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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu putlitz

ein Jahr älter als er selbst war, schon in seinen Magdeburger Gymnasiasten¬
tagen kennen gelernt, zwischen damals und jetzt lagen ihre begluckendsten und
schwersten Erlebnisse, die Verlobung und Heirat mit Karl Jmmermcinn und
.dessen früher Tod uach einjähriger Ehe. Die Beziehung zu dieser Frau wurde,
wie die Biographie hervorhebt, für die beiden außergewöhnlichen Naturen von
großer Bedeutung. Marianne war durch ihre ersten Erlebnisse "viel gereifter
als ihr junger Freund, sodaß der Einfluß, den sie aus ihn ausübte, oft einen
mentorartigen Charakter annahm."

Mit dem Frühling des Jahres 1845 begann eine Korrespondenz, die bis
zum Tode der Freundin, vierzig Jahre hindurch währte. Gleich in einem ihrer
ersten Briefe spricht sie ihrem Schützling unumwunden aus: "Ich komme auf
einen Punkt, über den ich Sie schon einigemale gescholten habe, wie Sie zu
sagen beliebten, doch spreche ich nur meine Meinung aus. Daß ich auf Sie
halte und Ihre Anlagen nicht gering schätze, das wissen Sie ja, aber Sie
haben unter diesen Anlagen eine, die ich für gefährlich halte, nämlich den Hang
zum Dilettantismus." Bei seinem theatralischen Debüt mit dem Lustspiel
"Die blaue Schleife" ruft sie ihm ehrlich und tapfer zu: "Lieber, wie Sie
vor der Hand das Theater zu betrachten scheinen, so will es mir nicht vorkommen,
als ob es der Mühe lohnte, seine Interessen zum Mittelpunkt eines Lebens
zu machen. Sie scheinen weder an die sittliche noch an die ästhetische Er¬
ziehung des Publikums zu denken, wenn Sie darauf eingehen, dasselbe mit
der beliebten Alltagsspeise zu füttern, die der Athener seinem Demos giebt, und
jene Erziehung kann doch allein dem herabgekommnen Institut zu seiner Würde
verhelfen." Eine solche Frau war vollkommen imstande, den jungen Schrift¬
steller über sich selbst aufzuklären. Eins aber ermaß sie nicht. Zu seiner Ver¬
teidigung erwidert Putlitz: "Ich will über die Stelle nicht streiten, die die
Jutrigueustücke in der Poesie einnehmen, aber es ist eben der Geschmack des
jetzigen Publikums, und man kann es dem dramatischen Schriftsteller -- ich
sage nicht Dichter -- nicht verargen, wenn er sein Werk ebenso gut nach dem
Pariser Modejournal zuschreitet, als der Schneider seinen Rock. Der junge
Autor muß sich auf dem gern betretenen Wege einschleichen; später vielleicht
kann er diesem Wege selbst ein Ziel geben." Marianne wußte nicht, daß hinter
dieser Selbstverteidigung etwas ganz andres, viel unüberwindlicheres lag, als
die wenig wühlerische Lust eines jungen Dramatikers am platten Bühnenerfolg.
Die Gewohnheit des Aristokraten, die Durchschnittsmeinung und allgemeine
Stimmung seines besondern Lebenskreises zu respektiren, im Einklang mit dem
meist schlechten Geschmack der guten Gesellschaft zu bleiben, spielte bei Putlitzens
ersten dramatischen Anläufen ganz ersichtlich mit. Und die Verhältnisse lagen
in dieser Beziehung in den vierziger Jahren für den werdenden Dichter so un¬
günstig als möglich. Seit dem Niedergang der Romantik und dem Emporkommen
der liberal angehauchten Tendenzpoesie kehrte der größere Teil des deutschen


Gustav zu putlitz

ein Jahr älter als er selbst war, schon in seinen Magdeburger Gymnasiasten¬
tagen kennen gelernt, zwischen damals und jetzt lagen ihre begluckendsten und
schwersten Erlebnisse, die Verlobung und Heirat mit Karl Jmmermcinn und
.dessen früher Tod uach einjähriger Ehe. Die Beziehung zu dieser Frau wurde,
wie die Biographie hervorhebt, für die beiden außergewöhnlichen Naturen von
großer Bedeutung. Marianne war durch ihre ersten Erlebnisse „viel gereifter
als ihr junger Freund, sodaß der Einfluß, den sie aus ihn ausübte, oft einen
mentorartigen Charakter annahm."

Mit dem Frühling des Jahres 1845 begann eine Korrespondenz, die bis
zum Tode der Freundin, vierzig Jahre hindurch währte. Gleich in einem ihrer
ersten Briefe spricht sie ihrem Schützling unumwunden aus: „Ich komme auf
einen Punkt, über den ich Sie schon einigemale gescholten habe, wie Sie zu
sagen beliebten, doch spreche ich nur meine Meinung aus. Daß ich auf Sie
halte und Ihre Anlagen nicht gering schätze, das wissen Sie ja, aber Sie
haben unter diesen Anlagen eine, die ich für gefährlich halte, nämlich den Hang
zum Dilettantismus." Bei seinem theatralischen Debüt mit dem Lustspiel
„Die blaue Schleife" ruft sie ihm ehrlich und tapfer zu: „Lieber, wie Sie
vor der Hand das Theater zu betrachten scheinen, so will es mir nicht vorkommen,
als ob es der Mühe lohnte, seine Interessen zum Mittelpunkt eines Lebens
zu machen. Sie scheinen weder an die sittliche noch an die ästhetische Er¬
ziehung des Publikums zu denken, wenn Sie darauf eingehen, dasselbe mit
der beliebten Alltagsspeise zu füttern, die der Athener seinem Demos giebt, und
jene Erziehung kann doch allein dem herabgekommnen Institut zu seiner Würde
verhelfen." Eine solche Frau war vollkommen imstande, den jungen Schrift¬
steller über sich selbst aufzuklären. Eins aber ermaß sie nicht. Zu seiner Ver¬
teidigung erwidert Putlitz: „Ich will über die Stelle nicht streiten, die die
Jutrigueustücke in der Poesie einnehmen, aber es ist eben der Geschmack des
jetzigen Publikums, und man kann es dem dramatischen Schriftsteller — ich
sage nicht Dichter — nicht verargen, wenn er sein Werk ebenso gut nach dem
Pariser Modejournal zuschreitet, als der Schneider seinen Rock. Der junge
Autor muß sich auf dem gern betretenen Wege einschleichen; später vielleicht
kann er diesem Wege selbst ein Ziel geben." Marianne wußte nicht, daß hinter
dieser Selbstverteidigung etwas ganz andres, viel unüberwindlicheres lag, als
die wenig wühlerische Lust eines jungen Dramatikers am platten Bühnenerfolg.
Die Gewohnheit des Aristokraten, die Durchschnittsmeinung und allgemeine
Stimmung seines besondern Lebenskreises zu respektiren, im Einklang mit dem
meist schlechten Geschmack der guten Gesellschaft zu bleiben, spielte bei Putlitzens
ersten dramatischen Anläufen ganz ersichtlich mit. Und die Verhältnisse lagen
in dieser Beziehung in den vierziger Jahren für den werdenden Dichter so un¬
günstig als möglich. Seit dem Niedergang der Romantik und dem Emporkommen
der liberal angehauchten Tendenzpoesie kehrte der größere Teil des deutschen


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[0474] Gustav zu putlitz ein Jahr älter als er selbst war, schon in seinen Magdeburger Gymnasiasten¬ tagen kennen gelernt, zwischen damals und jetzt lagen ihre begluckendsten und schwersten Erlebnisse, die Verlobung und Heirat mit Karl Jmmermcinn und .dessen früher Tod uach einjähriger Ehe. Die Beziehung zu dieser Frau wurde, wie die Biographie hervorhebt, für die beiden außergewöhnlichen Naturen von großer Bedeutung. Marianne war durch ihre ersten Erlebnisse „viel gereifter als ihr junger Freund, sodaß der Einfluß, den sie aus ihn ausübte, oft einen mentorartigen Charakter annahm." Mit dem Frühling des Jahres 1845 begann eine Korrespondenz, die bis zum Tode der Freundin, vierzig Jahre hindurch währte. Gleich in einem ihrer ersten Briefe spricht sie ihrem Schützling unumwunden aus: „Ich komme auf einen Punkt, über den ich Sie schon einigemale gescholten habe, wie Sie zu sagen beliebten, doch spreche ich nur meine Meinung aus. Daß ich auf Sie halte und Ihre Anlagen nicht gering schätze, das wissen Sie ja, aber Sie haben unter diesen Anlagen eine, die ich für gefährlich halte, nämlich den Hang zum Dilettantismus." Bei seinem theatralischen Debüt mit dem Lustspiel „Die blaue Schleife" ruft sie ihm ehrlich und tapfer zu: „Lieber, wie Sie vor der Hand das Theater zu betrachten scheinen, so will es mir nicht vorkommen, als ob es der Mühe lohnte, seine Interessen zum Mittelpunkt eines Lebens zu machen. Sie scheinen weder an die sittliche noch an die ästhetische Er¬ ziehung des Publikums zu denken, wenn Sie darauf eingehen, dasselbe mit der beliebten Alltagsspeise zu füttern, die der Athener seinem Demos giebt, und jene Erziehung kann doch allein dem herabgekommnen Institut zu seiner Würde verhelfen." Eine solche Frau war vollkommen imstande, den jungen Schrift¬ steller über sich selbst aufzuklären. Eins aber ermaß sie nicht. Zu seiner Ver¬ teidigung erwidert Putlitz: „Ich will über die Stelle nicht streiten, die die Jutrigueustücke in der Poesie einnehmen, aber es ist eben der Geschmack des jetzigen Publikums, und man kann es dem dramatischen Schriftsteller — ich sage nicht Dichter — nicht verargen, wenn er sein Werk ebenso gut nach dem Pariser Modejournal zuschreitet, als der Schneider seinen Rock. Der junge Autor muß sich auf dem gern betretenen Wege einschleichen; später vielleicht kann er diesem Wege selbst ein Ziel geben." Marianne wußte nicht, daß hinter dieser Selbstverteidigung etwas ganz andres, viel unüberwindlicheres lag, als die wenig wühlerische Lust eines jungen Dramatikers am platten Bühnenerfolg. Die Gewohnheit des Aristokraten, die Durchschnittsmeinung und allgemeine Stimmung seines besondern Lebenskreises zu respektiren, im Einklang mit dem meist schlechten Geschmack der guten Gesellschaft zu bleiben, spielte bei Putlitzens ersten dramatischen Anläufen ganz ersichtlich mit. Und die Verhältnisse lagen in dieser Beziehung in den vierziger Jahren für den werdenden Dichter so un¬ günstig als möglich. Seit dem Niedergang der Romantik und dem Emporkommen der liberal angehauchten Tendenzpoesie kehrte der größere Teil des deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/474>, abgerufen am 01.09.2024.