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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu Putlitz

Bis zum zwölften Jahre erfreute sich Putlitz dieser ländlichen Freiheit
ohne Einschränkung, Gouvernante und Hauslehrer erteilten ihm und seinen
Geschwistern den ersten Unterricht. Aber 1834 wurde er dem Gymnasium des
Liebfrauenklosters in Magdeburg und zugleich dem Alumnat dieser Schule an-,
vertraut und verbrachte fortan nur noch die Ferien in Retzin. Er hatte das
seltene Glück, unter seinen Lehrern eine Persönlichkeit von idealem Charakter¬
voll feinem und tiefem Geist zum Freunde zu gewinnen, Ferdinand Immer-
mann, den jüngern Bruder des Dichters Karl Immermann. Dieser wußte
das litterarische Interesse des Jünglings zu wecken und zu steigern und er¬
schloß ihm nicht bloß das Verständnis der Dichtungen seines Bruders, sondern
einer ganzen Reihe von poetischen Erscheinungen. Bei Immermanns Grund-
anschauungen läßt sich kaum zweifeln, daß der junge Putlitz stärkere Neigungen
zur Romantik in sich aufnahm, als sich selbst in seinen Märchenstrauß "Was
sich der Wald erzählt" kundgeben.

Das Gegengewicht gegen eine ausschließliche Geltung romantischer Elemente
und traumhafter Sehnsucht nach der blauen Blume suchte und fand dann der
angehende Student der Rechte in seinen ersten Berliner Semestern im fran¬
zösischen Schauspiel der preußischen Hauptstadt, in dem damals fast aus¬
schließlich Seribe herrschte. Und der Einfluß der geselligen Kreise, denen er
durch seine Geburt angehörte, sorgte dafür, daß Putlitz in der Schätzung der
leichten, aber geschickt gebauten, im Dialog höchst lebendigen Stücke des fran¬
zösischen Bourgeoisdramatikers fester verharrte, als es einem jungen deutscheu
Dichter der vierziger Jahre eigentlich gemäß war. In der Auffassung aristo¬
kratischer Kreise standen Scribes Lustspiele schon um ihres "guten Französisch"
willen in großer Achtung, und Putlitz ließ offenbar diese Auffassung mit der¬
selben jugendlichen Naivität gelten, mit der er Immermanns tiefere poetische
Empfindung und kritische Feinheit auf sich hatte einwirken lassen.

Aus der weitern Jugendgeschichte des werdenden Dichters sind nur einige
Punkte hervorzuheben. Von Ostern 1842 bis zum Sommer 1843 studirte er
in Heidelberg, trat dann in das Korps Gnestphalia ein und stand im letzten
Semester als Senior an der Spitze dieser Verbindung. Den Winter von
1843 zu 1844 verbrachte er wieder in Berlin, wo er sich abwechselnd in den
Hörsülen und in geselligen Kreisen bewegte, diente dann sein Freiwilligenjahr
beim zweiten Garderegiment ab und arbeitete als Referendar beim Berliner
Kriminalgericht. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und seine frische Lebens¬
lust erwarben ihm überall Freunde/ Durch den Verkehr in einem der letzten
litterarischen Salons im alten Berlin, dein des Fräulein Solmar, trat er
zuerst zu einigen hervorragenden Schriftstellern und Künstlern in persönliche
Beziehungen. Wichtiger wurde für ihn die Erneuerung und Vertiefung der
Freundschaft zu Marianne Immermann, der jungen Witwe des Dichters des
"Merlin" und des "Münchhausen." Er hatte Marianne Niemeyer, die nur


Grenzboten I 1896 59
Gustav zu Putlitz

Bis zum zwölften Jahre erfreute sich Putlitz dieser ländlichen Freiheit
ohne Einschränkung, Gouvernante und Hauslehrer erteilten ihm und seinen
Geschwistern den ersten Unterricht. Aber 1834 wurde er dem Gymnasium des
Liebfrauenklosters in Magdeburg und zugleich dem Alumnat dieser Schule an-,
vertraut und verbrachte fortan nur noch die Ferien in Retzin. Er hatte das
seltene Glück, unter seinen Lehrern eine Persönlichkeit von idealem Charakter¬
voll feinem und tiefem Geist zum Freunde zu gewinnen, Ferdinand Immer-
mann, den jüngern Bruder des Dichters Karl Immermann. Dieser wußte
das litterarische Interesse des Jünglings zu wecken und zu steigern und er¬
schloß ihm nicht bloß das Verständnis der Dichtungen seines Bruders, sondern
einer ganzen Reihe von poetischen Erscheinungen. Bei Immermanns Grund-
anschauungen läßt sich kaum zweifeln, daß der junge Putlitz stärkere Neigungen
zur Romantik in sich aufnahm, als sich selbst in seinen Märchenstrauß „Was
sich der Wald erzählt" kundgeben.

Das Gegengewicht gegen eine ausschließliche Geltung romantischer Elemente
und traumhafter Sehnsucht nach der blauen Blume suchte und fand dann der
angehende Student der Rechte in seinen ersten Berliner Semestern im fran¬
zösischen Schauspiel der preußischen Hauptstadt, in dem damals fast aus¬
schließlich Seribe herrschte. Und der Einfluß der geselligen Kreise, denen er
durch seine Geburt angehörte, sorgte dafür, daß Putlitz in der Schätzung der
leichten, aber geschickt gebauten, im Dialog höchst lebendigen Stücke des fran¬
zösischen Bourgeoisdramatikers fester verharrte, als es einem jungen deutscheu
Dichter der vierziger Jahre eigentlich gemäß war. In der Auffassung aristo¬
kratischer Kreise standen Scribes Lustspiele schon um ihres „guten Französisch"
willen in großer Achtung, und Putlitz ließ offenbar diese Auffassung mit der¬
selben jugendlichen Naivität gelten, mit der er Immermanns tiefere poetische
Empfindung und kritische Feinheit auf sich hatte einwirken lassen.

Aus der weitern Jugendgeschichte des werdenden Dichters sind nur einige
Punkte hervorzuheben. Von Ostern 1842 bis zum Sommer 1843 studirte er
in Heidelberg, trat dann in das Korps Gnestphalia ein und stand im letzten
Semester als Senior an der Spitze dieser Verbindung. Den Winter von
1843 zu 1844 verbrachte er wieder in Berlin, wo er sich abwechselnd in den
Hörsülen und in geselligen Kreisen bewegte, diente dann sein Freiwilligenjahr
beim zweiten Garderegiment ab und arbeitete als Referendar beim Berliner
Kriminalgericht. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und seine frische Lebens¬
lust erwarben ihm überall Freunde/ Durch den Verkehr in einem der letzten
litterarischen Salons im alten Berlin, dein des Fräulein Solmar, trat er
zuerst zu einigen hervorragenden Schriftstellern und Künstlern in persönliche
Beziehungen. Wichtiger wurde für ihn die Erneuerung und Vertiefung der
Freundschaft zu Marianne Immermann, der jungen Witwe des Dichters des
„Merlin" und des „Münchhausen." Er hatte Marianne Niemeyer, die nur


Grenzboten I 1896 59
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[0473] Gustav zu Putlitz Bis zum zwölften Jahre erfreute sich Putlitz dieser ländlichen Freiheit ohne Einschränkung, Gouvernante und Hauslehrer erteilten ihm und seinen Geschwistern den ersten Unterricht. Aber 1834 wurde er dem Gymnasium des Liebfrauenklosters in Magdeburg und zugleich dem Alumnat dieser Schule an-, vertraut und verbrachte fortan nur noch die Ferien in Retzin. Er hatte das seltene Glück, unter seinen Lehrern eine Persönlichkeit von idealem Charakter¬ voll feinem und tiefem Geist zum Freunde zu gewinnen, Ferdinand Immer- mann, den jüngern Bruder des Dichters Karl Immermann. Dieser wußte das litterarische Interesse des Jünglings zu wecken und zu steigern und er¬ schloß ihm nicht bloß das Verständnis der Dichtungen seines Bruders, sondern einer ganzen Reihe von poetischen Erscheinungen. Bei Immermanns Grund- anschauungen läßt sich kaum zweifeln, daß der junge Putlitz stärkere Neigungen zur Romantik in sich aufnahm, als sich selbst in seinen Märchenstrauß „Was sich der Wald erzählt" kundgeben. Das Gegengewicht gegen eine ausschließliche Geltung romantischer Elemente und traumhafter Sehnsucht nach der blauen Blume suchte und fand dann der angehende Student der Rechte in seinen ersten Berliner Semestern im fran¬ zösischen Schauspiel der preußischen Hauptstadt, in dem damals fast aus¬ schließlich Seribe herrschte. Und der Einfluß der geselligen Kreise, denen er durch seine Geburt angehörte, sorgte dafür, daß Putlitz in der Schätzung der leichten, aber geschickt gebauten, im Dialog höchst lebendigen Stücke des fran¬ zösischen Bourgeoisdramatikers fester verharrte, als es einem jungen deutscheu Dichter der vierziger Jahre eigentlich gemäß war. In der Auffassung aristo¬ kratischer Kreise standen Scribes Lustspiele schon um ihres „guten Französisch" willen in großer Achtung, und Putlitz ließ offenbar diese Auffassung mit der¬ selben jugendlichen Naivität gelten, mit der er Immermanns tiefere poetische Empfindung und kritische Feinheit auf sich hatte einwirken lassen. Aus der weitern Jugendgeschichte des werdenden Dichters sind nur einige Punkte hervorzuheben. Von Ostern 1842 bis zum Sommer 1843 studirte er in Heidelberg, trat dann in das Korps Gnestphalia ein und stand im letzten Semester als Senior an der Spitze dieser Verbindung. Den Winter von 1843 zu 1844 verbrachte er wieder in Berlin, wo er sich abwechselnd in den Hörsülen und in geselligen Kreisen bewegte, diente dann sein Freiwilligenjahr beim zweiten Garderegiment ab und arbeitete als Referendar beim Berliner Kriminalgericht. Seine liebenswürdige Persönlichkeit und seine frische Lebens¬ lust erwarben ihm überall Freunde/ Durch den Verkehr in einem der letzten litterarischen Salons im alten Berlin, dein des Fräulein Solmar, trat er zuerst zu einigen hervorragenden Schriftstellern und Künstlern in persönliche Beziehungen. Wichtiger wurde für ihn die Erneuerung und Vertiefung der Freundschaft zu Marianne Immermann, der jungen Witwe des Dichters des „Merlin" und des „Münchhausen." Er hatte Marianne Niemeyer, die nur Grenzboten I 1896 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/473>, abgerufen am 01.09.2024.