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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu putlitz

enthalt in Retzin durch einen mehrmonatigen Winteraufenthalt in Berlin zu
unterbrechen, wo Putlitz mehr litterarische Anregungen fand, als er bedürfte.
Er fuhr fort, den mißgünstigen Prophezeiungen und Klatschereien zum Trotz,
die seine Heirat mit der Gräfin Königsmarck als das Ende seiner poetischen
Bestrebungen bezeichneten, Lustspiele und Schauspiele zu schreiben, er begann
jetzt auch einzelne Erzählungen zu entwerfen und auszuführen. In einem
Briefe (vom 3. Januar 1858) an Wilibald Alexis sagt er: "Produziren und
sich produktiv fühlen ist eine wunderbare Gottesgabe, und ich weiß nichts
schöneres, als die Keime, die im eignen Herzen wachsen, die die eigne Phan¬
tasie entfaltet, im Geheimen zu Pflegen, bis sie, nach Jahren oft, ans Licht
treten." Aber in demselben Briefe folgt auch das Geständnis: "Uns geht es
gut im behaglich stillen Hanse, im bescheidnen Wohlstand, zwischen den drei
blühenden Kindern. Ich weiß keine Ehe, die glücklicher wäre, als die meinige,
und möchte hinzufügen, ich weiß keinen Menschen, der glücklicher wäre als ich.
Die Götter des Altertums Hütten einen solchen Ausspruch uicht hören dürfen,
unser Gott weiß, daß ich ihn in Demut ausspreche, und wird ihn wie ein
Dankgebet aufnehmen. Ein herber Tropfen in diesem Glücksbecher ist mir oft
meine poetische Begabung und ihre Resultate. Wenn ich geschaffen habe, wuchs
es wie eine Blume und verflog wie eine Seifenblase. Mir geht es, wie unserm
Freunde Holtet: zuviel Talent, um zu schweigen, und uicht genug, um in tüch¬
tiger Weise durchzudringen."

Wunderbar, wie sich in diesem Ausruf des Dichters Selbsterkenntnis und
Täuschung paaren. Putlitz konnte mit dem "tüchtigen Durchdringen" natür¬
lich nicht den äußern Erfolg im Auge haben. Der viel aufgelegte und viel
gepriesene Dichter der Märchen "Was sich der Wald erzählt" und "Luauci,"
der Lnstspielverfafser, dessen kleine Stücke über alle Bühnen gingen und mit
ebenso viel Behagen gespielt als gesehen wurden, hätte am allerwenigsten Ur¬
sache gehabt, über Mangel an Anerkennung zu klagen. Nein, er vermißte im
Ernst die tiefere, nachhaltige Leistung, die künstlerisch reife Schöpfung. Es
entging ihm uicht, daß in seiner Erfassung und Spiegelung des Lebeus zuviel
Vergängliches und Flüchtiges sei. Gleichwohl faßte er kein Mißtrauen gegen
die leichte und rasche Art der Produktivität, er ahnte nicht, daß er gerade auf
dem Lebens- und Gesellschaftsgebiet, auf dem er sich am sichersten und gleichsam
zu Hause fühlte, durch einen geheimen Zwang der Bildung und Gewöhnung
verhindert werde, in die Tiefen hinabzusteigen, in denen die schwersten Auf¬
gaben, aber auch die dauerndsten Kränze des dichterischen Schaffens liegen. Er
argwöhnte nicht, daß zwischen gewissen angeerbten Anschauungen und dem dich¬
terischen Drange auf den Grund der Erscheinungen zu sehen, ein unüberwind¬
licher Widerspruch vorhanden sei. Das Schicksal hatte ihm sür die spätesten
Tage erschütternde persönliche Lebenserfahrungen vorbehalten; der hundertste
Teil der schmerzlichen Blicke in die Wahrheit der Dinge und die Abgründe im


Gustav zu putlitz

enthalt in Retzin durch einen mehrmonatigen Winteraufenthalt in Berlin zu
unterbrechen, wo Putlitz mehr litterarische Anregungen fand, als er bedürfte.
Er fuhr fort, den mißgünstigen Prophezeiungen und Klatschereien zum Trotz,
die seine Heirat mit der Gräfin Königsmarck als das Ende seiner poetischen
Bestrebungen bezeichneten, Lustspiele und Schauspiele zu schreiben, er begann
jetzt auch einzelne Erzählungen zu entwerfen und auszuführen. In einem
Briefe (vom 3. Januar 1858) an Wilibald Alexis sagt er: „Produziren und
sich produktiv fühlen ist eine wunderbare Gottesgabe, und ich weiß nichts
schöneres, als die Keime, die im eignen Herzen wachsen, die die eigne Phan¬
tasie entfaltet, im Geheimen zu Pflegen, bis sie, nach Jahren oft, ans Licht
treten." Aber in demselben Briefe folgt auch das Geständnis: „Uns geht es
gut im behaglich stillen Hanse, im bescheidnen Wohlstand, zwischen den drei
blühenden Kindern. Ich weiß keine Ehe, die glücklicher wäre, als die meinige,
und möchte hinzufügen, ich weiß keinen Menschen, der glücklicher wäre als ich.
Die Götter des Altertums Hütten einen solchen Ausspruch uicht hören dürfen,
unser Gott weiß, daß ich ihn in Demut ausspreche, und wird ihn wie ein
Dankgebet aufnehmen. Ein herber Tropfen in diesem Glücksbecher ist mir oft
meine poetische Begabung und ihre Resultate. Wenn ich geschaffen habe, wuchs
es wie eine Blume und verflog wie eine Seifenblase. Mir geht es, wie unserm
Freunde Holtet: zuviel Talent, um zu schweigen, und uicht genug, um in tüch¬
tiger Weise durchzudringen."

Wunderbar, wie sich in diesem Ausruf des Dichters Selbsterkenntnis und
Täuschung paaren. Putlitz konnte mit dem „tüchtigen Durchdringen" natür¬
lich nicht den äußern Erfolg im Auge haben. Der viel aufgelegte und viel
gepriesene Dichter der Märchen „Was sich der Wald erzählt" und „Luauci,"
der Lnstspielverfafser, dessen kleine Stücke über alle Bühnen gingen und mit
ebenso viel Behagen gespielt als gesehen wurden, hätte am allerwenigsten Ur¬
sache gehabt, über Mangel an Anerkennung zu klagen. Nein, er vermißte im
Ernst die tiefere, nachhaltige Leistung, die künstlerisch reife Schöpfung. Es
entging ihm uicht, daß in seiner Erfassung und Spiegelung des Lebeus zuviel
Vergängliches und Flüchtiges sei. Gleichwohl faßte er kein Mißtrauen gegen
die leichte und rasche Art der Produktivität, er ahnte nicht, daß er gerade auf
dem Lebens- und Gesellschaftsgebiet, auf dem er sich am sichersten und gleichsam
zu Hause fühlte, durch einen geheimen Zwang der Bildung und Gewöhnung
verhindert werde, in die Tiefen hinabzusteigen, in denen die schwersten Auf¬
gaben, aber auch die dauerndsten Kränze des dichterischen Schaffens liegen. Er
argwöhnte nicht, daß zwischen gewissen angeerbten Anschauungen und dem dich¬
terischen Drange auf den Grund der Erscheinungen zu sehen, ein unüberwind¬
licher Widerspruch vorhanden sei. Das Schicksal hatte ihm sür die spätesten
Tage erschütternde persönliche Lebenserfahrungen vorbehalten; der hundertste
Teil der schmerzlichen Blicke in die Wahrheit der Dinge und die Abgründe im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/478>, abgerufen am 01.09.2024.