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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

bahnhof, der Frankfnrterbuchhandcl. Warum schreibt man also: die Frank¬
furterstraße? In allen diesen Fällen steht Frankfurter im adjektivischen Sinne
(für fraukfurtisch). Frankfurterstraße kannte nur eine Straße bedeuten, auf
der lauter Frankfurter wohnen, wie Fleischergasse, Gerbergasse, Töpfer¬
gasse die Gassen bezeichnen, wo ehemals die Fleischer, die Gerber, die Töpfer
wohnten. Eine Berliner Versammlung ist eine Versammlung, die in Berlin
stattfindet, eine Verlinerversammluug eine Versammlung, zu der lauter Ber¬
liner kommen. Die Herrnhuter Gemeinde ist die Gemeinde der Stadt Herrn¬
hut, aber eine Herrnhutergemeinde kann in jeder beliebigen andern Stadt sein.
Wer in dieser Unterscheidung eine "rein orthographische Frage" sieht, kann uns
aufrichtig leid thun. Am Ende ist es gar noch eine "rein orthographische Frage,"
ob jemand ein Fremdenbuch von einem fremden Buch, einen kranken
Wärter von einem Krankenwärter und el" liebes Lied von einem Liebes¬
lied unterscheidet.


Berichtigung.

In dem vortrefflichen Artikel von K. Lange: "War Dürer
ein Papist?" (Ur. 6) wird Anton Springers als eines Katholiken gedacht. Ich
erlaube mir zur Berichtigung zu bemerken, was vielleicht mich den Verfasser jenes
Artikels interessiren wird, daß Professor Springer gleich nach seiner Berufung an
die Universität Leipzig bei mir seinen Übertritt zum Protestantismus, den er
innerlich längst vollzogen hatte, auch formell vollzogen hat, und zwar mit dem
ausdrücklichen Wunsche, nach der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas von
niemand mehr als Glied der römischen Kirche angesehen zu werden. Dies zur
Steuer der Wahrheit, wenn es etwa Herrn A. Weber einfallen sollte, den Ge¬
lehrten Springer für die katholische Welt in Anspruch zu nehmen und sich dafür
auf den Aufsatz seines Gegners zu berufen.


D. Vreydorff


Litteratur

Kleine Lvrik Es ist doch hübsch, wenn die Musen den früher erkornen
Wohnsitzen nicht unireu werden, und ganz besonders nett und nnterchaltend .se es.
an dem sei" ausgestatteten Göttinger Mu enalmauach für 1896 (D.etercchsche
Verlagsbuchhandlung) zu sehen, wie verschieden sich here.es das p.nge Blut der
Musensöhne je nach Herkunft und Temperament anch in solchen Fe.ertagsaußerungen
anläßt Bei dem einen verwandelt sich die Erinnerung an eme Fer.eure.se nach
Venedig in eine schwermütige "Novellette" von einem Mönch der ihn in einer
der Lagnnenkirchen umhergeführt hat. Der Mnge Baron ans Münsterland schafft
dagegen Sagen feiner lieben Heimatgegend zu Balladen und Se.mmnngsb.idem
um- Moor Heide Nebel, alles melancholisch. Wieder anders macht es der Ham¬
burger Pät'rizierssoh.n Lustspiel und Satire, also leichteres Blut! Aber ganz so
blasirt und Weiterfahren ist der junge Herr doch sicherlich noch nicht wie sein
"Pierrot im Bnllsaal." Besonders hübsch, gemütvoll und stimmungsvoll sind
kleine Prosaerznhluugen eines Osnabrückers, "Erinnerungen aus Schottland." In
denen ist wirklich Erlebtes und psychologische Beobachtung. Und so geht es weiter.


Litteratur

bahnhof, der Frankfnrterbuchhandcl. Warum schreibt man also: die Frank¬
furterstraße? In allen diesen Fällen steht Frankfurter im adjektivischen Sinne
(für fraukfurtisch). Frankfurterstraße kannte nur eine Straße bedeuten, auf
der lauter Frankfurter wohnen, wie Fleischergasse, Gerbergasse, Töpfer¬
gasse die Gassen bezeichnen, wo ehemals die Fleischer, die Gerber, die Töpfer
wohnten. Eine Berliner Versammlung ist eine Versammlung, die in Berlin
stattfindet, eine Verlinerversammluug eine Versammlung, zu der lauter Ber¬
liner kommen. Die Herrnhuter Gemeinde ist die Gemeinde der Stadt Herrn¬
hut, aber eine Herrnhutergemeinde kann in jeder beliebigen andern Stadt sein.
Wer in dieser Unterscheidung eine „rein orthographische Frage" sieht, kann uns
aufrichtig leid thun. Am Ende ist es gar noch eine „rein orthographische Frage,"
ob jemand ein Fremdenbuch von einem fremden Buch, einen kranken
Wärter von einem Krankenwärter und el» liebes Lied von einem Liebes¬
lied unterscheidet.


Berichtigung.

In dem vortrefflichen Artikel von K. Lange: „War Dürer
ein Papist?" (Ur. 6) wird Anton Springers als eines Katholiken gedacht. Ich
erlaube mir zur Berichtigung zu bemerken, was vielleicht mich den Verfasser jenes
Artikels interessiren wird, daß Professor Springer gleich nach seiner Berufung an
die Universität Leipzig bei mir seinen Übertritt zum Protestantismus, den er
innerlich längst vollzogen hatte, auch formell vollzogen hat, und zwar mit dem
ausdrücklichen Wunsche, nach der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas von
niemand mehr als Glied der römischen Kirche angesehen zu werden. Dies zur
Steuer der Wahrheit, wenn es etwa Herrn A. Weber einfallen sollte, den Ge¬
lehrten Springer für die katholische Welt in Anspruch zu nehmen und sich dafür
auf den Aufsatz seines Gegners zu berufen.


D. Vreydorff


Litteratur

Kleine Lvrik Es ist doch hübsch, wenn die Musen den früher erkornen
Wohnsitzen nicht unireu werden, und ganz besonders nett und nnterchaltend .se es.
an dem sei» ausgestatteten Göttinger Mu enalmauach für 1896 (D.etercchsche
Verlagsbuchhandlung) zu sehen, wie verschieden sich here.es das p.nge Blut der
Musensöhne je nach Herkunft und Temperament anch in solchen Fe.ertagsaußerungen
anläßt Bei dem einen verwandelt sich die Erinnerung an eme Fer.eure.se nach
Venedig in eine schwermütige „Novellette" von einem Mönch der ihn in einer
der Lagnnenkirchen umhergeführt hat. Der Mnge Baron ans Münsterland schafft
dagegen Sagen feiner lieben Heimatgegend zu Balladen und Se.mmnngsb.idem
um- Moor Heide Nebel, alles melancholisch. Wieder anders macht es der Ham¬
burger Pät'rizierssoh.n Lustspiel und Satire, also leichteres Blut! Aber ganz so
blasirt und Weiterfahren ist der junge Herr doch sicherlich noch nicht wie sein
»Pierrot im Bnllsaal." Besonders hübsch, gemütvoll und stimmungsvoll sind
kleine Prosaerznhluugen eines Osnabrückers, „Erinnerungen aus Schottland." In
denen ist wirklich Erlebtes und psychologische Beobachtung. Und so geht es weiter.


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[0455] Litteratur bahnhof, der Frankfnrterbuchhandcl. Warum schreibt man also: die Frank¬ furterstraße? In allen diesen Fällen steht Frankfurter im adjektivischen Sinne (für fraukfurtisch). Frankfurterstraße kannte nur eine Straße bedeuten, auf der lauter Frankfurter wohnen, wie Fleischergasse, Gerbergasse, Töpfer¬ gasse die Gassen bezeichnen, wo ehemals die Fleischer, die Gerber, die Töpfer wohnten. Eine Berliner Versammlung ist eine Versammlung, die in Berlin stattfindet, eine Verlinerversammluug eine Versammlung, zu der lauter Ber¬ liner kommen. Die Herrnhuter Gemeinde ist die Gemeinde der Stadt Herrn¬ hut, aber eine Herrnhutergemeinde kann in jeder beliebigen andern Stadt sein. Wer in dieser Unterscheidung eine „rein orthographische Frage" sieht, kann uns aufrichtig leid thun. Am Ende ist es gar noch eine „rein orthographische Frage," ob jemand ein Fremdenbuch von einem fremden Buch, einen kranken Wärter von einem Krankenwärter und el» liebes Lied von einem Liebes¬ lied unterscheidet. Berichtigung. In dem vortrefflichen Artikel von K. Lange: „War Dürer ein Papist?" (Ur. 6) wird Anton Springers als eines Katholiken gedacht. Ich erlaube mir zur Berichtigung zu bemerken, was vielleicht mich den Verfasser jenes Artikels interessiren wird, daß Professor Springer gleich nach seiner Berufung an die Universität Leipzig bei mir seinen Übertritt zum Protestantismus, den er innerlich längst vollzogen hatte, auch formell vollzogen hat, und zwar mit dem ausdrücklichen Wunsche, nach der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas von niemand mehr als Glied der römischen Kirche angesehen zu werden. Dies zur Steuer der Wahrheit, wenn es etwa Herrn A. Weber einfallen sollte, den Ge¬ lehrten Springer für die katholische Welt in Anspruch zu nehmen und sich dafür auf den Aufsatz seines Gegners zu berufen. D. Vreydorff Litteratur Kleine Lvrik Es ist doch hübsch, wenn die Musen den früher erkornen Wohnsitzen nicht unireu werden, und ganz besonders nett und nnterchaltend .se es. an dem sei» ausgestatteten Göttinger Mu enalmauach für 1896 (D.etercchsche Verlagsbuchhandlung) zu sehen, wie verschieden sich here.es das p.nge Blut der Musensöhne je nach Herkunft und Temperament anch in solchen Fe.ertagsaußerungen anläßt Bei dem einen verwandelt sich die Erinnerung an eme Fer.eure.se nach Venedig in eine schwermütige „Novellette" von einem Mönch der ihn in einer der Lagnnenkirchen umhergeführt hat. Der Mnge Baron ans Münsterland schafft dagegen Sagen feiner lieben Heimatgegend zu Balladen und Se.mmnngsb.idem um- Moor Heide Nebel, alles melancholisch. Wieder anders macht es der Ham¬ burger Pät'rizierssoh.n Lustspiel und Satire, also leichteres Blut! Aber ganz so blasirt und Weiterfahren ist der junge Herr doch sicherlich noch nicht wie sein »Pierrot im Bnllsaal." Besonders hübsch, gemütvoll und stimmungsvoll sind kleine Prosaerznhluugen eines Osnabrückers, „Erinnerungen aus Schottland." In denen ist wirklich Erlebtes und psychologische Beobachtung. Und so geht es weiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/455>, abgerufen am 01.09.2024.