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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu Putlitz

immer hinzu, daß er bei seiner litterarischen Arbeit Vergnügen empfinde, und
daß er unwillkürlich immer wieder ans Theater denke. Umsonst rief ihm
Marianne, die sich inzwischen mit einem Hamburger Wolff wieder verheiratet
hatte, energisch zu: "Laß vor allem dich nicht verführen, den Genuß des
Schaffens für ein ausreichendes Lebenselement zu halten, dieser Irrtum würde
dich entschieden unglücklich machen," umsonst sagte sie ihm gerade heraus, daß
sie seine hochbegünstigte äußere Lage nicht für ungefährlich halte, daß ihr
aber auch in dieser Lage ernste Arbeit als die beste Hilfe für den jungen
Dichter erscheine, und daß gerade das am meisten seine Produktivität fördern
werde, was ihn scheinbar von ihr abziehe. Er stimmte allem zu, was ihm
die Freundin ans Herz legte, er wußte sehr gut, daß Wissen dem Dichter
not thue, wenn er nicht einseitig und schal werden soll, er scheute auch die
ernste Arbeit nicht. Aber diese Arbeit bezog sich meist und immer wieder auf
das Studium des theatralisch Wirksamen, auf die geschickte Zusammendrünguug
seiner kleinen Erfindungen. Der andern, der Hauptarbeit des Dichters: der ohne
Leiden und Kämpfe nicht zu gewinnenden Herrschaft der Phantasie über den
Weltreichtum und die Weltmannichfaltigkeit, die Schärfung des künstlerischen
Blicks für Seelen wie Zustände, dem Ringen nach höchster Wahrheit, wich
Putlitz unbewußt aus. Wer vermöchte klar zu unterscheiden, welchen Anteil
hieran eine ursprüngliche Unzulänglichkeit seiner Natur, die Gewöhnung an
das Schaffen nnter äußern Bedingungen, und endlich die Atmosphäre gesell¬
schaftlicher Überlieferungen und Umgebungen hatte? Im Jahre 1854 schrieb
ein so scharfer Prüfer wie Fr. Hebbel, der mit Putlitz in Mnrieubad näher
verkehrte, über den märkischen Dichter: "Er ist ein höchst gebildeter Mensch,
der in manche Tiefe geschaut hat, wenn seine Poesie auch leicht wie ein
gaukelnder Schmetterling darüber schwebt," und aus den mitgeteilten Briefen
von Putlitz läßt sich erkennen, daß er sich wahrlich nicht überschätzte, wenn
er sich "ein vielseitiges Interesse für alles Geistige" zusprach. Aber der Mangel,
deu er zu Zeiten selbst empfand, lag tiefer, und seine Freundin irrte sich ge¬
waltig, wenn sie von einer Versenkung des Dichters in die Geschichte seine
Beseitigung erwartete.

Daß es Gustav zu Putlitz auch in seiner Landeinsamkeit nicht an An¬
regungen und Eindrücken fehlte, beweist kein Teil seiner Lebensgeschichte besser,
als die Erzählung von der Netziner Aufführung der Oper "Rübezahl," die
erste, die Frau von Putlitz aus eigner goldner Erinnerung giebt. Da Putlitz
bei einem Winteraufenthalt in Berlin dem Komponisten Fr. von Flotow
näher getreten war und ihm den Text zur Oper "Indra" geschrieben hatte,
so war er auf deu Einfall gekommen, mit Flotow zusammen eine kleinere Oper
"Rübezahl" für die Aufführung im Hanse zu schaffen. Flotow kam zu diesem
Zwecke selbst nach Retzin, ebenso fand sich der Düsseldorfer Maler Camphausen
ein, der einen Vorhang und Dekorationen malte, und dessen Frau die Weib-


Gustav zu Putlitz

immer hinzu, daß er bei seiner litterarischen Arbeit Vergnügen empfinde, und
daß er unwillkürlich immer wieder ans Theater denke. Umsonst rief ihm
Marianne, die sich inzwischen mit einem Hamburger Wolff wieder verheiratet
hatte, energisch zu: „Laß vor allem dich nicht verführen, den Genuß des
Schaffens für ein ausreichendes Lebenselement zu halten, dieser Irrtum würde
dich entschieden unglücklich machen," umsonst sagte sie ihm gerade heraus, daß
sie seine hochbegünstigte äußere Lage nicht für ungefährlich halte, daß ihr
aber auch in dieser Lage ernste Arbeit als die beste Hilfe für den jungen
Dichter erscheine, und daß gerade das am meisten seine Produktivität fördern
werde, was ihn scheinbar von ihr abziehe. Er stimmte allem zu, was ihm
die Freundin ans Herz legte, er wußte sehr gut, daß Wissen dem Dichter
not thue, wenn er nicht einseitig und schal werden soll, er scheute auch die
ernste Arbeit nicht. Aber diese Arbeit bezog sich meist und immer wieder auf
das Studium des theatralisch Wirksamen, auf die geschickte Zusammendrünguug
seiner kleinen Erfindungen. Der andern, der Hauptarbeit des Dichters: der ohne
Leiden und Kämpfe nicht zu gewinnenden Herrschaft der Phantasie über den
Weltreichtum und die Weltmannichfaltigkeit, die Schärfung des künstlerischen
Blicks für Seelen wie Zustände, dem Ringen nach höchster Wahrheit, wich
Putlitz unbewußt aus. Wer vermöchte klar zu unterscheiden, welchen Anteil
hieran eine ursprüngliche Unzulänglichkeit seiner Natur, die Gewöhnung an
das Schaffen nnter äußern Bedingungen, und endlich die Atmosphäre gesell¬
schaftlicher Überlieferungen und Umgebungen hatte? Im Jahre 1854 schrieb
ein so scharfer Prüfer wie Fr. Hebbel, der mit Putlitz in Mnrieubad näher
verkehrte, über den märkischen Dichter: „Er ist ein höchst gebildeter Mensch,
der in manche Tiefe geschaut hat, wenn seine Poesie auch leicht wie ein
gaukelnder Schmetterling darüber schwebt," und aus den mitgeteilten Briefen
von Putlitz läßt sich erkennen, daß er sich wahrlich nicht überschätzte, wenn
er sich „ein vielseitiges Interesse für alles Geistige" zusprach. Aber der Mangel,
deu er zu Zeiten selbst empfand, lag tiefer, und seine Freundin irrte sich ge¬
waltig, wenn sie von einer Versenkung des Dichters in die Geschichte seine
Beseitigung erwartete.

Daß es Gustav zu Putlitz auch in seiner Landeinsamkeit nicht an An¬
regungen und Eindrücken fehlte, beweist kein Teil seiner Lebensgeschichte besser,
als die Erzählung von der Netziner Aufführung der Oper „Rübezahl," die
erste, die Frau von Putlitz aus eigner goldner Erinnerung giebt. Da Putlitz
bei einem Winteraufenthalt in Berlin dem Komponisten Fr. von Flotow
näher getreten war und ihm den Text zur Oper „Indra" geschrieben hatte,
so war er auf deu Einfall gekommen, mit Flotow zusammen eine kleinere Oper
„Rübezahl" für die Aufführung im Hanse zu schaffen. Flotow kam zu diesem
Zwecke selbst nach Retzin, ebenso fand sich der Düsseldorfer Maler Camphausen
ein, der einen Vorhang und Dekorationen malte, und dessen Frau die Weib-


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[0476] Gustav zu Putlitz immer hinzu, daß er bei seiner litterarischen Arbeit Vergnügen empfinde, und daß er unwillkürlich immer wieder ans Theater denke. Umsonst rief ihm Marianne, die sich inzwischen mit einem Hamburger Wolff wieder verheiratet hatte, energisch zu: „Laß vor allem dich nicht verführen, den Genuß des Schaffens für ein ausreichendes Lebenselement zu halten, dieser Irrtum würde dich entschieden unglücklich machen," umsonst sagte sie ihm gerade heraus, daß sie seine hochbegünstigte äußere Lage nicht für ungefährlich halte, daß ihr aber auch in dieser Lage ernste Arbeit als die beste Hilfe für den jungen Dichter erscheine, und daß gerade das am meisten seine Produktivität fördern werde, was ihn scheinbar von ihr abziehe. Er stimmte allem zu, was ihm die Freundin ans Herz legte, er wußte sehr gut, daß Wissen dem Dichter not thue, wenn er nicht einseitig und schal werden soll, er scheute auch die ernste Arbeit nicht. Aber diese Arbeit bezog sich meist und immer wieder auf das Studium des theatralisch Wirksamen, auf die geschickte Zusammendrünguug seiner kleinen Erfindungen. Der andern, der Hauptarbeit des Dichters: der ohne Leiden und Kämpfe nicht zu gewinnenden Herrschaft der Phantasie über den Weltreichtum und die Weltmannichfaltigkeit, die Schärfung des künstlerischen Blicks für Seelen wie Zustände, dem Ringen nach höchster Wahrheit, wich Putlitz unbewußt aus. Wer vermöchte klar zu unterscheiden, welchen Anteil hieran eine ursprüngliche Unzulänglichkeit seiner Natur, die Gewöhnung an das Schaffen nnter äußern Bedingungen, und endlich die Atmosphäre gesell¬ schaftlicher Überlieferungen und Umgebungen hatte? Im Jahre 1854 schrieb ein so scharfer Prüfer wie Fr. Hebbel, der mit Putlitz in Mnrieubad näher verkehrte, über den märkischen Dichter: „Er ist ein höchst gebildeter Mensch, der in manche Tiefe geschaut hat, wenn seine Poesie auch leicht wie ein gaukelnder Schmetterling darüber schwebt," und aus den mitgeteilten Briefen von Putlitz läßt sich erkennen, daß er sich wahrlich nicht überschätzte, wenn er sich „ein vielseitiges Interesse für alles Geistige" zusprach. Aber der Mangel, deu er zu Zeiten selbst empfand, lag tiefer, und seine Freundin irrte sich ge¬ waltig, wenn sie von einer Versenkung des Dichters in die Geschichte seine Beseitigung erwartete. Daß es Gustav zu Putlitz auch in seiner Landeinsamkeit nicht an An¬ regungen und Eindrücken fehlte, beweist kein Teil seiner Lebensgeschichte besser, als die Erzählung von der Netziner Aufführung der Oper „Rübezahl," die erste, die Frau von Putlitz aus eigner goldner Erinnerung giebt. Da Putlitz bei einem Winteraufenthalt in Berlin dem Komponisten Fr. von Flotow näher getreten war und ihm den Text zur Oper „Indra" geschrieben hatte, so war er auf deu Einfall gekommen, mit Flotow zusammen eine kleinere Oper „Rübezahl" für die Aufführung im Hanse zu schaffen. Flotow kam zu diesem Zwecke selbst nach Retzin, ebenso fand sich der Düsseldorfer Maler Camphausen ein, der einen Vorhang und Dekorationen malte, und dessen Frau die Weib-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/476>, abgerufen am 01.09.2024.