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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Gustav zu Putlitz

Gewohnheit, die Form über den Gehalt zu setzen, eine unbewußt lähmende
Wirkung auf die Anläufe einer künstlerischen Natur hervorbringt? Und wenn
nun gerade die Ausführlichkeit, die pietätvolle Erinnerung, der das Kleinste
wert und wichtig erscheint, diese Thatsache unbewußt ins hellste Licht setzt, so
wird doch sicherlich die auf den ersten Blick behauptete Ungerechtigkeit mehr
als ausgeglichen, und die Wahrheit kommt, unbeschadet der Teilnahme und
Pietät, zu ihrem Rechte.

Das Geschlecht der Putlitz, von denen der Dichter Gustav zu Putlitz ab¬
stammte, deren Name schon in den Kämpfen der ersten Hohenzvllernmark-
grafen mit den trotzigen alten Junkerfamilien der Mark hervortrat, deren Senior
Erbmarschall der Kurmark Brandenburg hieß, und die seit Jahrhunderten, wie
alle ehemaligen Kämpfer vom Kremmer Damm, getreue Vasallen der Hohen-
zollern geworden waren, war auf den Rittergütern Groß-Pankow, Retzin u. a.
in der Priegnitz angesessen. Eine lange Reihe von tüchtigen Soldaten und
Landwirten hatte dem alten Geschlecht angehört, ehe ein künstlerisches Talent
in dem Herrenhause von Retzin (wo Gustav zu Putlitz am 21. März 1821
geboren war) heranwuchs. Die behaglich schlichten Verhältnisse, die bis in die
fünfziger Jahre unsers Jahrhunderts in den meisten Familien des norddeutschen
Landadels vorherrschten, kamen der Erziehung und Entwicklung des geistig
begabten Knaben in entscheidender Weise zu gute. Frau vou Putlitz erzählt:
"Die gleichmäßige Lebensweise im Hause der Eltern wurde nur durch den
regen Verkehr mit dem nahen Pcmkower Familienkreise, sowie mit einigen
Nachbarfamilien unterbrochen; unter den letztern war es besonders die Familie
von Möllendorf in Krampfer, mit der Gustavs Eltern sehr befreundet waren.
Die Verkehrsmittel im ersten Drittel dieses Jahrhunderts waren im Vergleich
zur Gegenwart unglaublich wenig ausgebildet. Zuerst machte eine Chaussee
zwischen Berlin und Hamburg ein leichteres Fortkommen möglich. Im Herbst
1846 wurde dann die Hamburger Eisenbahn dazugefügt, aber in Gustavs
Kindheit und Jugend fuhr man noch mit eignen Pferden und Wagen von
Retzin nach Berlin, eine Reise, die sich alljährlich zur Zeit des Wollmarkts
für Gustavs Vater wiederholte, und öfters benutzten die Eltern die Gelegenheit,
um die auf dem Wege liegenden Verwandtenhäuser von Herrn von Nysselmann
in Schönwalde und Herrn von Nedern in Warsdorf aufzusuchen, in denen die
Schwestern von Gustavs Mutter als Hausfrauen walteten. Die ältesten Kinder
wurden mitgenommen und feierten mit der Mutter fröhliche Tage im Kreise
der Verwandten, während der Vater seinen Geschäften in Berlin nachging-
Im Herbst wurden dann meist die Besuche erwidert, und das kleine Haus in
Retzin gewährte schon damals in einfacher, herzlicher Weise die Gastfreundschaft,
die es sich auch in fernern Tagen bewahrt hat." Wer sich diese Zeilen beleben
kann, dem leuchtet eine Fülle von Knabenglück, von frischer Jugendlust in
Haus, Feld und Wald entgegen.


Gustav zu Putlitz

Gewohnheit, die Form über den Gehalt zu setzen, eine unbewußt lähmende
Wirkung auf die Anläufe einer künstlerischen Natur hervorbringt? Und wenn
nun gerade die Ausführlichkeit, die pietätvolle Erinnerung, der das Kleinste
wert und wichtig erscheint, diese Thatsache unbewußt ins hellste Licht setzt, so
wird doch sicherlich die auf den ersten Blick behauptete Ungerechtigkeit mehr
als ausgeglichen, und die Wahrheit kommt, unbeschadet der Teilnahme und
Pietät, zu ihrem Rechte.

Das Geschlecht der Putlitz, von denen der Dichter Gustav zu Putlitz ab¬
stammte, deren Name schon in den Kämpfen der ersten Hohenzvllernmark-
grafen mit den trotzigen alten Junkerfamilien der Mark hervortrat, deren Senior
Erbmarschall der Kurmark Brandenburg hieß, und die seit Jahrhunderten, wie
alle ehemaligen Kämpfer vom Kremmer Damm, getreue Vasallen der Hohen-
zollern geworden waren, war auf den Rittergütern Groß-Pankow, Retzin u. a.
in der Priegnitz angesessen. Eine lange Reihe von tüchtigen Soldaten und
Landwirten hatte dem alten Geschlecht angehört, ehe ein künstlerisches Talent
in dem Herrenhause von Retzin (wo Gustav zu Putlitz am 21. März 1821
geboren war) heranwuchs. Die behaglich schlichten Verhältnisse, die bis in die
fünfziger Jahre unsers Jahrhunderts in den meisten Familien des norddeutschen
Landadels vorherrschten, kamen der Erziehung und Entwicklung des geistig
begabten Knaben in entscheidender Weise zu gute. Frau vou Putlitz erzählt:
„Die gleichmäßige Lebensweise im Hause der Eltern wurde nur durch den
regen Verkehr mit dem nahen Pcmkower Familienkreise, sowie mit einigen
Nachbarfamilien unterbrochen; unter den letztern war es besonders die Familie
von Möllendorf in Krampfer, mit der Gustavs Eltern sehr befreundet waren.
Die Verkehrsmittel im ersten Drittel dieses Jahrhunderts waren im Vergleich
zur Gegenwart unglaublich wenig ausgebildet. Zuerst machte eine Chaussee
zwischen Berlin und Hamburg ein leichteres Fortkommen möglich. Im Herbst
1846 wurde dann die Hamburger Eisenbahn dazugefügt, aber in Gustavs
Kindheit und Jugend fuhr man noch mit eignen Pferden und Wagen von
Retzin nach Berlin, eine Reise, die sich alljährlich zur Zeit des Wollmarkts
für Gustavs Vater wiederholte, und öfters benutzten die Eltern die Gelegenheit,
um die auf dem Wege liegenden Verwandtenhäuser von Herrn von Nysselmann
in Schönwalde und Herrn von Nedern in Warsdorf aufzusuchen, in denen die
Schwestern von Gustavs Mutter als Hausfrauen walteten. Die ältesten Kinder
wurden mitgenommen und feierten mit der Mutter fröhliche Tage im Kreise
der Verwandten, während der Vater seinen Geschäften in Berlin nachging-
Im Herbst wurden dann meist die Besuche erwidert, und das kleine Haus in
Retzin gewährte schon damals in einfacher, herzlicher Weise die Gastfreundschaft,
die es sich auch in fernern Tagen bewahrt hat." Wer sich diese Zeilen beleben
kann, dem leuchtet eine Fülle von Knabenglück, von frischer Jugendlust in
Haus, Feld und Wald entgegen.


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[0472] Gustav zu Putlitz Gewohnheit, die Form über den Gehalt zu setzen, eine unbewußt lähmende Wirkung auf die Anläufe einer künstlerischen Natur hervorbringt? Und wenn nun gerade die Ausführlichkeit, die pietätvolle Erinnerung, der das Kleinste wert und wichtig erscheint, diese Thatsache unbewußt ins hellste Licht setzt, so wird doch sicherlich die auf den ersten Blick behauptete Ungerechtigkeit mehr als ausgeglichen, und die Wahrheit kommt, unbeschadet der Teilnahme und Pietät, zu ihrem Rechte. Das Geschlecht der Putlitz, von denen der Dichter Gustav zu Putlitz ab¬ stammte, deren Name schon in den Kämpfen der ersten Hohenzvllernmark- grafen mit den trotzigen alten Junkerfamilien der Mark hervortrat, deren Senior Erbmarschall der Kurmark Brandenburg hieß, und die seit Jahrhunderten, wie alle ehemaligen Kämpfer vom Kremmer Damm, getreue Vasallen der Hohen- zollern geworden waren, war auf den Rittergütern Groß-Pankow, Retzin u. a. in der Priegnitz angesessen. Eine lange Reihe von tüchtigen Soldaten und Landwirten hatte dem alten Geschlecht angehört, ehe ein künstlerisches Talent in dem Herrenhause von Retzin (wo Gustav zu Putlitz am 21. März 1821 geboren war) heranwuchs. Die behaglich schlichten Verhältnisse, die bis in die fünfziger Jahre unsers Jahrhunderts in den meisten Familien des norddeutschen Landadels vorherrschten, kamen der Erziehung und Entwicklung des geistig begabten Knaben in entscheidender Weise zu gute. Frau vou Putlitz erzählt: „Die gleichmäßige Lebensweise im Hause der Eltern wurde nur durch den regen Verkehr mit dem nahen Pcmkower Familienkreise, sowie mit einigen Nachbarfamilien unterbrochen; unter den letztern war es besonders die Familie von Möllendorf in Krampfer, mit der Gustavs Eltern sehr befreundet waren. Die Verkehrsmittel im ersten Drittel dieses Jahrhunderts waren im Vergleich zur Gegenwart unglaublich wenig ausgebildet. Zuerst machte eine Chaussee zwischen Berlin und Hamburg ein leichteres Fortkommen möglich. Im Herbst 1846 wurde dann die Hamburger Eisenbahn dazugefügt, aber in Gustavs Kindheit und Jugend fuhr man noch mit eignen Pferden und Wagen von Retzin nach Berlin, eine Reise, die sich alljährlich zur Zeit des Wollmarkts für Gustavs Vater wiederholte, und öfters benutzten die Eltern die Gelegenheit, um die auf dem Wege liegenden Verwandtenhäuser von Herrn von Nysselmann in Schönwalde und Herrn von Nedern in Warsdorf aufzusuchen, in denen die Schwestern von Gustavs Mutter als Hausfrauen walteten. Die ältesten Kinder wurden mitgenommen und feierten mit der Mutter fröhliche Tage im Kreise der Verwandten, während der Vater seinen Geschäften in Berlin nachging- Im Herbst wurden dann meist die Besuche erwidert, und das kleine Haus in Retzin gewährte schon damals in einfacher, herzlicher Weise die Gastfreundschaft, die es sich auch in fernern Tagen bewahrt hat." Wer sich diese Zeilen beleben kann, dem leuchtet eine Fülle von Knabenglück, von frischer Jugendlust in Haus, Feld und Wald entgegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/472>, abgerufen am 01.09.2024.