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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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An Bord von S. M. S. Brandenburg

einer Nacht ("Freiwache"); ist ihm in der ersten Nacht die beliebte "Hundewache"
(von 12 bis 4 Uhr nachts) beschieden, so schläft er weder vorher noch nachher
ordentlich, obwohl man an Bord "schlafen lernt," und dazwischen läuft noch der ge¬
wöhnliche Dienst. Liegt das Schiff im Hafen, so giebt es ja immerhin einige
Abwechslung; aber sonst sind die Offiziere lediglich auf sich selbst angewiesen und
zum engsten Zusammenleben genötigt. Der einzige Raum des Schiffs, wo sie etwas
mehr Bequemlichkeit finden, ist die Messe, ihr Salon und ihr Speisezimmer; die
"Kammern," meist unter Deck an der Außenwand des Schiffs, sind zwar ver¬
hältnismäßig geräumig und ziemlich hoch, aber doch in ihrer Ausstattung auf das
Notwendigste beschränkt, wenn das Schiff läuft, infolge der Nähe der Maschine
meist ziemlich warm und doch im Winter wegen der Eisenwände oft empfind¬
lich kalt, jedenfalls nicht besonders einladend zu längerm Verweilen. Der Offi¬
zier ist also entweder im Dienst, also unter Hunderten von Menschen, oder mit
seinen Kameraden zusammen, allein eigentlich nur, wenn er schläft, und das auch
nur vom Leutnant zur See aufwärts; von den Unterleutnants haben mehrere eine
Kammer zusammen. Nur der Kommandant, auf einem Panzerschiffe ersten Ranges
ein Kapitän zur See mit Oberstenrang, hat eine umfänglichere, bequeme Wohnung,
die ein Offizier nur im Dienst oder wenn er eingeladen wird, betritt. Diese strenge,
scheinbar pedantische Etikette allein macht das enge Zusammenleben so vieler doch
sehr verschiedenartiger, aus allen Teilen Deutschlands stammender Männer -- die
Mehrzahl sind Binnenländer --, die zudem ziemlich häufig wechseln, überhaupt
möglich. Nur wenn jeder so fest an seinem Recht und seiner Ehre hält, wie er
die des andern achtet, und nur wenn jeder jedem als Gentleman begegnet, kann
er unbefangen mit ihm Verkehren.

Während des Mittagessens und der Unterhaltung konnte man zuweilen fast
vergessen, daß der Ort das Deck eines mit Volldampf fahrenden Kriegsschiffs
war. Nur ein leises, gleichmäßiges Rauschen erinnerte daran, sonst war von
der Arbeit der riesigen Maschinen nichts zu spüren und durch die offenstehenden
Fenster nichts sichtbar, als die gerade Linie des Horizonts. Erst an der engsten
Stelle der Ostsee, zwischen der Insel Falster und der mecklenburgisch-pommerschen
Küste, fesselte manches die Aufmerksamkeit. Der Himmel war wolkenlos, ober der
Horizont "diesig"; nur undeutlich sah man das weit draußen verankerte dänische
Feuerschiff vor Gjedser Otte, dann das von Gjedserriff auf der einen, Darsser
Ort als einen verschwimmenden blaugrauen Streifen auf der andern Seite. Einige
Dampfer, eine lange Rauchwolke nach sich ziehend, darunter die schlanke Fache des
Erbgroßherzogs von Oldenburg, "Lenscchn," kreuzten unsern Kurs, dann ein präch¬
tiger Dreimaster unter vollen Segeln, der die Aufmerksamkeit auch der Offiziere
erregte. Denn dem echten Seemanne geht bei einem solchen Anblick das Herz
auf; die immer mehr oder weniger rußigen Dampfer mit ihrem Ölgeruch von der
Maschine her liebt er eigentlich nicht, und am wenigsten die Panzerschiffe. "Die
Dinger sehen doch wunderlich aus, eigentlich häßlich," sagte einer zu mir, als am
nächsten Tage die "Wörth," eines der Schwesterschiffe der "Brandenburg," aus der
Werft herausdampfte. In der vierten Nachmittagsstunde kam die prachtvolle, steil
abstürzende, weiße Kreideküste der dänischen Insel Möen in hellster Beleuchtung in
Sicht, dann wurde der Kurs auf Bornholm gesetzt. Bei der Schnelligkeit, mit
der wir liefen, mußten wir seine Granitfelsen gegen Abend vor uns haben. Da
bestimmte die Liebenswürdigkeit des ersten Offiziers den Kommandanten, den Kurs
zu ändern und auf Rügen zu steuern, um bei dem schönen Wetter den "Bade¬
gästen," d. h. den nichtsecmännischen Teilnehmern der Fahrt, ein besondres Ver-


Grenzboten I 1896 öl
An Bord von S. M. S. Brandenburg

einer Nacht („Freiwache"); ist ihm in der ersten Nacht die beliebte „Hundewache"
(von 12 bis 4 Uhr nachts) beschieden, so schläft er weder vorher noch nachher
ordentlich, obwohl man an Bord „schlafen lernt," und dazwischen läuft noch der ge¬
wöhnliche Dienst. Liegt das Schiff im Hafen, so giebt es ja immerhin einige
Abwechslung; aber sonst sind die Offiziere lediglich auf sich selbst angewiesen und
zum engsten Zusammenleben genötigt. Der einzige Raum des Schiffs, wo sie etwas
mehr Bequemlichkeit finden, ist die Messe, ihr Salon und ihr Speisezimmer; die
„Kammern," meist unter Deck an der Außenwand des Schiffs, sind zwar ver¬
hältnismäßig geräumig und ziemlich hoch, aber doch in ihrer Ausstattung auf das
Notwendigste beschränkt, wenn das Schiff läuft, infolge der Nähe der Maschine
meist ziemlich warm und doch im Winter wegen der Eisenwände oft empfind¬
lich kalt, jedenfalls nicht besonders einladend zu längerm Verweilen. Der Offi¬
zier ist also entweder im Dienst, also unter Hunderten von Menschen, oder mit
seinen Kameraden zusammen, allein eigentlich nur, wenn er schläft, und das auch
nur vom Leutnant zur See aufwärts; von den Unterleutnants haben mehrere eine
Kammer zusammen. Nur der Kommandant, auf einem Panzerschiffe ersten Ranges
ein Kapitän zur See mit Oberstenrang, hat eine umfänglichere, bequeme Wohnung,
die ein Offizier nur im Dienst oder wenn er eingeladen wird, betritt. Diese strenge,
scheinbar pedantische Etikette allein macht das enge Zusammenleben so vieler doch
sehr verschiedenartiger, aus allen Teilen Deutschlands stammender Männer — die
Mehrzahl sind Binnenländer —, die zudem ziemlich häufig wechseln, überhaupt
möglich. Nur wenn jeder so fest an seinem Recht und seiner Ehre hält, wie er
die des andern achtet, und nur wenn jeder jedem als Gentleman begegnet, kann
er unbefangen mit ihm Verkehren.

Während des Mittagessens und der Unterhaltung konnte man zuweilen fast
vergessen, daß der Ort das Deck eines mit Volldampf fahrenden Kriegsschiffs
war. Nur ein leises, gleichmäßiges Rauschen erinnerte daran, sonst war von
der Arbeit der riesigen Maschinen nichts zu spüren und durch die offenstehenden
Fenster nichts sichtbar, als die gerade Linie des Horizonts. Erst an der engsten
Stelle der Ostsee, zwischen der Insel Falster und der mecklenburgisch-pommerschen
Küste, fesselte manches die Aufmerksamkeit. Der Himmel war wolkenlos, ober der
Horizont „diesig"; nur undeutlich sah man das weit draußen verankerte dänische
Feuerschiff vor Gjedser Otte, dann das von Gjedserriff auf der einen, Darsser
Ort als einen verschwimmenden blaugrauen Streifen auf der andern Seite. Einige
Dampfer, eine lange Rauchwolke nach sich ziehend, darunter die schlanke Fache des
Erbgroßherzogs von Oldenburg, „Lenscchn," kreuzten unsern Kurs, dann ein präch¬
tiger Dreimaster unter vollen Segeln, der die Aufmerksamkeit auch der Offiziere
erregte. Denn dem echten Seemanne geht bei einem solchen Anblick das Herz
auf; die immer mehr oder weniger rußigen Dampfer mit ihrem Ölgeruch von der
Maschine her liebt er eigentlich nicht, und am wenigsten die Panzerschiffe. „Die
Dinger sehen doch wunderlich aus, eigentlich häßlich," sagte einer zu mir, als am
nächsten Tage die „Wörth," eines der Schwesterschiffe der „Brandenburg," aus der
Werft herausdampfte. In der vierten Nachmittagsstunde kam die prachtvolle, steil
abstürzende, weiße Kreideküste der dänischen Insel Möen in hellster Beleuchtung in
Sicht, dann wurde der Kurs auf Bornholm gesetzt. Bei der Schnelligkeit, mit
der wir liefen, mußten wir seine Granitfelsen gegen Abend vor uns haben. Da
bestimmte die Liebenswürdigkeit des ersten Offiziers den Kommandanten, den Kurs
zu ändern und auf Rügen zu steuern, um bei dem schönen Wetter den „Bade¬
gästen," d. h. den nichtsecmännischen Teilnehmern der Fahrt, ein besondres Ver-


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[0489] An Bord von S. M. S. Brandenburg einer Nacht („Freiwache"); ist ihm in der ersten Nacht die beliebte „Hundewache" (von 12 bis 4 Uhr nachts) beschieden, so schläft er weder vorher noch nachher ordentlich, obwohl man an Bord „schlafen lernt," und dazwischen läuft noch der ge¬ wöhnliche Dienst. Liegt das Schiff im Hafen, so giebt es ja immerhin einige Abwechslung; aber sonst sind die Offiziere lediglich auf sich selbst angewiesen und zum engsten Zusammenleben genötigt. Der einzige Raum des Schiffs, wo sie etwas mehr Bequemlichkeit finden, ist die Messe, ihr Salon und ihr Speisezimmer; die „Kammern," meist unter Deck an der Außenwand des Schiffs, sind zwar ver¬ hältnismäßig geräumig und ziemlich hoch, aber doch in ihrer Ausstattung auf das Notwendigste beschränkt, wenn das Schiff läuft, infolge der Nähe der Maschine meist ziemlich warm und doch im Winter wegen der Eisenwände oft empfind¬ lich kalt, jedenfalls nicht besonders einladend zu längerm Verweilen. Der Offi¬ zier ist also entweder im Dienst, also unter Hunderten von Menschen, oder mit seinen Kameraden zusammen, allein eigentlich nur, wenn er schläft, und das auch nur vom Leutnant zur See aufwärts; von den Unterleutnants haben mehrere eine Kammer zusammen. Nur der Kommandant, auf einem Panzerschiffe ersten Ranges ein Kapitän zur See mit Oberstenrang, hat eine umfänglichere, bequeme Wohnung, die ein Offizier nur im Dienst oder wenn er eingeladen wird, betritt. Diese strenge, scheinbar pedantische Etikette allein macht das enge Zusammenleben so vieler doch sehr verschiedenartiger, aus allen Teilen Deutschlands stammender Männer — die Mehrzahl sind Binnenländer —, die zudem ziemlich häufig wechseln, überhaupt möglich. Nur wenn jeder so fest an seinem Recht und seiner Ehre hält, wie er die des andern achtet, und nur wenn jeder jedem als Gentleman begegnet, kann er unbefangen mit ihm Verkehren. Während des Mittagessens und der Unterhaltung konnte man zuweilen fast vergessen, daß der Ort das Deck eines mit Volldampf fahrenden Kriegsschiffs war. Nur ein leises, gleichmäßiges Rauschen erinnerte daran, sonst war von der Arbeit der riesigen Maschinen nichts zu spüren und durch die offenstehenden Fenster nichts sichtbar, als die gerade Linie des Horizonts. Erst an der engsten Stelle der Ostsee, zwischen der Insel Falster und der mecklenburgisch-pommerschen Küste, fesselte manches die Aufmerksamkeit. Der Himmel war wolkenlos, ober der Horizont „diesig"; nur undeutlich sah man das weit draußen verankerte dänische Feuerschiff vor Gjedser Otte, dann das von Gjedserriff auf der einen, Darsser Ort als einen verschwimmenden blaugrauen Streifen auf der andern Seite. Einige Dampfer, eine lange Rauchwolke nach sich ziehend, darunter die schlanke Fache des Erbgroßherzogs von Oldenburg, „Lenscchn," kreuzten unsern Kurs, dann ein präch¬ tiger Dreimaster unter vollen Segeln, der die Aufmerksamkeit auch der Offiziere erregte. Denn dem echten Seemanne geht bei einem solchen Anblick das Herz auf; die immer mehr oder weniger rußigen Dampfer mit ihrem Ölgeruch von der Maschine her liebt er eigentlich nicht, und am wenigsten die Panzerschiffe. „Die Dinger sehen doch wunderlich aus, eigentlich häßlich," sagte einer zu mir, als am nächsten Tage die „Wörth," eines der Schwesterschiffe der „Brandenburg," aus der Werft herausdampfte. In der vierten Nachmittagsstunde kam die prachtvolle, steil abstürzende, weiße Kreideküste der dänischen Insel Möen in hellster Beleuchtung in Sicht, dann wurde der Kurs auf Bornholm gesetzt. Bei der Schnelligkeit, mit der wir liefen, mußten wir seine Granitfelsen gegen Abend vor uns haben. Da bestimmte die Liebenswürdigkeit des ersten Offiziers den Kommandanten, den Kurs zu ändern und auf Rügen zu steuern, um bei dem schönen Wetter den „Bade¬ gästen," d. h. den nichtsecmännischen Teilnehmern der Fahrt, ein besondres Ver- Grenzboten I 1896 öl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/489>, abgerufen am 26.11.2024.