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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Sudermanns neueste Dramen

ihrer Gottähnlichkeit bange geworden ist, eine schärfere Luft, in der die kurz¬
lebige Blüte des Genusses hinwelkt, ehe sie recht entfaltet ist, umgaben Suder¬
mann bei seinem ersten Auftreten, schwerere und dunklere Probleme waren
Mode geworden, die Börse erschien nicht mehr als der alleinige Mittelpunkt
des modernen Lebens, ein andrer Jargon als der von 1875 wurde um ihn
her geredet. Selbst wenn der Verfasser der "Frau Sorge" nichts besseres mit¬
gebracht hätte, als ihm das jüngste Berlin geben konnte, so würde sich doch
ein andres Stück Welt und Leben in seinen Arbeiten gespiegelt haben, als in
denen der Trias Lindau-Blumenthal-Lubliner. Ob ein besseres, größeres, inner¬
lich wahreres, poetisch wirksameres, wäre erst noch zu untersuchen gewesen,
denn daß sich in der ganzen neuesten Richtung, so weit sie Sache der Mode
und der Klique und nicht lebendiger Antrieb lebendigen Talents ist, ein wahrer
Rattenkönig von schlechter Pose, von Eitelkeit und flachster Äußerlichkeit breit
macht, das gestehen die besonnener" Vertreter dieser Richtung schon längst
unumwunden ein.

Doch die Voraussetzung ist falsch, und es hieße kritisch so blind sein,
wie sich gewisse Lobredner der neuesten Litteratur zuzeiten stellen, wenn man
verkennen wollte, daß Sudermann in seinen Jugendeindrücken aus der ost¬
preußischen Heimat, in seinen poetischen Anfängen und einem entschiednen
Drange seines Talents zu robuster Natürlichkeit eine Mitgabe besaß, die ihn
von Haus aus über die Welt zwischen dem Wedding und der Kölnischen Heide
hinausblicken ließ. Und wie groß auch immer der Einfluß war, den er dem
Leben Berlins und dem mehrerwühnten Etwas in diesem Leben über sich ein¬
räumte, so war doch leicht zu erkennen, daß der frischere, stärkere Zug seiner
Natur und, trotz aller angeblichen Geringschätzung künstlerischer Ziele, ein in¬
stinktives Kunstbewußtseiu, das dem Gesunden, Dauernden zustrebte, ihn vor
der unbedingten Unterordnung unter die Berliner Augenblicksforderungen
schützten. Ja mehr als einmal schien es, als ob der Dichter ganz er selbst
sein und sich mit Entschlossenheit der Geistesstimmung entreißen würde, die,
während sie eigentlich darnach lechzt, in der großen und ewigen Natur unter¬
zutauchen, es doch nicht verwinden kann, daß die Ackererde und der Eichwald
keine neuesten Erfindungen sind, und daß die Natur wenig geneigt erscheint,
den nächsten Frühling rot statt grün aufgehen zu lassen. Sudermanns Roman
"Es war" sah mit allem, was sich gegen Einzelheiten der Anlage und Ge¬
staltung sagen ließ, doch wie eine sehr kräftige Erhebung über den Boden und
die Atmosphäre ans, auf dem und in der die gegenwärtig modische Menschen¬
darstellung atmet. Die bedeutendsten Partien des Romans müssen als das beste
und eigentümlichste angesehen werden, was Sudermann seit "Frau Sorge" und
bis jetzt gelungen ist. Daß die neuesten Schöpfungen des Dramatikers nicht
auf gleiche Höhe mit dem epischen Gebilde gelangen können, beweist nach unsrer
Empfindung keineswegs, daß Sudermanns Stärke ausschließlich auf dem Ge¬
biete der Erzählung und nicht auf dem des Dramas liege, aber es beweist


Sudermanns neueste Dramen

ihrer Gottähnlichkeit bange geworden ist, eine schärfere Luft, in der die kurz¬
lebige Blüte des Genusses hinwelkt, ehe sie recht entfaltet ist, umgaben Suder¬
mann bei seinem ersten Auftreten, schwerere und dunklere Probleme waren
Mode geworden, die Börse erschien nicht mehr als der alleinige Mittelpunkt
des modernen Lebens, ein andrer Jargon als der von 1875 wurde um ihn
her geredet. Selbst wenn der Verfasser der „Frau Sorge" nichts besseres mit¬
gebracht hätte, als ihm das jüngste Berlin geben konnte, so würde sich doch
ein andres Stück Welt und Leben in seinen Arbeiten gespiegelt haben, als in
denen der Trias Lindau-Blumenthal-Lubliner. Ob ein besseres, größeres, inner¬
lich wahreres, poetisch wirksameres, wäre erst noch zu untersuchen gewesen,
denn daß sich in der ganzen neuesten Richtung, so weit sie Sache der Mode
und der Klique und nicht lebendiger Antrieb lebendigen Talents ist, ein wahrer
Rattenkönig von schlechter Pose, von Eitelkeit und flachster Äußerlichkeit breit
macht, das gestehen die besonnener» Vertreter dieser Richtung schon längst
unumwunden ein.

Doch die Voraussetzung ist falsch, und es hieße kritisch so blind sein,
wie sich gewisse Lobredner der neuesten Litteratur zuzeiten stellen, wenn man
verkennen wollte, daß Sudermann in seinen Jugendeindrücken aus der ost¬
preußischen Heimat, in seinen poetischen Anfängen und einem entschiednen
Drange seines Talents zu robuster Natürlichkeit eine Mitgabe besaß, die ihn
von Haus aus über die Welt zwischen dem Wedding und der Kölnischen Heide
hinausblicken ließ. Und wie groß auch immer der Einfluß war, den er dem
Leben Berlins und dem mehrerwühnten Etwas in diesem Leben über sich ein¬
räumte, so war doch leicht zu erkennen, daß der frischere, stärkere Zug seiner
Natur und, trotz aller angeblichen Geringschätzung künstlerischer Ziele, ein in¬
stinktives Kunstbewußtseiu, das dem Gesunden, Dauernden zustrebte, ihn vor
der unbedingten Unterordnung unter die Berliner Augenblicksforderungen
schützten. Ja mehr als einmal schien es, als ob der Dichter ganz er selbst
sein und sich mit Entschlossenheit der Geistesstimmung entreißen würde, die,
während sie eigentlich darnach lechzt, in der großen und ewigen Natur unter¬
zutauchen, es doch nicht verwinden kann, daß die Ackererde und der Eichwald
keine neuesten Erfindungen sind, und daß die Natur wenig geneigt erscheint,
den nächsten Frühling rot statt grün aufgehen zu lassen. Sudermanns Roman
»Es war" sah mit allem, was sich gegen Einzelheiten der Anlage und Ge¬
staltung sagen ließ, doch wie eine sehr kräftige Erhebung über den Boden und
die Atmosphäre ans, auf dem und in der die gegenwärtig modische Menschen¬
darstellung atmet. Die bedeutendsten Partien des Romans müssen als das beste
und eigentümlichste angesehen werden, was Sudermann seit „Frau Sorge" und
bis jetzt gelungen ist. Daß die neuesten Schöpfungen des Dramatikers nicht
auf gleiche Höhe mit dem epischen Gebilde gelangen können, beweist nach unsrer
Empfindung keineswegs, daß Sudermanns Stärke ausschließlich auf dem Ge¬
biete der Erzählung und nicht auf dem des Dramas liege, aber es beweist


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[0045] Sudermanns neueste Dramen ihrer Gottähnlichkeit bange geworden ist, eine schärfere Luft, in der die kurz¬ lebige Blüte des Genusses hinwelkt, ehe sie recht entfaltet ist, umgaben Suder¬ mann bei seinem ersten Auftreten, schwerere und dunklere Probleme waren Mode geworden, die Börse erschien nicht mehr als der alleinige Mittelpunkt des modernen Lebens, ein andrer Jargon als der von 1875 wurde um ihn her geredet. Selbst wenn der Verfasser der „Frau Sorge" nichts besseres mit¬ gebracht hätte, als ihm das jüngste Berlin geben konnte, so würde sich doch ein andres Stück Welt und Leben in seinen Arbeiten gespiegelt haben, als in denen der Trias Lindau-Blumenthal-Lubliner. Ob ein besseres, größeres, inner¬ lich wahreres, poetisch wirksameres, wäre erst noch zu untersuchen gewesen, denn daß sich in der ganzen neuesten Richtung, so weit sie Sache der Mode und der Klique und nicht lebendiger Antrieb lebendigen Talents ist, ein wahrer Rattenkönig von schlechter Pose, von Eitelkeit und flachster Äußerlichkeit breit macht, das gestehen die besonnener» Vertreter dieser Richtung schon längst unumwunden ein. Doch die Voraussetzung ist falsch, und es hieße kritisch so blind sein, wie sich gewisse Lobredner der neuesten Litteratur zuzeiten stellen, wenn man verkennen wollte, daß Sudermann in seinen Jugendeindrücken aus der ost¬ preußischen Heimat, in seinen poetischen Anfängen und einem entschiednen Drange seines Talents zu robuster Natürlichkeit eine Mitgabe besaß, die ihn von Haus aus über die Welt zwischen dem Wedding und der Kölnischen Heide hinausblicken ließ. Und wie groß auch immer der Einfluß war, den er dem Leben Berlins und dem mehrerwühnten Etwas in diesem Leben über sich ein¬ räumte, so war doch leicht zu erkennen, daß der frischere, stärkere Zug seiner Natur und, trotz aller angeblichen Geringschätzung künstlerischer Ziele, ein in¬ stinktives Kunstbewußtseiu, das dem Gesunden, Dauernden zustrebte, ihn vor der unbedingten Unterordnung unter die Berliner Augenblicksforderungen schützten. Ja mehr als einmal schien es, als ob der Dichter ganz er selbst sein und sich mit Entschlossenheit der Geistesstimmung entreißen würde, die, während sie eigentlich darnach lechzt, in der großen und ewigen Natur unter¬ zutauchen, es doch nicht verwinden kann, daß die Ackererde und der Eichwald keine neuesten Erfindungen sind, und daß die Natur wenig geneigt erscheint, den nächsten Frühling rot statt grün aufgehen zu lassen. Sudermanns Roman »Es war" sah mit allem, was sich gegen Einzelheiten der Anlage und Ge¬ staltung sagen ließ, doch wie eine sehr kräftige Erhebung über den Boden und die Atmosphäre ans, auf dem und in der die gegenwärtig modische Menschen¬ darstellung atmet. Die bedeutendsten Partien des Romans müssen als das beste und eigentümlichste angesehen werden, was Sudermann seit „Frau Sorge" und bis jetzt gelungen ist. Daß die neuesten Schöpfungen des Dramatikers nicht auf gleiche Höhe mit dem epischen Gebilde gelangen können, beweist nach unsrer Empfindung keineswegs, daß Sudermanns Stärke ausschließlich auf dem Ge¬ biete der Erzählung und nicht auf dem des Dramas liege, aber es beweist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/45>, abgerufen am 01.09.2024.