Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gustav zu Putlitz

Im August 187Z übernahm Putlitz die letzte große äußere Aufgabe seines
Lebens. Von da an bis zum Frühling 188ö hat er an der Spitze des Karls¬
ruher Hoftheaters gestanden. Gesundheitsrücksichten und der Umstand, daß mit
dem Tode seines Vetters Hermann zu Putlitz das Seniorat seiner Familie,
die Würde des Erbmarschalls der Kurmark und der Sitz im preußischen Herren¬
hause auf ihn übergingen, drängten ihn am Ende dieser Periode, um seine
Entlassung zu bitten, die der Großherzog nur ungern gewährte. Doch schon
fünf Jahre früher (im Sommer 1883) hatte ihn durch den freiwilligen Tod
seines hochbegabten Sohnes Stephan, der eben die Professur der National¬
ökonomie an der Universität Halle antreten sollte, in der tiefen Tragik dieser
Katastrophe und der sie begleitenden und ihr folgenden Umstände, ein Schlag
getroffen, den er zwar zu überwinden suchte, aber nicht zu überwinden ver¬
mochte, sodciß seine Biographin mit Recht sagt: "Er war seitdem doch ein ge-
brochner Mann."

Die Einzelheiten seiner zweiten Bühnenleitung, die die Biographie vor¬
führt, gehören der Theatergeschichte an; zum Reformator des Theaters fühlte
Putlitz keinen Beruf, aber seine Persönlichkeit und seine Kunstanschauung schlössen
ein Herabgleiten des ihm anvertrauten Kunstinstituts zur bloßen industriellen
Unternehmung von vornherein aus.

Wichtiger als die einzelnen Akte und Erfolge seiner Jntendantenthätigkeit
sind für uns die Zeugnisse neu angeregter Lust des Schaffens, als deren be¬
bedeutendste die beiden bürgerlichen Schauspiele "Rolf Bernb" und "Die
Idealisten" gelten müssen. Beide, namentlich das erstgenannte, beweisen, daß
Putlitz allmählich begriffen hatte, was der deutschen Bühne und der dramatischen
Litteratur vor allem not thue: ein Gesellschnftsdrama aus der Mitte unsrer
Zustände heraus. Dies hatte ihm ohne Zweifel schon früher vorgeschwebt,
aber es war bei seinem Streben nach leichter und überraschender Bühnen¬
wirkung nie entscheidend zur Geltung gekommen. Nun, in Schauspielen mit
ernsten Konflikten, bewährte Putlitz nicht nur hellen Blick und warmes Herz
für die deutsch-bürgerliche Welt, aus der er im wesentlichen schöpfte, sondern
auch erhöhte Kraft der Gestaltung und gesteigertes technisches Geschick für
Anlage und Führung einer Handlung. Die beiden Schauspiele hatten die
glänzendsten Theatererfolge; "Rolf Bernb" hinterläßt auch bei der einfachen
Lesung den Eindruck eines wohlgegliederten, durch Handlung, Charakteristik und
Sprache gleichmäßig befriedigenden Werkes. Ja man könnte hoffen, daß dieses
Schauspiel in Verbindung mit einigen spätern Erzählungen Putlitzens (unter
denen "Das Frölenhaus" durch eigenartiges Kolorit und anmutigen Ton des
Vortrcigs ausgezeichnet ist) den Namen und die Geltung des Dichters auf
künftige Tage bringen würde, wenn nicht eine Betrachtung Zweifel erweckte.
Auch in dieser glücklichsten seiner Erfindungen scheute er davor zurück, die
Menschendarstellung bis zu dem Grade zu verschärfen und zu vertiefen, den


Gustav zu Putlitz

Im August 187Z übernahm Putlitz die letzte große äußere Aufgabe seines
Lebens. Von da an bis zum Frühling 188ö hat er an der Spitze des Karls¬
ruher Hoftheaters gestanden. Gesundheitsrücksichten und der Umstand, daß mit
dem Tode seines Vetters Hermann zu Putlitz das Seniorat seiner Familie,
die Würde des Erbmarschalls der Kurmark und der Sitz im preußischen Herren¬
hause auf ihn übergingen, drängten ihn am Ende dieser Periode, um seine
Entlassung zu bitten, die der Großherzog nur ungern gewährte. Doch schon
fünf Jahre früher (im Sommer 1883) hatte ihn durch den freiwilligen Tod
seines hochbegabten Sohnes Stephan, der eben die Professur der National¬
ökonomie an der Universität Halle antreten sollte, in der tiefen Tragik dieser
Katastrophe und der sie begleitenden und ihr folgenden Umstände, ein Schlag
getroffen, den er zwar zu überwinden suchte, aber nicht zu überwinden ver¬
mochte, sodciß seine Biographin mit Recht sagt: „Er war seitdem doch ein ge-
brochner Mann."

Die Einzelheiten seiner zweiten Bühnenleitung, die die Biographie vor¬
führt, gehören der Theatergeschichte an; zum Reformator des Theaters fühlte
Putlitz keinen Beruf, aber seine Persönlichkeit und seine Kunstanschauung schlössen
ein Herabgleiten des ihm anvertrauten Kunstinstituts zur bloßen industriellen
Unternehmung von vornherein aus.

Wichtiger als die einzelnen Akte und Erfolge seiner Jntendantenthätigkeit
sind für uns die Zeugnisse neu angeregter Lust des Schaffens, als deren be¬
bedeutendste die beiden bürgerlichen Schauspiele „Rolf Bernb" und „Die
Idealisten" gelten müssen. Beide, namentlich das erstgenannte, beweisen, daß
Putlitz allmählich begriffen hatte, was der deutschen Bühne und der dramatischen
Litteratur vor allem not thue: ein Gesellschnftsdrama aus der Mitte unsrer
Zustände heraus. Dies hatte ihm ohne Zweifel schon früher vorgeschwebt,
aber es war bei seinem Streben nach leichter und überraschender Bühnen¬
wirkung nie entscheidend zur Geltung gekommen. Nun, in Schauspielen mit
ernsten Konflikten, bewährte Putlitz nicht nur hellen Blick und warmes Herz
für die deutsch-bürgerliche Welt, aus der er im wesentlichen schöpfte, sondern
auch erhöhte Kraft der Gestaltung und gesteigertes technisches Geschick für
Anlage und Führung einer Handlung. Die beiden Schauspiele hatten die
glänzendsten Theatererfolge; „Rolf Bernb" hinterläßt auch bei der einfachen
Lesung den Eindruck eines wohlgegliederten, durch Handlung, Charakteristik und
Sprache gleichmäßig befriedigenden Werkes. Ja man könnte hoffen, daß dieses
Schauspiel in Verbindung mit einigen spätern Erzählungen Putlitzens (unter
denen „Das Frölenhaus" durch eigenartiges Kolorit und anmutigen Ton des
Vortrcigs ausgezeichnet ist) den Namen und die Geltung des Dichters auf
künftige Tage bringen würde, wenn nicht eine Betrachtung Zweifel erweckte.
Auch in dieser glücklichsten seiner Erfindungen scheute er davor zurück, die
Menschendarstellung bis zu dem Grade zu verschärfen und zu vertiefen, den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222128"/>
          <fw type="header" place="top"> Gustav zu Putlitz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1591"> Im August 187Z übernahm Putlitz die letzte große äußere Aufgabe seines<lb/>
Lebens. Von da an bis zum Frühling 188ö hat er an der Spitze des Karls¬<lb/>
ruher Hoftheaters gestanden. Gesundheitsrücksichten und der Umstand, daß mit<lb/>
dem Tode seines Vetters Hermann zu Putlitz das Seniorat seiner Familie,<lb/>
die Würde des Erbmarschalls der Kurmark und der Sitz im preußischen Herren¬<lb/>
hause auf ihn übergingen, drängten ihn am Ende dieser Periode, um seine<lb/>
Entlassung zu bitten, die der Großherzog nur ungern gewährte. Doch schon<lb/>
fünf Jahre früher (im Sommer 1883) hatte ihn durch den freiwilligen Tod<lb/>
seines hochbegabten Sohnes Stephan, der eben die Professur der National¬<lb/>
ökonomie an der Universität Halle antreten sollte, in der tiefen Tragik dieser<lb/>
Katastrophe und der sie begleitenden und ihr folgenden Umstände, ein Schlag<lb/>
getroffen, den er zwar zu überwinden suchte, aber nicht zu überwinden ver¬<lb/>
mochte, sodciß seine Biographin mit Recht sagt: &#x201E;Er war seitdem doch ein ge-<lb/>
brochner Mann."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1592"> Die Einzelheiten seiner zweiten Bühnenleitung, die die Biographie vor¬<lb/>
führt, gehören der Theatergeschichte an; zum Reformator des Theaters fühlte<lb/>
Putlitz keinen Beruf, aber seine Persönlichkeit und seine Kunstanschauung schlössen<lb/>
ein Herabgleiten des ihm anvertrauten Kunstinstituts zur bloßen industriellen<lb/>
Unternehmung von vornherein aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1593" next="#ID_1594"> Wichtiger als die einzelnen Akte und Erfolge seiner Jntendantenthätigkeit<lb/>
sind für uns die Zeugnisse neu angeregter Lust des Schaffens, als deren be¬<lb/>
bedeutendste die beiden bürgerlichen Schauspiele &#x201E;Rolf Bernb" und &#x201E;Die<lb/>
Idealisten" gelten müssen. Beide, namentlich das erstgenannte, beweisen, daß<lb/>
Putlitz allmählich begriffen hatte, was der deutschen Bühne und der dramatischen<lb/>
Litteratur vor allem not thue: ein Gesellschnftsdrama aus der Mitte unsrer<lb/>
Zustände heraus. Dies hatte ihm ohne Zweifel schon früher vorgeschwebt,<lb/>
aber es war bei seinem Streben nach leichter und überraschender Bühnen¬<lb/>
wirkung nie entscheidend zur Geltung gekommen. Nun, in Schauspielen mit<lb/>
ernsten Konflikten, bewährte Putlitz nicht nur hellen Blick und warmes Herz<lb/>
für die deutsch-bürgerliche Welt, aus der er im wesentlichen schöpfte, sondern<lb/>
auch erhöhte Kraft der Gestaltung und gesteigertes technisches Geschick für<lb/>
Anlage und Führung einer Handlung. Die beiden Schauspiele hatten die<lb/>
glänzendsten Theatererfolge; &#x201E;Rolf Bernb" hinterläßt auch bei der einfachen<lb/>
Lesung den Eindruck eines wohlgegliederten, durch Handlung, Charakteristik und<lb/>
Sprache gleichmäßig befriedigenden Werkes. Ja man könnte hoffen, daß dieses<lb/>
Schauspiel in Verbindung mit einigen spätern Erzählungen Putlitzens (unter<lb/>
denen &#x201E;Das Frölenhaus" durch eigenartiges Kolorit und anmutigen Ton des<lb/>
Vortrcigs ausgezeichnet ist) den Namen und die Geltung des Dichters auf<lb/>
künftige Tage bringen würde, wenn nicht eine Betrachtung Zweifel erweckte.<lb/>
Auch in dieser glücklichsten seiner Erfindungen scheute er davor zurück, die<lb/>
Menschendarstellung bis zu dem Grade zu verschärfen und zu vertiefen, den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0482] Gustav zu Putlitz Im August 187Z übernahm Putlitz die letzte große äußere Aufgabe seines Lebens. Von da an bis zum Frühling 188ö hat er an der Spitze des Karls¬ ruher Hoftheaters gestanden. Gesundheitsrücksichten und der Umstand, daß mit dem Tode seines Vetters Hermann zu Putlitz das Seniorat seiner Familie, die Würde des Erbmarschalls der Kurmark und der Sitz im preußischen Herren¬ hause auf ihn übergingen, drängten ihn am Ende dieser Periode, um seine Entlassung zu bitten, die der Großherzog nur ungern gewährte. Doch schon fünf Jahre früher (im Sommer 1883) hatte ihn durch den freiwilligen Tod seines hochbegabten Sohnes Stephan, der eben die Professur der National¬ ökonomie an der Universität Halle antreten sollte, in der tiefen Tragik dieser Katastrophe und der sie begleitenden und ihr folgenden Umstände, ein Schlag getroffen, den er zwar zu überwinden suchte, aber nicht zu überwinden ver¬ mochte, sodciß seine Biographin mit Recht sagt: „Er war seitdem doch ein ge- brochner Mann." Die Einzelheiten seiner zweiten Bühnenleitung, die die Biographie vor¬ führt, gehören der Theatergeschichte an; zum Reformator des Theaters fühlte Putlitz keinen Beruf, aber seine Persönlichkeit und seine Kunstanschauung schlössen ein Herabgleiten des ihm anvertrauten Kunstinstituts zur bloßen industriellen Unternehmung von vornherein aus. Wichtiger als die einzelnen Akte und Erfolge seiner Jntendantenthätigkeit sind für uns die Zeugnisse neu angeregter Lust des Schaffens, als deren be¬ bedeutendste die beiden bürgerlichen Schauspiele „Rolf Bernb" und „Die Idealisten" gelten müssen. Beide, namentlich das erstgenannte, beweisen, daß Putlitz allmählich begriffen hatte, was der deutschen Bühne und der dramatischen Litteratur vor allem not thue: ein Gesellschnftsdrama aus der Mitte unsrer Zustände heraus. Dies hatte ihm ohne Zweifel schon früher vorgeschwebt, aber es war bei seinem Streben nach leichter und überraschender Bühnen¬ wirkung nie entscheidend zur Geltung gekommen. Nun, in Schauspielen mit ernsten Konflikten, bewährte Putlitz nicht nur hellen Blick und warmes Herz für die deutsch-bürgerliche Welt, aus der er im wesentlichen schöpfte, sondern auch erhöhte Kraft der Gestaltung und gesteigertes technisches Geschick für Anlage und Führung einer Handlung. Die beiden Schauspiele hatten die glänzendsten Theatererfolge; „Rolf Bernb" hinterläßt auch bei der einfachen Lesung den Eindruck eines wohlgegliederten, durch Handlung, Charakteristik und Sprache gleichmäßig befriedigenden Werkes. Ja man könnte hoffen, daß dieses Schauspiel in Verbindung mit einigen spätern Erzählungen Putlitzens (unter denen „Das Frölenhaus" durch eigenartiges Kolorit und anmutigen Ton des Vortrcigs ausgezeichnet ist) den Namen und die Geltung des Dichters auf künftige Tage bringen würde, wenn nicht eine Betrachtung Zweifel erweckte. Auch in dieser glücklichsten seiner Erfindungen scheute er davor zurück, die Menschendarstellung bis zu dem Grade zu verschärfen und zu vertiefen, den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/482
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/482>, abgerufen am 27.11.2024.