Gesicht, das
sich gerade eifrig über ein Buch vou David Strauß beugte. Der Pastor hatte neu¬
lich von der Kanzel davor gewarnt; nun hatte die Baronin ein Armband verkauft,
um die verbotue Frucht kennen zu lernen. Aber sie war nicht immer auf das
Lesen versessen. Oft saß sie müßig und unterhielt sich mit Graf Waldemar Rössing,
der seit einigen Wochen seinen Wohnsitz in der kleine,: Stadt aufgeschlagen hatte


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[0496] Die erste Liebe Seine Frau sah ihn mit einem nachsichtigen Lächeln an. Nun, wunderten sich auch die Herren aus Hamburg über dich? Gewiß! Sie sagten, ich würde sofort eine Anstellung bei Nerz bekommen. Auch die andern Bekannten lobten mich; mir der Sanitätsrat War in seiner Unken- stimmung nud sagte, ich würde mich noch einmal totschießen. Aber er war schlechter Laune. Denn der alte Etatsrat, der vor einiger Zeit hierhergezogen ist, und den wir alle nicht leiden können, hat eine» Podngraanfall gehabt und unsern Doktor zu seinem Leibarzt gemacht. Diese Ehre hat ihn riesig verstimmt, der Etatsrat ist eben zu langweilig. Was wollten denn die Herren ans Hamburg hier? fragte die Baronin, die gern etwas neues hörte. Es waren zwei Unterhändler, die das Gut Freseühageu an einen reichen Herrn verkauft haben. An irgend jemand aus Amerika oder Australien, ich habe nicht drauf geachtet. Er wird vielleicht mir aus Bremen oder Lübeck sein, meinte Ada gleichgiltig. Ihr Mann stand auf. Auch möglich, sagte er. Ich habe nicht darnach ge¬ fragt. Aber es ist irgend ein Fremder mit einem sehr gewöhnlichen Namen. Und nun darf ich mich wohl zurückziehen, liebe Ada? Denke dir, mir sind heute alle Kapitelüberschriften meines Buches eingefallen! Wenn ich die einmal habe, wird das Werk bald fertig sein, ich muß mich an die Arbeit setze». Rolf Ravenstein ging, und seine Fran legte ihr Strickzeug zur Seite und ver¬ tiefte sich in einen französischen Roman. Es war ihr so selbstverständlich, daß ihr Mann sich mit nichts anderm als Pistolenschießen, am Stammtisch sitzen und ge¬ legentlich etwas Schreiben beschäftigte, daß sie niemals über sein thatenloses Da¬ sein nachdachte. — Diese Unterhaltung hatte im Frühling stattgefunden. Nun hatte sich ein warmer Sommer mit den milden, sonnenlosen Tagen eingestellt, wie sie im Norden so häufig sind, und die Bnrvuin saß viel in ihrem Garten. Der war wenig ge¬ pflegt und bestand nur aus einigen zerzausten Blumenbeeten, aber er hatte eine sehr geräumige grüne Laube und einen wundervollen Blick auf deu blauen Landsee und seine sauft ansteigenden Ufer. Auch der Baron war oft im Garten. Entweder schoß er hier nach Glaskugeln, die er in die Luft warf, oder er saß bei seiner Frau und sah ihr bei ihren Beschäftigungen zu. Früher hatte er das nicht gethan, aber in diesem Jahre war er so allmählich in die Gewohnheit gekommen, hin und wieder mit Ada zusammen zu sein, und es gefiel ihm ganz gut. Obgleich er vor bald zwanzig Jahren nicht ans Liebe, sondern auf den Wunsch seines ältern Bruders, des Mnjoratsherrn, geheiratet hatte, war ihm doch das Zusammenleben mit seiner Frau immer ganz bequem gewesen. Bon Liebe hatten beide niemals gesprochen. Von solchen Dingen wisse Ada noch gnr nichts, hatte ihre Großmutter damals gesagt, die die Heirat zu stände brachte. Ada war ein vermögensloses adliches Mädchen und mußte sich freuen, eine standesgemäße Partie machen zu können. Der Baron mußte in diesem Sommer manchmal an die alte hochmütige Dame denken, vor der er immer Angst gehabt hatte. Wie gut, daß ihr Ada gar nicht ähnlich sah! Er blickte zufrieden ' in ihr schmales, etwas farbloses Gesicht, das sich gerade eifrig über ein Buch vou David Strauß beugte. Der Pastor hatte neu¬ lich von der Kanzel davor gewarnt; nun hatte die Baronin ein Armband verkauft, um die verbotue Frucht kennen zu lernen. Aber sie war nicht immer auf das Lesen versessen. Oft saß sie müßig und unterhielt sich mit Graf Waldemar Rössing, der seit einigen Wochen seinen Wohnsitz in der kleine,: Stadt aufgeschlagen hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/496>, abgerufen am 25.11.2024.