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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu putlitz

Adels gerade den tiefern und ernstern Leistungen der deutschen Litteratur un¬
willig den Rücken, gefiel sich in der Begünstigung des Nichtigen, scheinbar
Harmlosen, des Frivolen oder zur Abwechslung des bewußt Frommen --
beides oft hübsch neben einander. Wer vorzugsweise in diesen Kreisen lebte,
mußte es schon für einen Gewinn halten, wenn er überhaupt Teilnahme für
das bescheidenste Stück wirklichen Lebens erweckte. Und selbst das bescheidne
Stück sollte gesehen werden, nicht wie es Putlitz recht gut hätte sehen können,
sondern wie es hier durch die Brillen der Gesellschaft und dort durch die
Nergrößernngs- und Vergroberungsglüser der theatralischen Hcrkömmlichkeit
erschien. Daß Putlitz, statt sich auf seine eignen Augen zu verlassen, von
vornherein alle diese Gläser unbesehen und ungeprüft aufsetzte, hat seine Ent¬
wicklung sehr wesentlich beeinträchtigt.

Denn andrerseits, wie viel frische Lust und guter Wille, wie viel heitere
Stimmung und behagliche Teilnahme an einfachem Menschenglück, wie viel
scharfer Blick für Launen und komische Widersprüche der menschlichen Natur,
wie viel charakteristische Schilderung und wie viel sichere Gestaltungskraft
steckt doch in der ganzen Folge der ein- und zweiaktigen Stücke, mit denen
Putlitz in den nächsten Jahren die Bühne gewann. Die wirksamste" davon:
"Badekuren," "Familienzwist und Frieden," "Herz vergessen," "Nur keine
Liebe," "Der Brockenstrauß," "Die Waffen des Achill," "Seine Frau," "Der
Weg der Liebe," "Das Schwert des Damokles," "Spielt nicht mit dem Feuer,"
"Das Ständchen," "Brandenburgische Eroberungen," "Die alte Schachtel" usw.
haben sich Jahrzehnte hindurch fast auf allen Theatern gehalten und sind noch
immer die Zuflucht aller Liebhaberbühneu, weil in der That ein Stück Leben
und frische Wirklichkeit aus ihnen wirkt, weil man fühlt, daß der Verfasser
dieser kleinen Scherze einem sittenspiegcluden und echt komischen Lustspiel unser
gewesen ist, als ganze Folgen von Theaterschriftstellern. Putlitz hatte das
Zeug zu einem norddeutschen Bauernfeld in sich. Aber es gelang ihm nicht,
nachdem die Weiche einmal falsch gestellt war, in das richtige Gleis zu kommen,
in dem die theatralische Brauchbarkeit das Untergeordnete, weil Selbstverständ¬
liche, die Verkörperung der (poetischen) komischen Idee und die charakteristische
Belebung der Gestalten das Endziel bleibt. Putlitz täuschte sich keineswegs
darüber, daß er vou diesem Endziel noch fern sei, und es fehlte ihm auch nicht
an Mahnungen von außen. Wenn er eingestehen mußte, daß er in seiner
besondern Lage (er wohnte seit 1849 wieder ans dem Gute Retzin, das er
wenig später zur eignen Bewirtschaftung übernahm) allzusehr auf sich ange¬
wiesen sei, seine Stoffe mit niemand durchsprechen, sich in seiner Umgebung
weder Rat noch Mut holen könne ("mein Vater hat ganz andre Interessen,
namentlich aber keins fürs Theater. Er ist niemals ins Theater gegangen.
Meine Mutter hält zu viel vom Verfasser, um nicht alles herrlich zu finden,
und meine Schwestern haben viel mehr Interesse als Kritik"), so setzte er doch


Gustav zu putlitz

Adels gerade den tiefern und ernstern Leistungen der deutschen Litteratur un¬
willig den Rücken, gefiel sich in der Begünstigung des Nichtigen, scheinbar
Harmlosen, des Frivolen oder zur Abwechslung des bewußt Frommen —
beides oft hübsch neben einander. Wer vorzugsweise in diesen Kreisen lebte,
mußte es schon für einen Gewinn halten, wenn er überhaupt Teilnahme für
das bescheidenste Stück wirklichen Lebens erweckte. Und selbst das bescheidne
Stück sollte gesehen werden, nicht wie es Putlitz recht gut hätte sehen können,
sondern wie es hier durch die Brillen der Gesellschaft und dort durch die
Nergrößernngs- und Vergroberungsglüser der theatralischen Hcrkömmlichkeit
erschien. Daß Putlitz, statt sich auf seine eignen Augen zu verlassen, von
vornherein alle diese Gläser unbesehen und ungeprüft aufsetzte, hat seine Ent¬
wicklung sehr wesentlich beeinträchtigt.

Denn andrerseits, wie viel frische Lust und guter Wille, wie viel heitere
Stimmung und behagliche Teilnahme an einfachem Menschenglück, wie viel
scharfer Blick für Launen und komische Widersprüche der menschlichen Natur,
wie viel charakteristische Schilderung und wie viel sichere Gestaltungskraft
steckt doch in der ganzen Folge der ein- und zweiaktigen Stücke, mit denen
Putlitz in den nächsten Jahren die Bühne gewann. Die wirksamste» davon:
„Badekuren," „Familienzwist und Frieden," „Herz vergessen," „Nur keine
Liebe," „Der Brockenstrauß," „Die Waffen des Achill," „Seine Frau," „Der
Weg der Liebe," „Das Schwert des Damokles," „Spielt nicht mit dem Feuer,"
„Das Ständchen," „Brandenburgische Eroberungen," „Die alte Schachtel" usw.
haben sich Jahrzehnte hindurch fast auf allen Theatern gehalten und sind noch
immer die Zuflucht aller Liebhaberbühneu, weil in der That ein Stück Leben
und frische Wirklichkeit aus ihnen wirkt, weil man fühlt, daß der Verfasser
dieser kleinen Scherze einem sittenspiegcluden und echt komischen Lustspiel unser
gewesen ist, als ganze Folgen von Theaterschriftstellern. Putlitz hatte das
Zeug zu einem norddeutschen Bauernfeld in sich. Aber es gelang ihm nicht,
nachdem die Weiche einmal falsch gestellt war, in das richtige Gleis zu kommen,
in dem die theatralische Brauchbarkeit das Untergeordnete, weil Selbstverständ¬
liche, die Verkörperung der (poetischen) komischen Idee und die charakteristische
Belebung der Gestalten das Endziel bleibt. Putlitz täuschte sich keineswegs
darüber, daß er vou diesem Endziel noch fern sei, und es fehlte ihm auch nicht
an Mahnungen von außen. Wenn er eingestehen mußte, daß er in seiner
besondern Lage (er wohnte seit 1849 wieder ans dem Gute Retzin, das er
wenig später zur eignen Bewirtschaftung übernahm) allzusehr auf sich ange¬
wiesen sei, seine Stoffe mit niemand durchsprechen, sich in seiner Umgebung
weder Rat noch Mut holen könne („mein Vater hat ganz andre Interessen,
namentlich aber keins fürs Theater. Er ist niemals ins Theater gegangen.
Meine Mutter hält zu viel vom Verfasser, um nicht alles herrlich zu finden,
und meine Schwestern haben viel mehr Interesse als Kritik"), so setzte er doch


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[0475] Gustav zu putlitz Adels gerade den tiefern und ernstern Leistungen der deutschen Litteratur un¬ willig den Rücken, gefiel sich in der Begünstigung des Nichtigen, scheinbar Harmlosen, des Frivolen oder zur Abwechslung des bewußt Frommen — beides oft hübsch neben einander. Wer vorzugsweise in diesen Kreisen lebte, mußte es schon für einen Gewinn halten, wenn er überhaupt Teilnahme für das bescheidenste Stück wirklichen Lebens erweckte. Und selbst das bescheidne Stück sollte gesehen werden, nicht wie es Putlitz recht gut hätte sehen können, sondern wie es hier durch die Brillen der Gesellschaft und dort durch die Nergrößernngs- und Vergroberungsglüser der theatralischen Hcrkömmlichkeit erschien. Daß Putlitz, statt sich auf seine eignen Augen zu verlassen, von vornherein alle diese Gläser unbesehen und ungeprüft aufsetzte, hat seine Ent¬ wicklung sehr wesentlich beeinträchtigt. Denn andrerseits, wie viel frische Lust und guter Wille, wie viel heitere Stimmung und behagliche Teilnahme an einfachem Menschenglück, wie viel scharfer Blick für Launen und komische Widersprüche der menschlichen Natur, wie viel charakteristische Schilderung und wie viel sichere Gestaltungskraft steckt doch in der ganzen Folge der ein- und zweiaktigen Stücke, mit denen Putlitz in den nächsten Jahren die Bühne gewann. Die wirksamste» davon: „Badekuren," „Familienzwist und Frieden," „Herz vergessen," „Nur keine Liebe," „Der Brockenstrauß," „Die Waffen des Achill," „Seine Frau," „Der Weg der Liebe," „Das Schwert des Damokles," „Spielt nicht mit dem Feuer," „Das Ständchen," „Brandenburgische Eroberungen," „Die alte Schachtel" usw. haben sich Jahrzehnte hindurch fast auf allen Theatern gehalten und sind noch immer die Zuflucht aller Liebhaberbühneu, weil in der That ein Stück Leben und frische Wirklichkeit aus ihnen wirkt, weil man fühlt, daß der Verfasser dieser kleinen Scherze einem sittenspiegcluden und echt komischen Lustspiel unser gewesen ist, als ganze Folgen von Theaterschriftstellern. Putlitz hatte das Zeug zu einem norddeutschen Bauernfeld in sich. Aber es gelang ihm nicht, nachdem die Weiche einmal falsch gestellt war, in das richtige Gleis zu kommen, in dem die theatralische Brauchbarkeit das Untergeordnete, weil Selbstverständ¬ liche, die Verkörperung der (poetischen) komischen Idee und die charakteristische Belebung der Gestalten das Endziel bleibt. Putlitz täuschte sich keineswegs darüber, daß er vou diesem Endziel noch fern sei, und es fehlte ihm auch nicht an Mahnungen von außen. Wenn er eingestehen mußte, daß er in seiner besondern Lage (er wohnte seit 1849 wieder ans dem Gute Retzin, das er wenig später zur eignen Bewirtschaftung übernahm) allzusehr auf sich ange¬ wiesen sei, seine Stoffe mit niemand durchsprechen, sich in seiner Umgebung weder Rat noch Mut holen könne („mein Vater hat ganz andre Interessen, namentlich aber keins fürs Theater. Er ist niemals ins Theater gegangen. Meine Mutter hält zu viel vom Verfasser, um nicht alles herrlich zu finden, und meine Schwestern haben viel mehr Interesse als Kritik"), so setzte er doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/475>, abgerufen am 01.09.2024.